Augenzeugenbericht aus Kiew: "Es geht hier um den Mord an meinem Volk"

epa04090926 Activists pay respects to protesters killed in clashes with police in Kiev, Ukraine, 20 February 2014. More than 60 people have been killed in street fighting in Kiev on Thursday, the nationalist Svoboda opposition party says. The Ukrainian police force has been given combat weapons for use in the civil unrest in Kiev, Interior Minister Vitaliy Zakharchenko says. Fresh fighting broke out between thousands of protesters and riot police on Kiev's Independence Square only hours after opposition leaders and President Viktor Yanukovych declared a truce. Protesters were seen throwing firebombs and molotov cocktails at police, who responded with teargas. The square was filled with black smoke from burning tyres. EPA/LASZLO BELICZAY ATTENTION EDITORS: GRAPHIC CONTENT +++(c) dpa - Bildfunk+++
Ein Demonstrant schildert die dramatischen Erlebnisse in Kiew aus seiner Sicht.

Auf Facebook schildert einer der Demonstranten unter dem Namen 'Egoisto Artisto' die dramatischen Erlebnisse auf dem Maidan aus seiner ganz persönlichen Sicht. Die Redaktion hat keine Möglichkeit, die Aussagen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.

"Ich schreibe euch nicht wie ein Journalist, mit kühlen Worten und klaren Analysen. Denn es geht hier nicht um eine Eskalation, um einen Bruch der Waffenruhe oder um erneut auflammende Kämpfe. Es geht hier um den Mord an meinem Volk. Es ist keine Eskalation, wenn bezahlte Schläger mit Schusswaffen versorgt werden und unter anderem einen Journalisten kaltblütig totschießen. Es ist kein Bruch einer Waffenruhe, wenn dieselben Schläger in einer Nacht 30 Ambulanzen zerstören, damit diese die Verwundeten nicht mehr zum Krankenhaus bringen können. Es sind keine aufflammenden Kämpfe, wenn wir diese Nachricht aus dem Maidan-Krankenhaus bekommen: "Alle Ärzte und das Personal weinen. Bullen haben die Lebenserhaltungs-Systeme abgeschaltet von all den Patienten, die wir gestern Nacht operiert haben. Sie haben sie wie Vieh in ihre Busse geworfen und sie irgendwohin verschleppt und gesagt: Es gibt kein rotes Kreuz, kein heiliges Kreuz für diesen Abfall."

Und jetzt meine Botschaft: Der Maidan hat eine weitere Nacht überlebt. Diese Ukrainer sind das krasseste Volk, das ich kenne. Stell dir vor, eine Übermacht an Bösen mit allen Waffen dieser Welt kreist dich ein, schießen auf dich, prügeln dich, verbrennen dich. Und du rennst nicht weg. Du bleibst dort. Du harrst aus. Du singst und betest. Und noch mehr, die Kirchenglocken läuten unentwegt und rufen die Menschen auf zum Maidan zu kommen. Und was passiert? Sie kommen! Sie strömen zum Maidan. Es ist ihnen egal, was dort auf sie wartet, es ist ihnen egal, dass Titushki, Schlägertruppen rund um den Maidan einzelne abfangen und angreifen. Es ist ihnen egal, dass Züge, Busse, Flughäfen und Straßen gesperrt und blockiert sind. Nichts und niemand kann dieses Volk aufhalten. Niemand kann uns aufhalten. Wir sind das Volk. Wir sind eins. Diese Menschen gehen zum Maidan und sagen: ich weiß, dass ich hier sterben kann, aber ich hab sonst nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnt.

Das sind keine Terroristen. Das sind Menschen wie du und ich

Und eins noch: Leute, versteht bitte, was hier wirklich los ist, in allen seinen Schichten: Es gibt am Maidan jetzt 5.000 oder 10.000 oder 20.000 Menschen. Das sind keine Terroristen, das sind keine rechten Nationalisten. Das sind Menschen wie du und ich. Um diese Menschen herum haben sich andere gefunden, die bereit sind, sie zu schützen. Mit Steinen, mit Laserpointern, mit Molotov-Cocktails und wenn es sein muss, auch mit jeder anderen Waffe, die sie von den Berkut erbeutet haben. Sie schützen die Wehrlosen. Sie machen keinen Angriff.

Machen wir uns nichts vor. In den letzten Wochen haben wir die Barrikaden so gut ausgebaut, doch die Berkut ist wie durch Butter durchgekommen. Wenn die Staatsmacht es auf sich nimmt, 1.000 oder 2.000 Tote zu verantworten, dann ist der Maidan in 3 Stunden weg. Dies ist kein gleicher Kampf. Wir haben nichts, womit wir angreifen können. Wir können uns nur verteidigen und unser Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Und das tun wir. Für unsere Freiheit. Und auch für die Freiheit all jener, die zu Hause herumsitzen und nichts tun und sich nur ärgern, dass die Metro nicht fährt. Auch für die."