Würdelos in die Rente
Ronaldo besiegelt seinen sportlichen Abstieg in der Wüste
von Emmanuel Schneider
Es gab Zeiten, da blickte Fußball-Legende Cristiano Ronaldo (37) weniger euphorisch auf ein mögliches Engagement in der Wüste. 2015 sagte er in einem Interview mit der „Jonathan Ross Show“ relativ eindeutig: „In meiner Vorstellung beende ich meine Karriere auf Top-Niveau. In Würde bei einem großen Club. Das bedeutet nicht, dass es nicht gut ist, in die USA, Katar oder Dubai zu gehen. Aber ich sehe mich dort nicht.“
Ronaldo verpasst den richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt
Nun, die Zeiten haben sich geändert. Sieben Jahre später, in den letzten Tagen des Jahres 2022 schafft Ronaldo Tatsachen: Er beendet seine Karriere (ziemlich sicher) nicht auf Top-Niveau, nicht in Würde bei einem großen Club in einem legendären Stadion. Es läuft so ziemlich auf das Gegenteil hinaus und ist ein klassisches Beispiel dafür, dass ein einstmals unantastbarer Sport-Star den richtigen Zeitpunkt zum Absprung aus dem Profizirkus verpasst. Anders als beispielsweise Skirennläufer Matthias Mayer, der in dieser Woche nach Besichtigung der Ski-Strecke in Bormio kurzerhand Schluss machte – auf der Höhe seines Schaffens.
Lese-Tipp: Cristiano Ronaldo wechselt nach Saudi-Arabien
Ronaldo, einst fünfmaliger Weltfußballer, reitet nun hochoffiziell in Saudi-Arabien in seinen Fußball-Ruhestand. Am Freitag verkündete der nicht als Weltclub bekannte Al-Nassr FC den Wechsel des Weltstars zum saudi-arabischen Team.
Ein sportlicher Abstieg für den Mann, der den Fußball anderthalb Dekaden geprägt und neue Maßstäbe gesetzt hat. Vor allem in Sachen Tempo, Athletik, Sprungkraft, Kopfballspiel und Schusstechnik. Die Liste ist sehr lang. Länger ist noch die Liste seiner Rekorde. Er hält zum Beispiel die Tor-Bestmarken auf Vereins- und Nationalmannschaftsebene. Ein Fußball-Phänomen. Über Jahre hinweg war Ronaldo der Fußball-Star, dem alle nacheiferten, der das Spiel auf ein neues Level hievte. In England, Spanien und Italien. Die portugiesische Nationalelf führte er überraschend zum EM-Titel 2016.
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Ronaldo-Millionen machen schwindelig
Die kommenden zweieinhalb Jahre aber, die wohl seine letzte als Fußballprofi sein werden, lässt sich Ronaldo fürstlich im Wüstenstaat entlohnen. Allein 200 Millionen Euro soll er laut Medienberichten an Gehalt verdienen - pro Jahr. Macht in zweieinhalb Jahren circa eine halbe Milliarde Euro. Dimensionen, die schwindelig machen. Er wäre damit, klar, der bestbezahlte Sportler der Welt. Dazu dürfte noch ein saftiges Handgeld kommen, eine Transferablöse entfällt, da Ronaldo aktuell bei keinem Club mehr angestellt ist.
Das kann man zwar kritisieren, ist aber sein gutes Recht, nochmal kräftig zu verdienen. Zumal der Fußball in dieser Hinsicht ohnehin verloren scheint. Auch der Ort seines fußballerischen Vorrentendaseins steht massiv in der Kritik. Das ultra-konservative Königreich Saudi-Arabien missachtet laut Organisationen wie Amnesty International in vielen Bereichen Menschenrechte, betreibt Sportswashing at its best (bzw. eigentlich worst). Der Fall des ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi verstört bis heute. Nun kann man einwenden, dass auch der viel gefeierte Weltmeister Lionel Messi Werbung für die saudi-arabische Tourismusbehörde macht oder von Katar-Millionen (der Staatsfonds sponsert Paris St. Germain) bezahlt wird, die Formel 1 dort fährt, Boxer dort kämpfen, die spanische Liga den Supercup dort austrägt. Ja, alles richtig. Besser macht es das aber nicht.
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Talfahrt rasant beschleunigt
Der Portugiese kommt nicht nur in seiner eigentlichen Rolle als Fußballer nach Saudi-Arabien. Ronaldo soll wohl vor allem auch Werbung machen für das saudi-arabische WM-Projekt. Der Golfstaat will 2030 zusammen mit Ägypten und Griechenland die Weltmeisterschaft austragen. In Anbetracht der lächerlichen Vergabe nach Katar in diesem Jahr scheint mit dieser FIFA ohnehin alles möglich zu sein. Die über 200 Millionen Gehalt Euro für Ronaldo sind insofern für die saudi-arabischen Fußball-Macher gut investiertes Werbegeld – von den Trikoteinnahmen und Sponsoringverträgen mal ganz abgesehen (ins Stadion passen übrigens nur 25.000 Zuschauer).
Ronaldo tritt in den kommenden Jahren also vor allem als Werbefigur an. Sportlich ist die Liga irrelevant. Aber vielleicht passt das ja auch ganz gut zusammen.
Denn mit seinen Leistungen auf dem Rasen befand sich CR7 ohnehin schon seit ein, zwei Jahren auf einer Talfahrt. Nun aber ist das Ende offiziell eingeläutet. Im Herbst stellte er Manchester United mit einem Knallhart-Interview bloß, es folgte die Vertragsauflösung. Zuvor schon hatte er mit einem Wut-Abgang in die Kabine und ständigen Unmutsäußerungen seinen Trainer Erik ten Hag verärgert. Ronaldo hatte es sich mit allen verscherzt. Stammkraft war er schon lange nicht mehr.
Keine UEFA Champions League, kein Meisterschaftsrennen in der prestigeträchtigen Premier League, Serie A, Primera Division, nicht einmal in der Ligue 1 oder Bundesliga. Schon im Sommer bot sich Ronaldo durch seinen Berater nahezu überall in Europa an. Alle Topclubs, darunter auch der FC Bayern und Borussia Dortmund, lehnten dankend ab. Zu viel Geld für zu viel Risiko mit einer sportlichen Diva, die Ronaldo eben ist. Die Geldprobleme haben sie in Saudi-Arabien nicht.
Messi zieht an Ronaldo vorbei
Die Zeiten, in denen Ronaldo eine Liga wie in Spanien, Italien oder England (beim ersten Engagement bei Manchester United), dominiert hat, sind Vergangenheit. Die Gegenwart heißt Saudi Pro League. Kann man gut finden oder nicht. Es ist vor allem: Realität. Auch in der Nationalelf wurde Ronaldo in diesem Jahr auf offener Weltbühne degradiert. Während um ihn herum bei der WM bereits die Ticker-Meldungen zum möglichen Wechsel nach Saudi-Arabien glühten, setzte ihn Nationaltrainer Fernando Santos ab den K.o.-Spielen auf die Bank. Klar, gab es Diskussionen, aber als dann Ronaldo-Ersatz Goncalo Ramos auch noch im Achtelfinale gegen die Schweiz einen Dreierpack schnürte, wurde selbst den Portugiesen klar: Die große Zeit von Ronaldo ist vorbei. Es geht auch ohne ihn.
Zwar will der 37-Jährige wohl auch vorerst in der Nationalmannschaft weiterkicken, die Euro 2024 in Deutschland spornt den Ehrgeizling wohl weiter an. All zu Großes aber sollte man nicht mehr erwarten. Die Ronaldo-Ära – sie ist vorbei.
Natürlich bleibt er eine Legende. Schrammen aber bekommt sie nun schon ab, vielleicht sogar größere Beulen. Vor allem im Vergleich zu seinem Erzrivalen.
Während Messi eben Weltmeister wurde und bald wieder in der Champions League (mit PSG gegen Bayern) spielt, kickt Ronaldo vor deutlich weniger Zuschauern in einer bedeutungslosen Liga. Das Spätwerk der beiden Fußball-Picassos geht eindeutig an Messi.