1. Interview nach Ende ihrer Kanzlerschaft

Angela Merkel verteidigt ihre Russland-Politik: „werde (...) mich nicht entschuldigen“

Angela Merkel hat ihr erstes Interview seit dem Ende ihrer Kanzlerschaft im Dezember 2021 gegeben. Sie warf Russlands Präsidenten Wladimir Putin einen „brutalen, das Völkerrecht missachtenden Überfall“ auf die Ukraine vor, für den es keine Entschuldigung gebe. Ihre eigene Russland- und Ukraine-Politik verteidigte sie: „Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und werde deshalb auch mich nicht entschuldigen.“

Angela Merkel: „manchmal bedrückt“

Am Dienstagabend wurde Angela Merkel im Berliner Ensemble, dem Brecht-Theater am Bahnhof Friedrichstraße, vom Journalisten Alexander Osang fast 100 Minuten befragt. Wie geht es ihr jetzt? Als Bürgerin Angela Merkel? „Heute geht es mir persönlich sehr gut“, sagt die 67-Jährige, die die letzten Monate mit Spaziergängen an der Ostsee, mit dem Lesen und Hören von Büchern und mit Urlaub in Italien verbracht hat.

Hört sich gut an, wäre da nicht das, was Merkel „Zäsur“ und andere „Zeitenwende“ nennen. „Ich bleibe natürlich auch ein politischer Mensch und deshalb bin ich in diesen Tagen so wie viele, viele andere auch manchmal bedrückt.“ Gemeint ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, den der russische Präsident Wladimir Putin angezettelt hat. Die deutsche Russland-Politik der letzten zwei Jahrzehnte, die Merkel maßgeblich bestimmt hat, liegt in Scherben.

Anders als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Anfang April öffentlich Fehler eingeräumt hat, steht Merkel aber zu ihrem Kurs. Inwieweit hat sie dazu beigetragen, eine Eskalation mit Russland zu verhindern? „Ich habe es glücklicherweise ausreichend versucht. Es ist eine große Trauer, dass es nicht gelungen ist“, sagt sie.

Kein „blauäugiger“ Umgang mit Russland

Pavel Golovkin
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin bei einer Pressekonferenz 2020. (Archivbild)
deutsche presse agentur

Der Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim durch Russland hätte man 2014 zwar härter begegnen können. Man könne aber auch nicht sagen, dass damals nichts gemacht worden sei. Sie verwies auf den Ausschluss Russlands aus der Gruppe führender Industrienationen (G8) und den Beschluss der Nato, dass jedes Land zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben soll. Sie sei nicht „blauäugig“ im Umgang mit Russland gewesen.

Auch dass sie sich 2008 gegen eine Nato-Osterweiterung um die Ukraine und Georgien gewandt habe, verteidigte Merkel. Hätte die Nato den beiden Ländern damals eine Beitrittsperspektive gegeben, hätte Putin schon damals einen „Riesenschaden in der Ukraine anrichten können“, sagt sie.

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Mit Wladimir Putin möchte die ehemalige Bundeskanzlerin nicht telefonieren

Merkel beklagt, dass es nach dem Mauerfall nicht gelungen sei eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die die jetzige Eskalation habe verhindern können. „Es ist nicht gelungen in all diesen Jahren, den Kalten Krieg wirklich zu beenden.“

Als Vermittlerin im Ukraine-Krieg sieht sich die frühere Kanzlerin nicht. Auf die Frage, ob sie mit Putin telefonieren würde, sagt sie: „Ich habe nicht den Eindruck, dass das im Augenblick etwas nützt.“

Die ehemalige Bundeskanzlerin wehrt sich auch gegen Kritik im Bezug auf die Bundeswehr

Former German Chancellor Angela Merkel attends a talk about "the challenging issues of our time" with author Alexander Osang at the Berliner Ensemble theatre in Berlin, Germany June 7, 2022. REUTERS/Annegret Hilse
Angela Merkel im Gespräch mit Alexander Osang.
MOS, REUTERS, ANNEGRET HILSE

Was der Kanzlerin gegen den Strich geht: Dass ihr nun angelastet wird, dass die Bundeswehr so heruntergewirtschaftet ist. Der Wehretat sei seit 2014 gestiegen, sagt sie. Und der SPD lastet sie an, dass die lange keine bewaffneten Drohnen anschaffen wollte.

Angela Merkel sagt „Ja“ zu Wohlfühlterminen

In dem Interview spricht Merkel auch über sehr persönliche Dinge. Die öffentlichen Zitteranfälle zum Beispiel, die in der Endphase ihrer Amtszeit für sehr große Besorgnis gesorgt hatten.

Richtig mitmischen in der Politik will Merkel nicht mehr. „Das ist nicht meine Aufgabe, jetzt Kommentare von der Seitenlinie zu geben“, sagt sie. Sie sei „Bundeskanzlerin a.D.“ und eben keine „ganz normale Bürgerin“. Sie bekomme viele Einladungen, wolle aber nicht nur Termine abarbeiten. Wenn sie lese, sie mache nur noch „Wohlfühltermine“, dann sage sie: „Ja.“ (dpa/cli)