Therapien werden ihm verwehrt, aber Sterbehilfe bewilligt

ME/CFS-Patient Tobias (32) startet einen letzten Versuch, sein Leben zu retten

Tobias Schweikert (32) hat das chronische Erschöpfungssyndrom ME/CFS.
Seit 2020 ist Tobias Schweikert (32) „ans Bett gefesselt“ und „unfähig, alleine zu überleben“.
Tobias Schweikert/Privat

„Das war der Moment, in dem mein Leben, wie ich es kannte, endgültig endete.“
Tobias Schweikert (32) führte ein ganz normales Leben, war „ständig unterwegs“. Doch dann machten sich vor über 15 Jahren nach einer Erkrankung mit dem Epstein-Barr-Virus plötzlich „rätselhafte Symptome“ bemerkbar. Auf Hilfe hofft er bis heute vergebens. Nur eines hat man ihm genehmigt: den assistierten Suizid.

Seit 15 Jahren hofft Tobias vergeblich auf Hilfe

Im RTL-Interview erinnert sich Tobias Schweikert (32) an die Zeit vor 15 Jahren zurück, als sein Leben anfing, aus den Fugen zu geraten. „Ich fühlte mich permanent krank, als würde ich nie richtig gesund werden”, erklärt er. „Ich entwickelte starke Erschöpfung, brennende Schmerzen in Gesicht und Gliedmaßen, kognitive Ausfälle, Konzentrationsstörungen und eine bleierne Benommenheit. Licht und Geräusche wurden unerträglich.“

Doch das sollte noch lange nicht alles gewesen sein: „In den Wochen nach der Infektion erlitt ich eine Herzbeutelentzündung, eine Gastritis, eine Meningitis und weitere schwere Infektionen.“ Es folgte ein Aufenthalt auf einer Intensivstation. „Doch nach der Entlassung wurde ich mir selbst überlassen“, berichtet Tobias. Bis heute.

Lese-Tipp: Arzt heilt sich selbst von Long Covid – und hilft jetzt anderen

„Funktioniert. Gelächelt, obwohl mein Körper längst nicht mehr konnte”

Lange Zeit habe niemand Tobias’ Symptome ernst genommen. Und obwohl sich sein Gesundheitszustand zunehmend verschlimmerte, habe er viele Jahre lang durchgehalten und gekämpft.

Ich habe Schule und Studium abgeschlossen, obwohl ich täglich gegen Erschöpfung und Schmerzen ankämpfte. Ich habe in einem der größten Finanzunternehmen gearbeitet und später mein eigenes Unternehmen gegründet“, erklärt er in einem Spendenaufruf auf GoFundMe.

All die Jahre habe der 32-Jährige nur „funktioniert. Gelächelt, obwohl mein Körper längst nicht mehr konnte.“ Alles, was er wollte: Unabhängig bleiben und etwas Sinnvolles schaffen. Doch Tobias’ Zustand verschlechterte sich weiter.

Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

Seit 2021 „ans Bett gefesselt“ und „unfähig, alleine zu überleben“

„2020, aus tiefer Verzweiflung, begann ich eine Antibiotikatherapie, obwohl ich sie selbst kritisch sah“, erzählt er im Interview. Eine Ärztin habe Tobias Borreliose diagnostiziert und ihm versichert, dass die Therapie harmlos sei. „Ich hatte große Bedenken, aber fühlte mich allein.“ Während der Therapie habe Tobias nach und nach die Fähigkeit verloren zu gehen, zu sprechen und zu essen. Über Nacht habe er nicht mal mehr sitzen können. Seither liege Tobias nur noch flach auf dem Rücken. „Das war der Moment, in dem mein Leben, wie ich es kannte, endgültig endete.“

Seitdem ist Tobias, wie er selbst sagt, „ans Bett gefesselt“ und „unfähig, alleine zu überleben“.

„Ich bin rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. Ich brauche Unterstützung beim Trinken, bei der Ernährung, bei der Körperpflege, bei jeder noch so kleinen Bewegung.“ Bei alldem helfen ihm seine Tante und sein Onkel.

Was aber fehlt dem 32-Jährigen? Tatsächlich habe man das erst spät herausgefunden. Tobias leidet an „einer ganzen Reihe schwerer, chronischer Erkrankungen“. Dazu zählen:

  • sehr schweres ME/CFS (Chronisches Erschöpfungssyndrom)

  • MCAS (Erkrankung der Immunzellen)

  • POTS (das Posturale orthostatischesTachykardiesyndrom geht mit Herzfrequenzanstiegen im Stehen/nach dem Aufstehen einher)

  • Mitochondriale Dysfunktion (Erkrankung der Mitochondrien, die zur Energiegewinnung dienen)

  • Gastroparese (Magenentleerungsstörung durch Lähmung),

  • sowie weitere komplexe Begleiterkrankungen.

„Ich lebe in einem Zustand permanenter Erschöpfung und unerträglichen Schmerzen“, fasst Tobias die Folgen der Erkrankungen zusammen. „Jede dieser Krankheiten allein wäre belastend – gemeinsam haben sie meinen Körper und mein Leben vollständig zerstört.“

Video-Tipp: Was steckt hinter der Krankheit ME/CFS?

Assistierter Suizid ja, Therapie nein! Trotz Diagnose bekommt Tobias keine Hilfe

ME/CFS: Weil sich Tobias Schweikert seit Jahren nicht mehr bewegen kann, haben sich seine Muskeln zurückgebildet.
Weil sich Tobias Schweikert seit Jahren nicht mehr bewegen kann, haben sich seine Muskeln zurückgebildet.
Tobias Schweikert/Privat

Man sollte meinen, dass all die Beschwerden nach erfolgreicher Diagnose endlich behandelt werden. Doch das ist nicht der Fall.

Zwar habe Tobias eine Immunglobulintherapie gefunden, die seinen Gesundheitszustand stabilisieren kann, doch die Kosten dafür liegen laut eigenen Angaben bei rund 5.000 Euro pro Monat. Kosten, die seine Krankenkasse nicht bereit sei, zu übernehmen.

„Obwohl meine Erkrankungen schwer und offiziell anerkannt sind, übernimmt die Krankenkasse weder Behandlungen noch Medikamente oder Pflege“, erklärt Tobias. Er falle schlichtweg durch jedes Raster.

In einem Bescheid, der RTL vorliegt, erklärt Tobias‘ Krankenkasse die Ablehnung der Kostenübernahme wie folgt: „Für Immunglobuline zur subkutanen Gabe bestehen zugelassene Anwendungsgebiete […]. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes […] kann eine Kostenübernahme für Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete nur ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen in Betracht kommen. […] Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.“

Dabei hatte Tobias‘ Hausarzt 2023 extra ein Attest ausgestellt, auf dem er nicht nur seinen Zustand als „lebensbedrohlich“ bestätigt, sondern auch erklärt: „In Studien zum CFS zeigte eine Immunglobulintherapie an der Charité Berlin Wirksamkeit.“

„Ich bin am Ende meiner Kräfte – körperlich, seelisch, finanziell“, beschreibt Tobias seine aktuelle Situation.

Nur einen Ausweg da raus hat man Tobias genehmigt: den assistierten Suizid. Während rettende Therapien von der Krankenkasse abgelehnt werden, sei Tobias Zustand von ärztlicher Seite her als „hoffnungslos“ erklärt worden.

Tobias kämpft für sich und rund 650.000 andere Betroffene in Deutschland

Doch diesen Ausweg ist Tobias noch nicht bereit, zu gehen. Die GoFundMe-Spendenkampagne ist sein letzter Versuch, sein eigenes Leben zu retten. Denn mit dem Geld könnte Tobias nicht nur die sogenannte SCIG-Therapie wiederaufnehmen, die sich bei ihm bereits als wirkungsvoll erwiesen hat. Er könnte auch lebenswichtige Medikamente, spezielle medizinische Ernährung und Geräte und eine professionelle Pflege finanzieren, sowie Laboruntersuchungen und andere Tests durchführen lassen, damit Therapien neu bewertet und sein Zustand engmaschig überwacht werden kann.

„Insgesamt rechne ich – unter Berücksichtigung aller Behandlungsansätze, diagnostischer Maßnahmen und Grundversorgung – mit einem Gesamtbedarf von etwa 80.000 bis 100.000  Euro für das kommende Jahr.“

Doch Tobias treibt noch etwas anders an: „Mein Anliegen ist es, nicht nur meinen Fall, sondern auch die strukturellen Missstände rund um ME/CFS sichtbar zu machen.“ Denn der 32-Jährige ist bei weitem nicht der Einzige, der unter dem Erschöpfungssyndrom leidet. Allein in Deutschland gab es laut der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS vor der Corona-Pandemie rund 250.000 Erkrankte. Danach hätten die Zahlen noch einmal zugenommen. In einem Bericht der ME/CFS Research Foundation zusammen mit Risklayer habe es im Dezember 2024 in Deutschland 650.000 ME/CFS-Fälle gegeben. Weltweit soll es rund 17 Millionen Betroffene geben. Trotzdem ist die Krankheit bisher weitestgehend unerforscht und auf Hilfe hoffen zahlreiche Betroffene – so wie Tobias – vergebens.

Lese-Tipp: Albtraum ME/CFS! Anne (38) lebt in völliger Dunkelheit

Assistierter Suizid: „Keine leichte Entscheidung – und es ist keine gegen das Leben”

„Mir wurde in Deutschland assistierter Suizid genehmigt. Das war keine leichte Entscheidung – und es ist keine gegen das Leben. Sondern gegen die Qualen, die diese Krankheit verursacht.“ Tobias erklärt: „Es fühlt sich an wie lebendig zu verbrennen, ohne Ausweg.“

Dass ihm assistierter Suizid genehmigt, Therapien jedoch abgelehnt wurden, lasse den 32-Jährigen verzweifeln. „Es lässt mich daran zweifeln, ob meine Existenz überhaupt noch gesellschaftlich zählt. Und es macht mich wütend – weil wir Hunderttausende Betroffene haben, die nicht behandelt werden, weil die Politik nicht hinschaut“, sagt Tobias.

Mit dem Gang an die Öffentlichkeit hoffe er, „einen kleinen Teil dazu beitragen können, das zu verändern“.

Den Podcast „Teepause | Unser Leben mit ME/CFS” auf RTL+ streamen

Ihr wollt mehr über die Krankheit ME/CFS erfahren? Im Podcast „Teepause | Unser Leben mit ME/CFS” unterhalten sich zwei Betroffene über ihr Leben mit der unerforschten neuroimmunologischen Multisystemerkrankung und klären über Themen wie Pacing, Baseline und PEM auf.

Hier findet ihr Hilfe in schwierigen Situationen

Solltet ihr von Suizidgedanken betroffen sein, sucht euch bitte umgehend Hilfe. Versucht, mit anderen Menschen darüber zu sprechen! Neben Freunden oder Verwandten gibt es auch die Möglichkeit, anonym mit anderen Menschen über eure Gedanken zu sprechen. Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich.

Wenn ihr schnell Hilfe braucht, dann findet ihr unter der kostenlosen Telefon-Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 Menschen, die euch Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.