Schuldfrage nach Hochwasser-Katastrophe
Chef des Katastrophenschutzes: "Wir brauchen eine höhere Sensibilität der Bürger für Selbstschutz"
Wurde die Bevölkerung rechtzeitig vor den zerstörerischen Wassermassen gewarnt? Noch während die Menschen in den Hochwassergebieten die Trümmer beseitigen und retten, was zu retten ist, beginnt die Aufarbeitung dieser Frage. In die Kritik rückt dabei auch der Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz (BBK), Armin Schuster.
Die Warnsysteme hätten funktioniert, die Frage sei aber auch, wie sensibel wir auf Warnungen reagieren würden, sagte Schuster in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Gibt er hier also den Menschen vor Ort selbst eine Teilschuld?
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"Wir brauchen auch eine höhere Sensibilität der Bürger für Selbstschutz."
„Wenn Sie jetzt mich fragen, dann kann ich Ihnen sagen, wie gut hat denn die Bundeswarn- Infrastruktur funktioniert? Und die ist sehr ausgeklügelt, sehr komplex. Die hat perfekt funktioniert. Der Deutsche Wetterdienst, die Hochwasser-, zentralen Kreis-Verwaltungsbehörden, die Rettungsleitstelle alle haben auf dieses System zugegriffen und haben in 150 Fällen gewarnt.“, so Schuster in einem Pressestatement. Die Warn-App Nina habe funktioniert. Er habe aber dann keinen Einfluss mehr, was mit den angekommenen Warnmeldungen passiere. „Wenn Sie das wollten, dann müsste ich aus Bonn Zugriff haben auf jede Kreis-Verwaltungsbehörde und Anordnungen geben. Das ist nicht unser Katastrophenschutz-System und das auch richtig so. Ich plädiere nicht dafür, dass das BBK eine zentrale, alles führende Katastrophenschutz-Behörde wird. Ich plädiere dafür, dass wir verstehen, dass wir eine neue Form von nationalen Krisen erleben,“ so Schuster.
Für den Katastrophenschutz sind in Deutschland die Bundesländer zuständig. Der Bund hat hier keine unmittelbaren Zuständigkeiten. Bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen können die Länder allerdings zum Beispiel das Technische Hilfswerk (THW) oder die Bundespolizei zur Hilfe anfordern.
"Das BBK hat bereits vor fünf Jahren einen 320-seitigen Leitfaden für das Verhalten bei Starkregen und Sturzfluten herausgegeben und vor unterschätzten Risiken gewarnt", sagte Schuster in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters.
Schon in der Corona-Pandemie habe man gemerkt, dass solche Krisen nur als Gemeinschaftsaufgabe bewältigt werden könnten. "Wir brauchen auch eine höhere Sensibilität der Bürger für Selbstschutz. Risikomündige, gut vorbereitete Menschen sind wertvoller als jedes staatliche Vorsorgesystem", sagte Schuster. Er betonte, dass man dafür auch erneut umdenken müsse. "Im BBK wurde auch sehr deutlich auf digitale Warnsysteme gesetzt. Aber wir brauchen auch analoge Mittel", sagte er. "Viele Menschen im Ahrtal etwa können sich derzeit nur über batteriebetriebene Radios informieren." Aber für solche einfachen Empfehlungen sei das Bundesamt jahrelang belächelt worden – wie auch für ein Kochbuch mit dem Titel "Kochen ohne Strom". Erst durch die Corona-Pandemie habe sich in der Sichtweise vieler Menschen etwas geändert.
BBK-Präsident Schuster: "Diese Tragödie hat uns zu schnell erwischt"
Im Video erklärt der Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz (BBK), Armin Schuster, welche Pläne es bereits gibt, wie der Katastrophenschutz umgebaut werden soll.
FDP und Grüne beantragen Sondersitzungen des Innenausschusses

Zuletzt wurde auch massive Kritik an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) laut, dem das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zugeordnet ist. Seehofer wies zurück, dass die Warnungen die Menschen zu spät erreicht hätten. „Ich schließe nicht aus, dass wir das ein oder andere verbessern müssen.“ Aber die Warnmeldungen hätten ohne jedes technische Problem funktioniert, sagte Seehofer. Die FDP-Fraktion sowie die Grünen-Fraktion im Bundestag beantragten am Montag kurzfristige Sondersitzungen des Innenausschusses.
Der Präsident des Deutschen Städtetages, Burkhard Jung, forderte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe „nach der akuten Nothilfe eine glasklare Analyse“ dessen, was für die Zukunft aus der Unwetterkatastrophe zu lernen sei. Als Beispiel nannte er „Konsequenzen für die künftige Kommunikation bei Extremwetter“. So habe etwa das Zusammenbrechen von Festnetz und Mobilfunknetz die Kommunikation erschwert.
Auch der Deutsche Feuerwehrverband sprach sich für „eine Aufarbeitung und Evaluierung“ für die Zeit nach dem noch laufenden Einsatz aus. „Dabei ist auch zu klären, ob etwa Warnsysteme angepasst werden müssen - beispielsweise mit der analog angesteuerten Sirene als Ergänzung zu digitalen Medien“, sagte Verbandspräsident Karl-Heinz Banse der „Augsburger Allgemeinen“. Derzeit sei es aber zu früh „für Forderungen oder gar Schuldzuweisungen“. „Aktuell befinden wir uns vor Ort noch in der Phase der Nothilfe.“