Rechtsregierung in Italien macht Ernst und löst Proteste aus

Bürgergeld per SMS gestrichen: Die Wut im Land ist groß!

Foto Mauro Scrobogna/LaPresse
26-07-2023 Roma (Italia) Politica - Chigi Governo - visita del Presidente del Vietnam - Nella foto: Il Presidente del Consiglio Giorgia Meloni incontra a Palazzo Chigi il Presidente del Vietnam Vo Van Thuong
July 26, 2023 Rome (Italy) Politics - Chigi, Government - visit by the President of the European Council, Charles Michel - In the photo: Prime Minister Giorgia Meloni meets the President of Vietnam Vo Vanhuong at Palazzo Chigi / action press
Die italienische Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (Foto) hat die strengeren Voraussetzungen für den Bezug des sogenannten Bürgergelds durchgesetzt.
bg, action press, ActionPress
von Esther Kusch und Udo Gümpel

Stellen SIE sich vor, sie würden übers Handy informiert, dass ihr Gehalt gestrichen wird!
So ähnlich ist es in den vergangenen Tagen tausenden Italienern ergangen – nur wurde ihnen nicht das Gehalt, sondern das Bürgergeld „reddito di cittadinanza“ gestrichen. Die Schock-Nachricht kam per SMS in wenigen bürokratischen Worten – ausgerechnet im Ferienmonat August, wenn die italienischen Familien ausspannen wollen. Kein Wunder: Die betroffenen Italiener laufen Sturm!

Bürgergeld gestrichen: 169.000 Haushalte sind seit dem 1. August betroffen

„Finito“, heißt es nun für viele Bürgergeld-Bezieher in Italien: Die italienische Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat die strengeren Voraussetzungen für den Bezug des sogenannten Bürgergelds durchgesetzt. Seit dem 1. August sind laut Medienberichten rund 80.000 Haushalte mit geschätzt 169.000 Begünstigten von der drastischen Kürzung der Sozialhilfe betroffen.

Bürgergeld bekommen jetzt nur noch Haushalte, in denen entweder Kinder leben, Menschen mit Behinderung oder Senioren über 65 Jahre.

Die italienische Rentenanstalt INPS spricht von derzeit insgesamt 1,1 Millionen Menschen, die Bürgergeld beziehen. Rechnet man Kinder und Ehepartner mit ein, würden etwa 2,5 Millionen Menschen davon profitieren.

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Italien führte das Bürgergeld nach deutschen Hartz IV-Vorbild ein

„Für die Einführung eines Bürgergeldes nach dem Vorbild des deutschen Hartz-4-Systems hatte sich besonders die 5-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo stark gemacht,“ erklärt Italien-Korrespondent Udo Gümpel. Das „reddito di cittadinanza“ (RdC) orientierte sich demnach an deutschen Hartz-IV-Sätzen. Das Prinzip „fördern und fordern“ sollte auch in Italien eingeführt werden, scheiterte aber bisher daran, dass es in Italien gar keine duale Berufsausbildung nach deutschen Muster gibt, „sondern nur Anlernkurse, die völlig unkoordiniert von Hinz und Kunz angeboten werden und wenig Chancen auf einen qualifizierten Arbeitsplatz bieten“.

Das „RdC“ sollte eigentlich nur ein erster Schritt sein, Arbeitsfähige sollten besser ausgebildet werden. Zudem sind Arbeitsplätze rar gesät: Italien hat mit rund 60 Prozent eine der niedrigsten Beschäftigungsquoten der EU.

Die Abschaffung des Bürgergeldes forderten vor allem Bauernverbände und Kleinunternehmer. „Kein Wunder. Sie zahlen oft nicht mehr als 3-4 Euro brutto Stundenlohn – das ist dann kein Anreiz zu arbeiten, wenn man das Bürgergeld bezieht. Italien hat nämlich keinen Mindestlohn“, kommentiert Udo Gümpel.

Melonis Rechtsregierung ist das Bürgergeld ein Dorn im Auge

Italy: demonstration in naples for the abolition of citizenship income Demonstration in Naples to protest against the abolition of citizenship income. In the street, about 200 people were demonstrating. slogans against the Italian government, especially against giorgia meloni, identified by the demonstrators as the main person responsible for the abolition of the subsidy DSCF1643 Copyright: xAntonioxBalascox
Proteste gegen die Kürzungen in Neapel am 2. August 2023.
www.imago-images.de, IMAGO/Antonio Balasco, IMAGO/Antonio Balasco

Neu ist der Plan nicht: Schon im Dezember hatte die Regierung Melonis beschlossen, das Geld bis zum Ende des Jahres zu streichen. Melonis Rechtsregierung ist das Bürgergeld ein Dorn im Auge. Sie will die Zahl der Leistungsempfänger und die Ausgaben für die Unterstützung massiv reduzieren. Die rechten Parteien behaupten immer wieder, dass das Bürgergeld denjenigen, die arbeiten könnten, keinen Anreiz geboten habe, tatsächlich zu arbeiten.

Und so führt Meloni statt des Bürgergelds nun eine „Eingliederungsbeihilfe“ ein, das sind maximal 500 Euro. Aber: Das Geld gibt es nicht bar, sondern per Karte. Davon können dann die täglichen Einkäufe erledigt werden. Ausgenommen sind aber zum Beispiel Alkohol und Zigaretten, berichtet „Tageschau.de“. Das gilt für die oben genannten Haushalte.

Wer als arbeitsfähig gilt, bekommt dieses Geld nicht, sondern eine Ausbildungs- und Arbeitsunterstützung. Das sind 350 Euro. Wer sich weigert, einen Job anzunehmen, dem wird das Geld gestrichen. Ab nächstem Jahr müssen dann Jobs in ganz Italien akzeptiert werden.

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Arbeitsloser Mann stürmt Bürgermeister-Büro in Sizilien

Die Wut darüber ist in Italien ist groß. Die Streichungen betreffen vor allem den Süden Italiens, allein in Neapel wird 21.000 Empfängern die Unterstützung gestrichen. Gewerkschaften und Aktivistengruppen riefen zu Protesten gegen die Kürzung auf. In einigen Städten im Süden protestierten Menschen vor den Stellen der Sozialbehörde INPS. Am Montag stürmte auf Sizilien sogar ein arbeitsloser Mann laut Medienberichten in der Gemeinde Terrasini in das Büro des Bürgermeisters, vergoss Benzin und drohte, alles in Brand zu setzen. Er konnte gestoppt werden.

Oppositionspolitiker kritisieren den Schritt der Regierung scharf. Ex-Regierungschef Giuseppe Conte, der das Bürgergeld 2019 einführte, bezeichnete den Schritt als „ideologischen Krieg“, der auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werde. Kritiker befürchten eine „soziale Katastrophe“. (mit dpa)

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