Hoher Anteil im Offenen Vollzug: Kuschel-Haft in NRW?NRW setzt auf offenen Strafvollzug – Kritik und Befürwortung
NRW hat bundesweit den höchsten Anteil an Häftlingen im Offenen Vollzug. Kritiker fürchten Missbrauch, Befürworter sehen eine Chance zur Resozialisierung.
NRW mit höchstem Anteil im Offenen Vollzug
Bundesweit sind im Schnitt 14 Prozent der Strafgefangenen im Offenen Vollzug untergebracht. In Nordrhein-Westfalen liegt der Anteil mit 25 Prozent deutlich höher. Das zieht sogar Angeklagte aus anderen Bundesländern an, die ihren Hauptwohnsitz nach NRW verlegen – in der Hoffnung auf eine mildere Haftform. Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft kritisiert diese Praxis: „Opfer fühlen sich häufig dann wirklich benachteiligt und sagen auch: Dann braucht man sich den ganzen Zirkus nicht mehr zu machen. Denn Opfer müssen ja auch vor Gericht. Sie müssen ihre Tat verarbeiten und sehen dann, dass ein zu liberaler Strafvollzug Gerichtsurteile unterläuft.”
Wer entscheidet über den Offenen Vollzug?
Ein Richter fällt das Urteil, die Staatsanwaltschaft weist die Justizvollzugsanstalt (JVA) zu, in der Regel in der Nähe des Wohnortes des Verurteilten. Fast immer beginnt die Haft im Geschlossenen Vollzug, später kann ein Antrag auf Offenen Vollzug folgen. Dabei arbeiten Gefangene tagsüber außerhalb des Gefängnisses, kehren aber nachts zurück. Die Entscheidung trifft die JVA-Leitung. Thorsten Schleif, Richter in Dinslaken, erklärt die Voraussetzungen: „Natürlich darf es niemand sein, der den Offenen Vollzug missbraucht, um weitere Straftaten zu begehen. Und natürlich darf es auch niemand sein, der den Offenen Vollzug nutzt, um dann zu fliehen. Wenn diese Voraussetzungen aber alle gegeben sind, dann ist jemand grundsätzlich für den Offenen Vollzug geeignet.”
Resozialisierung oder Sicherheitsrisiko?
Seit der Föderalismusreform 2006 bestimmen die Bundesländer selbst über ihren Strafvollzug. NRW verfolgt eine vergleichsweise liberale Linie. Das zeigt das Strafvollzugsgesetz NRW in Paragraph 12, Absatz 1: Strafgefangene sollen in den Offenen Vollzug, solange keine Gefahr von ihnen ausgeht. Das NRW-Justizministerium verteidigt seine Strategie: „Ziel des modernen Strafvollzuges ist nicht die Vergeltung und Sühne, sondern die Resozialisierung der Gefangenen, also die Befähigung der Gefangenen, künftig ein Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu führen.”
Bayern mit strengerem Kurs
Andere Bundesländer setzen auf eine härtere Gangart. In Bayern, dem statistisch sichersten Bundesland, sind nur 2,5 Prozent der Strafgefangenen im Offenen Vollzug. Das Strafvollzugsgesetz dort sieht vor, dass Gefangene grundsätzlich im Geschlossenen Vollzug untergebracht werden. Thomas Galli, ehemaliger Abteilungsleiter einer bayerischen JVA, erklärt: „Es ist schon so, dass in Bayern die politische Vorgabe vor allem die war: Es darf einfach nichts passieren. Denn immer, wenn ein Gefangener während Lockerungen eine Straftat begeht, kann das die politische Spitze in Bedrängnis bringen.”
Galli hält dennoch den NRW-Weg für richtig. NRW-Justizminister Benjamin Limbach setze auf die Zukunft der Insassen – und nicht auf seinen eigenen politischen Vorteil. Aber eine Antwort darauf, wie das Ministerium verhindern will, dass immer mehr Angeklagte aus anderen Bundesländern nach NRW ziehen, bleibt aus.