Zwangsstörung: Was versteht man unter Zwangshandlungen?

Eine Zwangsstörung ruft Zwangshandlungen und Zwangsgedanken hervor.
Bei einer Zwangsstörung hat man das Gefühl, etwas zwingend tun zu müssen, zum Beispiel die Hände waschen.
dpa, Z6068 Hans Wiedl

Was ist eine Zwangsstörung?

Habe ich den Herd wirklich ausgeschaltet? Sollte ich meine Hände nicht besser noch einmal waschen? Ist das Dachfenster auch ganz sicher geschlossen? Etwa ein bis zwei Millionen Menschen in Deutschland werden von solchen Zwangsgedanken oder -handlungen gequält. Anderen Menschen erscheinen diese Zwänge völlig übertrieben und unbegründet, doch für die Betroffenen stellen sie eine ernsthafte Erkrankung dar. Sie leiden an einer Zwangsstörung.

Wer an einer Zwangsstörung leidet empfindet selbst diese Gedanken und Handlungen als irrational und quälend – man hat das Gefühl, sich nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Zudem bedeuten eine Zwangsstörung für viele Betroffene eine starke Beeinträchtigung des Alltags: Sie nehmen viel Zeit in Anspruch und können Sozialkontakte schwierig machen.

Welche Arten der Zwangsstörung gibt es?

Ärzte unterscheiden bei einer Zwangsstörung zwischen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen – obwohl bei vielen Erkrankten gleich beide Formen auftreten. Zwangsgedanken sind Denkinhalte, sie sich zwanghaft immer wieder aufdrängen, obwohl man selbst sie als unsinnig erkennt. Meistens geht es um Ängste oder Überzeugungen, wie etwa der Angst, jemandem zu schaden, in eine peinliche Situation zu geraten oder ein Unheil anzurichten. Allerdings können diese Gedankengänge nicht befriedigend abgeschlossen werden – deshalb drängen sie sich immer wieder auf und müssen wiederholt werden, ohne dass es zu einem Ergebnis kommt.

Als Zwangshandlung verstehen Ärzte solche Handlungen, die man zwanghaft ohne oder sogar gegen den eigenen Willen ausführt. Wenn man versucht, diese Handlungen sein zu lassen, bekommt man Angst und Panik. Obwohl Betroffene genau wissen, dass ihr Verhalten übertrieben und unvernünftig ist, versuchen sie nur anfangs, Widerstand dagegen zu leisten. Denn wenn sie ihrem Handlungsdrang nachgeben, fühlen sie sich für eine kurze Zeit etwas entspannter und weniger ängstlich. Statistisch gesehen sind der Reinlichkeits- oder Waschzwang und bestimmte Kontrollzwänge die häufigsten Zwangshandlungen. Allerdings gibt es auch andere Zwangshandlungen, zum Beispiel den Zwang, bestimmte Dinge anzufassen oder gerade nicht anzufassen, Zählzwänge, die Betroffene dazu zwängen, Alltagsdinge wie Passanten zu zählen, oder den Ordnungszwang, der dazu führt, dass man in seiner Umgebung immerzu Symmetrien oder Gleichgewichte herstellen muss.

Meist entwickeln sich Zwangsstörungen schleichend. Es gibt jedoch bestimmte Kriterien, anhand derer man feststellen kann, ob man betroffen ist. Wichtig ist zunächst, dass man die Zwangsgedanken oder -handlungen als seine eigenen erkennt und nicht, wie etwa bei einer Persönlichkeitsstörung, als abgespalten vom eigenen Ich. Ebenso entscheidend ist, dass man gegen mindestens einen der Zwangsgedanken oder gegen eine Zwangshandlung noch Widerstand leistet, also den Gedanken oder die Handlung als unangenehm und unangebracht empfindet. Ebenso muss man die ständige Wiederholung dieser Symptome als unangenehm empfinden. Schließlich ist die Dauerhaftigkeit der Symptome ein Hinweis: Eine Zwangsstörung muss über mindestens 14 Tage an den meisten Tagen bestehen.

Zwangsstörung erkennen

Obwohl nach Schätzungen etwa zwei Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens einmal an einer Zwangsstörung erkranken und für die meisten von ihnen die Störung chronisch wird, dauert es im Schnitt mehrere Jahre, bis Betroffene deswegen einen Arzt besuchen. Das hat viele Gründe – vor allem wahrscheinlich den, dass der Betroffene selber genau weiß, dass seine Symptome völlig „unsinnig“ sind und er deshalb lange Zeit versucht, selber damit klarzukommen. Andererseits dürfte es aber auch eine Rolle spielen, dass Zwangserkrankungen in der Gesellschaft ein Tabuthema sind.

Welche Therapieformen einer Zwangsstörung gibt es?

Eine echte Zwangsstörung ist eine ernst zu nehmende psychische Erkrankung, die nur schwer zu behandeln ist. Die meisten Ärzte und Psychiater plädieren für eine Mischung aus medikamentöser Behandlung mit Psychopharmaka und einem psychotherapeutischen Ansatz, also einer Verhaltenstherapie. Die Medikamente sollen dafür sorgen, dass der Stoffwechsel im Gehirn, der bei Zwangspatienten gestört ist, wieder ins Gleichgewicht kommt und unterstützen so körpereigene Funktionen. Um optimal wirken zu können, müssen sie allerdings über einen längeren Zeitraum hinweg in einer relativ hohen Dosierung eingenommen werden.

Die Verhaltenstherapie basiert auf allgemeinen Lerngesetzen. Hilfreich kann es zum Besipiel sein (wie z.B. auch bei der Therapie von Phobien), den Betroffenen zunächst mit von ihm gefürchteten und gemiedenen Reizen zu konfrontieren – zum Beispiel muss sich ein Patient mit Ordnungszwang an einen völlig chaotischen Schreibtisch setzen. Anschließend wird er daran gehindert, sein Zwangsritual durchzuführen. Dadurch lernt er, eine schwierige Situation ohne die Zwangshandlung zu überstehen. Bei Gedankenzwängen kann der Therapeut seinen Patienten bitten, sich zunächst in der Phantasie mit seinen schlimmsten Ängsten auseinanderzusetzen und diese Gedanken schließlich durch ein Kommando unterbrechen.

Diese Therapieform – sich erst dem Reiz stellen und dann die Handlung unterdrücken – lässt die Betroffenen merken, dass die von ihm befürchteten Katastrophen (das Haus brennt ab, weil man den Herd angelassen hat) überhaupt nicht eintreten. Nach einiger Zeit verlieren so die unangenehmen Zwangsgedanken und Reize ihre Stärke – es tritt ein Gewöhnungseffekt ein. Den Patienten wird klar, dass sie ihre Ängste aushalten und nach und nach überwinden können.

Selber aktiv werden

Wichtig für die Behandlung einer Zwangsstörung ist es, dass der Patient lernt, die Übungen nach und nach selbst durchzuführen. Denn die meisten Zwangsstörungen treten auf, wenn sich der Erkrankte alleine zuhause befindet. Schlüssel zum Erfolg der Therapie ist also dauerndes Üben – je öfter der Patient auch in einer „realen“ Angstsituation seinem Zwang widerstehen kann, umso leichter fällt es ihm nach Ende der Behandlung, das auch ohne Anleitung eines Therapeuten zu schaffen. Hilfreich für einen dauerhaften Behandlungserfolg ist es daher auch, Angehörige oder Freunde des Patienten über die Behandlungsmethoden aufzuklären.

Auch andere Therapieformen können Patienten zu Hause weiter unterstützen. Als erfolgreiche Behandlungsmethode hat sich so zum Bespiel das „Assoziationstraining“ erwiesen. Hier lernen Patienten, zu den Dingen und Situationen, die ihnen Angst machen und Zwänge auslösen, neutrale Assoziationen zu bilden. Denn das Gedächtnis ist netzwerkartig organisiert und kann so ohne Probleme neue Verbindungen bilden. Ziel dieser Therapie ist es also, unangenehme Dinge für den Patienten vom Drang zum Zwang zu lösen. Ein Beispiel wäre etwa die Vermeidung aller Dinge, die mit der Zahl „13“ zu tun haben (also eine Form des Zählzwangs). Hier könnten Patienten lernen, die 13 nicht mit Unglück oder Pech zu assoziieren.

Ein weiterer Ansatz ist es, die Patienten selber erkennen zu lassen, wie unsinnig ihre Zwangsgedanken sind und welche Situationen diese auslösen. Das bedeutet: Man darf sich die Gedanken nicht krampfhaft verbieten, sondern soll sich ihnen stellen. Dabei hilft es etwa, ein Tagebuch zu führen, in dem man aufschreibt, wann man welchen Zwangsgedanken hatte und anschließend über diese Gedanken mit seinem Therapeuten und mit anderen zu sprechen. Ziel ist es, die Gedanken nach und nach umzubewerten – sie sind dann nicht mehr „verboten“ und gefährlich, sondern bekommen nach und nach ihren wirklichen Stellenwert – eine Idee, die kommt und geht. Doch ganz egal, welche Therapieform am Ende gewählt wird – es ist sehr wichtig, dass man zum Arzt geht, wenn man glaubt, an einer Zwangsstörung zu leiden. Denn ohne Behandlung kann eine Zwangsstörung sich immer weiter verschlimmern, bis man schließlich völlig die Kontrolle zu verlieren glaubt.