Geheime Dokumente offenbaren Chinas Vertuschungs-Taktik
Corona-Pandemie: Hat China die Welt von Anfang an der Nase herumgeführt?

Gerne schickt China dieser Tage Bilder in die Welt von feiernden Chinesen, überfüllten Shoppingmalls und Touristenattraktionen. Die Botschaft ist immer die Gleiche: Die kommunistische Partei hat das Virus bravourös besiegt, während der Rest der Welt weiter und teils mehr denn je ächzt. Zweifel an der Transparenz und dem Wahrheitsgehalt der Informationen des autoritären Regimes waren und sind jedoch stets angebracht.
Von Pia Schrörs

Geheime Dokumente, die dem amerikanischen Nachrichtensender CNN vorliegen, offenbaren nun, wie die chinesischen Behörden das Ausmaß des Corona-Ausbruchs in der Provinz Hubei in den ersten Monaten bewusst heruntergespielt haben. Der US-Sender beruft sich auf ein Beispiel vom 10. Februar dieses Jahres: Offiziell meldete China an diesem Tag 2478 Corona-Neuinfektionen. In den als „vertraulich“ gekennzeichneten Papieren waren es hingegen 5918 Fälle, also fast doppelt so viele.
Um die Zahlen im Unklaren zu halten, hätten die Behörden die Fälle zudem aufgeteilt in drei Kategorien: nachgewiesene Infektionen, klinisch diagnostizierte Infektionen und Verdachtsfälle aufgrund von Kontakt zu Infizierten und Symptomen. Veröffentlicht haben die Behörden jedoch nur die mit Testung nachgewiesenen Fälle.
Zahl der Bestattungen ist ein Staatsgeheimnis

„Ich bezweifle, dass selbst die Zahlen aus den Dokumenten das wirkliche Ausmaß offenlegen,“ sagt Qin Liwen im Gespräch mit rtl.de. Seit Beginn des Corona-Ausbruchs sammelt und analysiert die chinesische Publizistin offizielle Daten und Informationen und stellt sie in Zusammenhang mit Kommentaren und Erfahrungen, die Experten und Betroffene schildern.
Bestes Beispiel wie viel höher die Zahl der Infizierten tatsächlich war, sei die vermutete Zahl an Corona-Toten, sagt sie. „Die wahre Zahl lässt sich an den Menschen berechnen, die die Krematorien gefüllt haben. Die waren in Hubei so überfüllt, dass sie Hilfe aus den Nachbarprovinzen anfragen mussten. Aber bis heute bleibt die Zahl der Bestattungen ein Staatsgeheimnis.“
Geheime Dokumente aus anonymer Quelle
Die geheimen Dokumente wurden CNN von einer anonymen Quelle zugespielt, berichtet der Sender. 6 unterschiedliche Experten hätten das Schriftstück verifiziert. Ganz anders als der Welt präsentiert, entpuppt sich China auf 117 Seiten als chaotischer und maßlos überforderter Krisenmanager.
Anstatt schneller Testung, Ergebnissen und zügiger Behandlung lagen zwischen Test und Ergebnis im Durchschnitt 23 Tage, so ein Bericht von Anfang März. Medizinisches Personal wurde an der Arbeit von den Behörden gehindert, es mangelte an finanzieller Unterstützung und aufgrund veralteter Computersysteme konnten Daten nicht in das nationale Frühwarnsystem eingegeben werden.
"Gewolltes Chaos, angeordnet aus Peking“

Chaos und Inkompetenz kann jedoch die mangelnde Transparenz und fehlerhafte Statistik nicht entschuldigen, so Qin Liwen. „Die Lokalregierung in Wuhan konnte eine Millionenmetropole grösser als New York City von einem auf den anderen Moment unter bedingungslosen Lockdown stellen. Da haben wir weder Chaos noch Inkompetenz gesehen. Alles andere war eher gewolltes Chaos, angeordnet aus Peking, um das Ausmaß zu verbergen.“
Selbst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führten die chinesischen Behörden offensichtlich schon zu Beginn des Ausbruchs bewusst an der Nase herum: 44 Fälle einer unbekannten Lungenentzündung meldeten sie Ende 2019 der internationalen Organisation. Laut CNN-Papieren waren es damals schon mehr als 200.
"Chinas Regierung schuldet der Welt viele Antworten“

Und noch eine brisante Information bringen die Geheim-Dokumente zu Tage: Eine ausufernde Grippewelle soll die gesamte Provinz Hubei ab Oktober 2019 überrollt haben. Allein in der ersten Dezemberwoche gab es laut den Angaben in der Stadt Yichang, unweit von Wuhan, 6135 Influenza-Fälle. Die Gesamtzahl an Grippe-Erkrankungen in der Provinz lag damit um ein 20-faches höher als im Jahr zuvor. Experten gehen laut CNN davon aus, dass es schon da einen Zusammenhang mit dem Corona-Virus gegeben haben könnte. Beweise gibt es jedoch nicht.
Inwiefern die Zentralregierung in die Vertuschungstaktik verwickelt war und ist oder diese selbst vielleicht so anordnete, geht aus den Dokumenten nicht hervor. Die Papiere seien jedoch lückenhaft und scheinen mehrfach bearbeitet worden zu sein, analysieren Experten gegenüber dem US-Sender.
„Die Informationen aus den geheimen Dokumenten sind sehr wertvoll,“ findet auch Qin Liwen. „Aber nach wie vor schuldet die chinesische Regierung der Welt viele Antworten.“