Essstörung, Druck, Machtmissbrauch – Heftige Vorwürfe gegen DTB

„Ich kann und will nicht mehr schweigen!” – jetzt packt unsere Turn-Elite aus!

Janine Berger (SSV Ulm) fiebert mit ihrem Team beim Finale der Deutschen Turnliga mit – jetzt erhebt die 27-Jährige schwere Vorwürfe gegen den Deutschen Turner-Bund.
Janine Berger (SSV Ulm) fiebert mit ihrem Team beim Finale der Deutschen Turnliga mit – jetzt erhebt die 27-Jährige schwere Vorwürfe gegen den Deutschen Turner-Bund.
picture alliance / Eibner-Pressefoto | Eibner/Michael Memmler

Deutschland erlebt ein Turn-Beben!
Die Sportlerinnen Tabea Alt, Michelle Timm und Emelie Petz erheben schwere Vorwürfe gegen den Deutschen Turner-Bund (DTB). Auch Janine Berger spricht nun erstmals öffentlich über die Missstände, die sie fast zerstört hätten. Auf Instagram teilt die 27-Jährige ihre erschütternde Geschichte – und fordert einen Wandel im deutschen Turnsystem.

Deutsche Turnerinnen stehen auf und fordern Veränderungen

Die Olympia-Vierte von 2012 veröffentlicht auf Instagram ein emotionales Statement, in dem sie dem Turnsystem Machtmissbrauch vorwirft. Berger schreibt: „Ich selbst habe über zehn Jahre gegen eine Essstörung gekämpft, die bis heute tiefe Spuren hinterlassen hat. Ich habe den Kampf beinahe verloren und bin froh, hier zu sein. Das Traurige ist, die Verantwortlichen wussten ganz genau Bescheid. Es wurde sogar befeuert. Ich konnte nie dünn genug sein und es wurde mir systematisch eingetrichtert, dass Essen schlecht sei. Ich wurde morgens, mittags und abends gewogen und wenn ich nur 200g zu viel auf der Waage hatte, wurde mir damit gedroht von Wettkämpfen und/oder Trainingslagern ausgeschlossen zu werden, unabhängig von meiner Leistung.”

Nach den Olympischen Spielen in London 2012, bei denen sie knapp eine Medaille verpasste, fühlte sich Berger allein gelassen. Statt Unterstützung zu erfahren, wurde ihr Gewicht für den Misserfolg verantwortlich gemacht – trotz eines Körperfettanteils von nur acht Prozent.

Machtmissbrauch und geplatzte Träume

Die Turnerinnen Nadine Jarosch, Janine Berger, Elisabeth Seitz und Kim Bui kurz vor den Olympischen Spielen 2012 in London.
Die Turnerinnen Nadine Jarosch, Janine Berger, Elisabeth Seitz und Kim Bui (von links) kurz vor den Olympischen Spielen 2012 in London.
picture alliance / Jan Haas | Jan Haas

Berger wirft dem Deutschen Turner-Bund (DTB) Machtmissbrauch und mangelnde Fürsorge vor. Ein Brief von 2013, den sie als Beispiel nennt, mache dies deutlich: Obwohl sie in den A-Kader berufen wurde, strich man ihr die finanzielle Unterstützung – wegen ihres Gewichts. „Es ging mehr um mein Gewicht als um meine Leistung”, erklärt Berger. Die ständige Angst vor der Waage und der Druck, Leistung zu bringen, trieben sie in eine tiefe Krise. Berger spricht von einem kaputten System, das Turnerinnen körperlich und seelisch zerstört: „Warum sind so viele Turnerinnen so jung kaputt? Warum wird gegen uns gearbeitet, statt mit uns?“

Lese-Tipp: „Systematischer Missbrauch“ – Ex-Turnerin Tabea Alt erhebt schwere Vorwürfe

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Auch Tabea Alt (24) zeigt Missstände auf

Tabea Alt im November 2019.
Tabea Alt im November 2019.
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Auch die frühere Spitzenturnerin Tabea Alt berichtet von systematischen Missständen. Alt, die 2016 an den Olympischen Spielen teilnahm, spricht von „systematischem körperlichem und mentalem Missbrauch“ und beschreibt, wie sie trotz Knochenbrüchen zu Wettkämpfen gezwungen wurde.

Michelle Timm (27) spricht von „massivsten Problemen” mit Trainerteam im weiblichen Bereich

„Essstörungen, Straftraining, Schmerzmittel, Drohungen und Demütigungen waren an der Tagesordnung“, beschreibt auch die ehemalige Nationalturnerin Michelle Timm die katastrophalen Zustände, speziell am Kunstturn-Forum Stuttgart.

Michelle Timm bei einer Übung im Finale des DTB-Pokals 2018.
Michelle Timm bei einer Übung im Finale des DTB-Pokals 2018.
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Besonders die Trainer und deren Umgang mit jungen Athletinnen stehen in ihrer Kritik. „Es gibt massivste Probleme mit dem Trainerteam im weiblichen Bereich.“

Emelie Petz beendet Karriere – mit 21 Jahren

Emelie Petz in Aktion am Schwebebalken bei der Deutschen Meisterschaft 2023.
Emelie Petz in Aktion am Schwebebalken bei der Deutschen Meisterschaft 2023.
picture alliance/dpa | Tom Weller

Die ehemalige Stufenbarren-Spezialistin Emelie Petz (21) sprach ebenfalls offen über ihre Erfahrungen mit Essstörungen und psychischem Druck. Die Olympiateilnehmerin von 2021 kämpfte jahrelang mit Selbstzweifeln und Perfektionismus. „Ich wollte immer die starke Emi sein und anderen nicht zeigen, wie sehr ich gekämpft habe“, schreibt sie auf Instagram. Petz berichtet, dass sie sich oft nur als erfolgreich oder wertvoll fühlte, wenn sie Höchstleistungen erbrachte. Ihre Verletzungen führten letztlich zum Karriereende im Jahr 2023. Da war sie gerade einmal 21 Jahre jung. „Meine Verletzung hat mir gezeigt, dass sich einige Leute nur für mich interessieren, wenn ich erfolgreich bin“, schreibt Petz weiter.

DTB in der Kritik – Turnerinnen fordern Wandel

Der Deutsche Turner-Bund reagierte auf die Berichte und verspricht eine unabhängige Untersuchung. Der Verband betont, dass „konkrete Informationen zu Fehlverhalten am Bundesstützpunkt Stuttgart“ vorliegen.

Die mutigen Stimmen von Janine Berger, Tabea Alt, Michelle Timm und Emelie Petz zeichnen ein erschütterndes Bild, das der deutsche Turnsport abgibt. Ein System, das offenbar mehr Wert auf Kontrolle und Macht legt als auf die Gesundheit und das Wohlergehen seiner Athletinnen.

Die vier Frauen berichten von Erfahrungen, die sie körperlich und seelisch an ihre Grenzen gebracht haben. Sie alle fordern einen umfassenden Wandel – um weitere Generationen Turnerinnen vor Missständen zu schützen. Janine Berger bringt es in ihrem Statement auf den Punkt: „Ich liebe diesen Sport über alles und es ist Zeit, gemeinsam aufzustehen und für Veränderung zu kämpfen.” (kra)