Mädchen (13) ersticht kleine Schwester (7) in Leipzig
Warum töten Kinder Kinder? Sozialpädagoge Thomas Sonnenburg ordnet ein
Wie kann es zu so einer schrecklichen Tat kommen?
Es ist eine Nachricht, die sprachlos macht. Am Freitagabend (25. Oktober) findet die Polizei in Leipzig gegen 19.15 Uhr ein sterbendes Mädchen in einem Mehrfamilienhaus vor – übersät mit Stichverletzungen. Nach derzeitigem Stand soll die große Schwester (13) zugestochen haben. Doch warum werden Kinder zu Mördern? RTL hat mit Dipl. Sozialpädagoge und Erziehungswissenschaftler Thomas Sonnenburg gesprochen.
Grausame Tat in Leipzig: Wie konnte es dazu kommen?
Es sind erst wenige Stunden vergangen, seit es in Leipzig zu dieser schrecklichen Tat kam. Ein 13-jähriges Mädchen soll seine jüngere Schwester (7) erstochen haben. Die Hintergründe sind derzeit noch unklar. Ob das Mädchen seine Schwester im Spiel, Affekt oder mit Vorsatz verletzt hat, ermittelt derzeit die Polizei. Aber: Dass die 13-Jährige sogar mehrfach zugestochen hat, lässt womöglich auf Vorsatz schließen. Was wir bisher über den Fall wissen, haben wir im Video oben zusammengefasst.
Sozialpädagoge Thomas Sonnenburg mahnt davor, voreilige Schlüsse zu ziehen. Bevor nicht final feststeht, wie es genau zum Tod des Mädchens kam, seien konkrete Aussagen zu dem „Warum“ in diesem Fall unmöglich.
Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung kann Sonnenburg jedoch einschätzen, welche Ursachen es grundsätzlich haben kann, dass Kinder andere Kinder – und sogar ihre Geschwister – töten.
Kennen Kinder Gewalt als einziges Lösungsmittel?
Zunächst einmal sei es jedoch wichtig, zu verstehen, dass sich heranwachsende Täter oft dem Ausmaß ihres Handelns im Vorfeld nicht bewusst sind – beziehungsweise nicht bewusst sein können. Denn: „In der Adoleszenz [Pubertät] entwickelt sich die Gehirnfunktion, die für das vorausschauende Denken verantwortlich ist, bei jedem Menschen mit als letztes.“ Dieser Fakt könne zwar keine Tat entschuldigen, er könne jedoch einiges erklären.
Außerdem sei es im Rahmen der anstehenden Ermittlungen wichtig, die folgenden Hintergrundfragen zu klären: Wie sind die beiden Kinder groß geworden? Wie ist der Familien-Kontext – die Biografien der Eltern, der Familie? Wie überdimensioniert war zum Beispiel das Thema Gewalt in der Familie? Ist z. B. in Konfliktsituationen in der Familie Gewalt das Lösungsmittel Nummer eins gewesen? Auch die Antworten hierauf können zwar keine Entschuldigung für die Tat liefern, jedoch könnten auch sie vieles erklären.
Denn: „Kinder, die in ihrem Heranwachsen Gewalt als einziges Lösungsmittel erfahren, wenden auch sehr oft Gewalt an, weil sie gar nichts anderes kennen“, erklärt Thomas Sonnenburg.
Warum töten Kinder andere Kinder? Diese Gründe kann es geben
Weitere Ursachen dafür, dass Kinder andere Kinder töten, können laut dem Sozialpädagogen sein:
Gesundheitliche Beeinträchtigungen: Es könne beispielsweise sein, dass die Kinder krankhafte Wahnvorstellungen haben. Es komme immer mal wieder vor, „dass Kinder und auch Erwachsene Dinge tun, weil sie getrieben werden.“
Affekthandlung: Es könne im Affekt zu einer tödlichen Situation kommen – insbesondere, wenn ein Erwachsener fehlt, um die Situation aufzulösen. Thomas Sonnenburg gibt aber auch zu bedenken: Wenn es eine Handlung im Affekt gewesen sein sollte, „reden wir über etwas, wo selbst Erwachsene ein Problem kriegen und nicht mehr in der Situation sind, ihr Handeln zu kontrollieren“.
Kommt es zu einer solchen Tat unter Geschwistern, könnte das außerdem die folgenden Ursachen haben:
Innerfamiliäre Probleme: Es könne beispielsweise sein, dass ein Kind in der Erziehung der Eltern gegenüber den Geschwistern vernachlässigt wird – „vielleicht auch nur im subjektiven Empfinden“.
Außerdem könne ein geschwisterlicher Konflikt, „der aus dem Ruder gelaufen ist“, ein Grund für die Tat gewesen sein.
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Thomas Sonnenburg hat wichtigen Appell an alle Eltern
Fest steht: „Die Bandbreite der möglichen Ursachen für diese Tat ist groß, das KANN alles sein.“ Zum jetzigen Zeitpunkt gelte es, abzuwarten, was die Ermittlungen ergeben.
Der Sozialpädagoge kann sich auch vorstellen, dass das 13-jährige Mädchen seine Tat heute aufs Bitterste bereut. Wenn Kindern die Tragweite dessen, was passiert ist, deutlich wird, komme es häufig zu Äußerungen wie „Das habe ich doch gar nicht gewollt“.
Außerdem hat Thomas Sonnenburg einen Appell an alle Eltern: „Schaut auf eure Kinder!“ Es sei wichtig, zu beobachten, wie Kinder in Konfliktsituationen reagieren. Sollten dabei Aggressionen oder auch autoaggressives, also selbstverletzendes Verhalten auffallen, müsse daran gearbeitet werden. Eltern sollten sich – wenn sie mit einer solchen Situation überfordert sind – professionelle Hilfe holen.