Corona-Testcenter außer Kontrolle

Das Milliarden-Geschäft mit dem Bürgertest

16.04.2021, Niedersachsen, Hannover: Helfer testen eine Frau im «Testzentrum am Zoo» mit einem Schnelltest auf das neuartige Coronavirus. Das Robert Koch-Institut (RKI) vermeldet weiterhin steigende Corona-Neuinfektionen in Deutschland. Foto: Julian Stratenschulte/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Eine Lücke im System ermöglicht den Betrug (Symbolbild)
jst fgj, dpa, Julian Stratenschulte

Manche sprechen schon von einer regelrechten Goldgräberstimmung, ähnlich wie bei der Beschaffung von Schutzmasken im letzten Jahr. Seit Schnelltests für viele Teile des öffentlichen Lebens Pflicht sind, schießen an vielen Ecken Testzentren empor. Nicht nur in Arztpraxen oder Apotheken wird getestet, sondern auch auf Parkplätzen, in Restaurants und Fitnessstudios. Recherchen zeigen nun, dass eine Lücke im System groß angelegten Betrug ermöglicht. Die Betreiber müssen nämlich noch nicht mal nachweisen, dass sie überhaupt Testmaterialien eingekauft haben. Auch die Zahlen der angeblich durchgeführten Tests sind stellenweise offenbar deutlich übertrieben. Ein lukratives Geschäft.
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Unzählige Testzentren in Deutschland

Allein Mitte April gab es in Deutschland rund 15.000 Testzentren für kostenlose Corona-Tests. Ein solches Zentrum zu eröffnen, geht recht einfach: Umfangreiches medizinisches Wissen braucht man nicht, ein Onlinekurs über die Entnahme des Abstrichs reicht meist aus. Der anschließende Antrag wird vom Gesundheitsamt in der Regel ohne Schwierigkeiten genehmigt. Die meisten Bundesländer wissen aber gar nicht, wie viele Schnelltests in den Zentren durchgeführt werden. Nordrhein-Westfalen hat als eines von wenigen Ländern einen Kontrollmechanismus: Alle Teststellen müssen tagesaktuell die Zahl der durchgeführten Tests online melden. Und genau dort wird der Betrug ermöglicht.

Abrechnung über Kassenärztliche Vereinigung

Für den Bürger ist der Test kostenlos, der Staat erstattet den Betreibern allerdings die Kosten. Das sind bis zu 18 Euro pro Test – maximal sechs Euro für die Testmaterialien und zwölf Euro für die Durchführung. Dafür müssen die Betreiber der Kassenärztlichen Vereinigung die Zahl der durchgeführten Tests nennen und kriegen das Geld erstattet. Die Zahlen könnten häufig aber deutlich übertrieben sein. NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung hatten Einblicke in die interne Liste des Landes NRW, auf der die von den Betreibern gemeldeten Testzahlen stehen. Außerdem beobachteten sie mehrere Testzentren. An einer Teststelle zählten sie rund 100 Menschen, die sich haben testen lassen – gemeldet wurden aber 422. Andere Teststelle, gleicher Betreiber: Dort zählten die Journalisten 80 Menschen, gemeldet wurden sogar 977. Vor einem Möbelhaus wurden sogar 1743 Tests gemeldet, statt der tatsächlichen 550.

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Kein Nachweis notwendig

Der Betreiber sagt auf Nachfrage, die Zahlen von mehreren Testzentren seien teilweise zusammengefasst worden, angeblich nach Absprache mit den Städten. Diese weisen eine solche Absprache aber zurück und erklären, dass die Gesundheitsämter das teilweise sogar explizit verboten hätten.

Ohnehin gibt es keine wirkliche Kontrolle der Zahlen. Tatsächlich müssen die Betreiber noch nicht einmal nachweisen, dass sie überhaupt Schnelltests eingekauft haben. Sie müssen nur die Testzahlen übermitteln und kriegen das Geld erstattet. Namen oder andere persönliche Daten von getesteten Menschen dürfen sie aus Datenschutzgründen gar nicht übermitteln.

Kontrolle der Corona-Tests: Niemand zuständig

Das macht die Kontrolle schwierig, aber es fühlt sich in der Verwaltung ohnehin niemand dafür zuständig. Das Bundesgesundheitsministerium sagt, ihnen sei nicht bekannt, dass mehr Tests abgerechnet als durchgeführt werden. Wenn sich allerdings Anhaltspunkte für Abrechnungsbetrug ergebe, könne die Kassenärztlichen Vereinigungen die Fälle „prüfen", so das Gesundheitsministerium.

Die Kassenärztliche Vereinigung, die zwar die Abrechnung macht, das Geld aber nur vom Bund durchreicht, weist die Verantwortung aber von sich: „Man hat uns keine Kontrollrechte eingeräumt, insofern haben wir weder Kontrollrecht noch Kontrollpflicht.“ Außerdem habe man auch hier von Abrechnungsbetrug noch nichts gehört.

Auch bei den Materialien könnte getrickst werden

Ähnlich wie bei den Schutzmasken sind auch die Preise von Schnelltests stark gesunken. Cafés und Restaurants könne die Tests aktuell für rund 2,50 Euro pro Stück einkaufen. Größere Betreiber werden wahrscheinlich noch günstigere Preise bekommen, rechnen aber häufig trotzdem die maximal möglichen sechs Euro ab.

Rund eine Milliarde Euro aus Steuergeld

Ein hochrangiger Funktionär, der anonym bleiben möchte, rechnet gegenüber NDR, WDR und SZ mit hohen Kosten für den Steuerzahler: „Ich schätze, dass allein im Mai 50 bis 60 Millionen Bürgertests abgerechnet werden, also Kosten von rund einer Milliarde Euro entstehen. Aber im Sommer wird dieser Markt zusammenbrechen, weil dann niemand mehr so einen Test braucht. Am Ende wird man auf die Tests schauen wie auf die Masken: Die Politik brauchte ganz dringend große Mengen, es war Wildwest, viele Glücksritter und Betrüger drängten in den Markt, und es gab keine vernünftige Kontrolle.“

(rcl)

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