Zweite Corona-WelleNotfall-Krankenpflegerin enthüllt: So ernst ist die Lage in unseren Kliniken

Die Zahl der Corona-Infektionen hat deutlich zugenommen, so deutlich, dass seit Anfang November ein zweiter landesweiter Lockdown gilt. Ein wichtiges Indiz zur Einschätzung der Lage ist der Blick auf die Auslastung der Intensivbetten. Doch wie ist die Situation in den Krankenhäusern, die sich hinter den nackten Zahlen verbirgt? Wir haben exklusiv mit einer Krankenpflegerin in einer deutschen Notfallambulanz gesprochen, die uns anonym* erzählt, was ihr aktuell besonders Sorgen bereitet.
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„Wir merken die Panik total" - das verstopft die Ambulanzen
„Es gibt schon jetzt genügend Leute, die auf der Intensivstation liegen und denen geht es richtig schlecht und dann kommen noch die dazu, die einfach nur Angst haben“, sagt die Krankenpflegerin. Sie könne die Sorge verstehen, gerade weil Corona aktuell das öffentliche Leben so stark dominiere. Sie sagt aber auch: „Nur weil du Covid hast, musst du nicht gleich ins Krankenhaus. Erst bei Luftnot und hohem Fieber ist das ein Muss. Aber viele Leute haben richtig Angst, weil sie positiv getestet wurden. Manchmal muss man eben einfach nur zuhause bleiben.“
Das wollen viele Menschen scheinbar nicht verstehen und nutzen die Notfallambulanz aus. „Wenn die Leute den Notruf setzen, sagen sie oft nicht, dass sie schon positiv getestet wurden“, erzählt sie von mehreren Fällen aus ihrem Arbeitsalltag. „Dann müssten sich drei oder fünf Leute, je nach Größe des Teams, ganz anders anziehen und schützen.“
Neulich sei das Notarzt-Team bei einem Patienten angekommen, dessen Tochter am Telefon nur von Symptomen gesprochen habe. Dass der Vater bereits ein positives Testergebnis habe, erfuhr das Team erst vor Ort. „Und seine Frau stand mit Nachbarn zusammen und sprach mit denen. Das kann ich nicht verstehen“, so die Krankenpflegerin.
Auch in der Ambulanz hat sie vermehrt miterlebt, wie sich Patienten Ratschläge geben, um schneller behandelt zu werden. „Neulich hat ein Mann zu uns gesagt: Meine Tochter hat gesagt, ich solle nachts den Rettungswagen anrufen, da sei weniger los“, sagt sie. „Dass wir dann aber auch schlechter besetzt sind, vergessen viele.“ Andere geben vor, unter Atemnot zu leiden. Natürlich werde das ernst genommen und überprüft. Eine Analyse des Sauerstoffgehalts im Blut habe dann aber gezeigt, dass es schlicht nicht gestimmt habe. Dieses Verhalten kostet das Pflegepersonal viel Zeit und Ressourcen, die für tatsächlich Erkrankte gebraucht werden.
„Wir merken die Panik total und das ist aus meiner Sicht das Gefährliche“, sagt die erfahrende Krankenpflegerin. „Ganz viele rufen an, haben Angst, fragen ob sie vorbeikommen können.“ Dabei handelt es sich bei der Klinik, in der sie arbeitet, nicht um ein Testzentrum. Indem Patienten dann aber vorbeikommen, im Zweifel mit Corona-Symptomen bringen sie sowohl die Belegschaft als auch andere Patienten in große Gefahr.
Hohe Arbeitsbelastung: „Im Lockdown bist du quasi nur für andere da"
Von Pflegekräften aus anderen Krankenhäusern hat RTL erfahren, dass auch möglicherweise infiziertes Pflegepersonal weiterarbeiten muss, bis ein positives Testergebnis vorliegt. Eine Quelle berichtet, dass Kollegen nicht getestet wurden, obwohl bereits positive Testergebnisse aus dem engsten Kollegenkreis vorlagen. Weil das Pflegepersonal aber an so vielen Stellen fehle, könnten Patienten sonst nicht mehr versorgt werden.
Den Druck hinter solchen Entscheidungen kennt auch unsere anonyme Quelle. Sie erzählt im Gespräch: „Du bist quasi nur für andere da, aktuell im Lockdown. Da ist gar kein Ausgleich mehr da. Ich arbeite manchmal elf Tage am Stück und dann immer im Wechsel: Früh-, Spät- und Nachtdienste.“ Diese Situation sei sehr belastend, auch weil sich das auf ihr privates Umfeld überträgt. „Von mir distanzieren sich auch meine Freunde, aus Angst, dass ich das Virus mitbringe.“
Als Anerkennung wurde auf politischer Ebene viel über einen finanziellen Bonus für das Pflegepersonal gesprochen. „Die versprochenen Zusatzzahlungen sind nie bei uns angekommen“, so die Krankenpflegerin. Auch eine Intensiv-Pflegerin aus einem anderen Krankenhaus bestätigt, dass sie nie einen Bonus erhalten habe.
Hoffnung auf baldige Besserung hat sie nicht. „Wir müssen einfach versuchen, mit dem Virus zu leben. Wir sind ja jetzt erst am Anfang.“
*Die erfahrende Krankenpflegerin möchte anonym bleiben, aus Sorge, dass ihre Aussagen negative Konsequenzen für ihren Job haben könnten. Gleichzeitig hält sie es aber für sehr wichtig, dass genau diese Berichte an die Öffentlichkeit gelangen, damit alle ein realistisches Bild der Corona-Situation bekommen.


