"Ich habe keine Erklärung dafür"
Nicky Verstappens Hose war voll mit seiner DNA: Jos Brech geht gegen Urteil in Berufung

Mehr als 20 Jahre hat es gedauert bis nach dem gewaltsamen Tod des elfjährigen niederländischen Jungen Nicky Verstappen ein Täter vor Gericht gestellt wurde. Nach einem aufsehenerregenden Indizienprozess verurteilte das Strafgericht in Maastricht den Angeklagten Jos Brech (59) wegen sexuellen Missbrauchs mit Todesfolge zu insgesamt zwölf Jahren und sechs Monaten Gefängnis – Brech ging in Berufung. Heute, fast genau ein Jahr nach dem Schuldspruch, wurde der mutmaßliche Täter erneut angehört. Der sonst eher scheue Beschuldigte überraschte mit detaillierten Aussagen.
Jos Brech: "Habe Nicky Verstappen nicht getötet"
Vor dem Berufungsgericht in Den Bosch bleibt der verurteilte Brech laut der niederländischen Zeitung „AD“ dabei: er habe den 11-jährigen Nicky Verstappen nicht getötet. Vielmehr habe er den Jungen zufällig entdeckt, als er mit seinem Fahrrad unterwegs war. Der Junge sei demnach längst tot gewesen.
August 1998: Nicky verschwindet aus dem Ferienlager

Nicky Verstappen war im August 1998 im Alter von elf Jahren aus einem Ferienlager verschwunden. Polizei und Armee hatten ihn fieberhaft gesucht. Einen Tag später fanden die Ermittler auf der Brunssummerheide, einem Naturgebiet bei Aachen, seine Leiche. Schnell waren die Ermittler überzeugt: Nicky war missbraucht und getötet worden.
Doch 20 Jahre lang bewegte sich nichts in dem Fall. Kurz vor der drohenden Verjährung 2018 unternahmen die Ermittler einen letzten verzweifelten Versuch und nutzten moderne Technik. Ein Massen-Gentest mit 21.000 Männern aus der Region ergab eine Spur – und diese führte zu Jos Brech Er wurde in Spanien festgenommen. 27 Spuren an Kleidung und Körper des Kindes stimmten mit seiner DNA überein.
20 Jahre dauert es, bis Nickys Fall vor Gericht kommt
Wirklich eindeutige Beweise aber fehlten. So konnte die Todesursache nie festgestellt werden. Doch für die Richter war die Schuld des Angeklagten eindeutig bewiesen. Da waren die DNA-Spuren, er war am Fundort der Leiche zur fraglichen Zeit gesehen worden - und bereits vor vielen Jahren wegen sexueller Übergriffe auf Kinder ins Visier der Polizei geraten.
Wie die niederländische Zeitung „AD“ berichtet, blieb Brech im neu aufgelegten Berufungsprozess bei seiner Aussage, der Junge sei bereits verstorben gewesen, als er diesen in der Brunssummerheide entdeckt habe. Die Version, die der 59-Jährige dem Gericht bereits bei seiner Verurteilung aufgetischt hatte. Trotzdem kommen bei der erneuten Befragung neue Details ans Licht. Bei den vorangegangenen Anhörungen hatte der Beschuldigte trotz des Drängens der Staatsanwaltschaft noch hartnäckig geschwiegen.
Der Fall Nicky Verstappen
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Jos Brech zu seinen DNA-Spuren auf Nickys Kleidung: "Ich habe keine Erklärung"

Vor Gericht sagte Brech aus, er sei an dem Tag, an dem Nicky verschwand, mit dem Fahrrad auf dem Weg in die Teverener Heide (bei Geilenkirchen) gewesen: „Ich habe eine Route durch die Natur gewählt, also über die Brunssummerheide. Unterwegs habe ich vor einer Pfütze angehalten. Etwas hatte meine Aufmerksamkeit erregt. Ich weiß wirklich nicht mehr, was“, so Brech laut „ND“ vor Gericht. „Ich sah etwas Rotes, ging nachsehen und sah ein Kind“, so der 59-Jährige.
Es stellte sich heraus, dass es die Leiche von Nicky Verstappen war. „Ich war fassungslos“, sagte der Mann vor Gericht. „Dann berührte ich die Kleidung, glättete sie ein wenig, entfernte ein paar Blätter. Und dann packte ich ihn an der Hüfte und drehte ihn um. Ich überprüfte ob er noch atmete. Er war kalt. Und dann kam die Angst, denn ich hatte eine Vergangenheit.“
Jos Brech ist kein unbeschriebenes Blatt

Jos Brech bezieht sich auf seine Vorgeschichte. Denn in den 80er Jahren kam er nach Übergriffen auf minderjährige Jungen mit dem Gesetz in Berührung. Wie die niederländische Zeitung „AD“ weiter berichtet, sei Brech dann vor Gericht in Tränen ausgebrochen. Er sagte aus, er habe sich wegen seiner Vergangenheit nicht getraut, den Fund zu melden.
Trotzdem fanden die Ermittler 27 DNA-Spuren an Nickys Kleidung. „Ich habe keine Erklärung“, antwortete der 59-Jährige laut „AD“ dem Staatsanwalt, als dieser ihn nach den vielen Spuren fragte. Selbst wenn Brech ausschließlich die Lebensfunktionen von Nicky geprüft haben will, sei das längst keine Erklärung, warum beispielsweise Spuren an der Hose des 11-Jährigen gefunden wurden, die zudem falsch herum angezogen war. Die Indizien sprächen allesamt weiter gegen den Mann, so der Staatsanwalt.
Wie starb Nicky? Gericht will Frage noch diese Woche klären
Ob nun der Berufung stattgegeben wird, ist unwahrscheinlich. Schließlich sei Jos Brech vom Fundort der Leiche geflohen. Besonders pikant: Kurz vor seiner Festnahme habe er besonders gewalttätige Kinderpornografie aus dem Internet heruntergeladen. Doch für den 59-Jährigen ist das alles ein dummer Zufall. Es war ein schöner Tag“, so erinnerte er sich in seinem Schlusswort kurz vor der Verurteilung im letzten Jahr. „Doch wie viel Pech kann man haben, dass man jemanden findet, der tot ist.“
War Brech zur falschen Zeit am falschen Ort und stimmt es, dass er aus Angst vor seiner Vergangenheit vom Tatort floh? Das müssen nun die Richter klären. Für die mündliche Verhandlung sind fünf Tage anberaumt. Das Urteil soll nächste Woche verkündet werden. (uvo/kra)