Wenn das eigene Kind zum Mörder wird - wie Eltern nach Amokläufen weiterleben
Wenn Menscheen zu Mördern werden, gehören auch ihre Angehörigen zu den Opfern, Sie alle eint die Fassungslosigkeit, der Schock. Das eigene Kind - ein Mörder. Wie leben Eltern mit dieser Gewissheit?
Eltern von Andreas Lubitz treten in die Öffentlichkeit

Die Eltern von Todespilot Andreas Lubitz gehen in die Offensive. Günter Lubitz will eine Pressekonferenz geben, um die Öffentlichkeit von der Unschuld seines Sohnes zu überzeugen. "Bis heute wird an der Annahme des dauerdepressiven Copiloten, der vorsätzlich und geplant in suizidaler Absicht das Flugzeug in den Berg gesteuert haben soll, festgehalten. Wir sind der festen Überzeugung, dass dies so nicht richtig ist."
Für Traumapsychologin Katharina Körner ist das Vorgehen eine typische Reaktion darauf, dass die Eltern die Tat ihres Sohnes nicht verarbeiten können. "Aus Sicht der Eltern des Piloten kann man es nachvollziehen, insofern, dass es erklärbar ist, weil sie mit der Realität nicht zurecht kommen. Sie wollen es nicht wahrhaben, dass ihr Sohn Schuld ist an dem Tod von so vielen Menschen und versuchen dagegen anzukämpfen. Sie wollen versuchen, die Realität wegzudrücken. Sie halten diesen Wahnsinn, diesen Terror, der in ihnen selber tobt, nicht aus und sie wollen dagegen ankämpfen."
Die Pressekonferenz legte der Vater von Andreas Lubitz auf den zweiten Jahrestag des Absturzes - eine Entscheidung, die bei den Hinterbliebenen der Opfer für große Empörung sorgte. "Dass es am Jahrestag stattfindet, damit wollen die Eltern erreichen, die komplette Aufmerksamkeit zu haben und sie wollen natürlich bewusst, dass sich das überschneidet mit dem Schmerz."
Die Eltern von Andreas Lubitz hätten die Möglichkeit gehabt, anonym zu bleiben, abzutauchen. Sie entschieden sich dagegen.
Flucht aus Deutschland für Eltern von Münchner Amokläufer

Einen anderen Weg wählten die Eltern von David S. Der 18-Jährige hatte am 22.Juli 2016 in München neun Menschen und anschließen sich selbst erschossen.
Die Illustrierte 'Focus' berichtet, dass die Eltern von David S. in das Opferschutzprogramm der Polizei aufgenommen worden sind. Sie sollen Deutschland verlassen haben und leben nun unter einem neuen Namen in Österreich.
"Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an diese ganzen Menschen denke, denen Dylan Leid zugefügt hat"
Sue Klebolds Sohn Dylan ist verantwortlich für den blutigsten Tag in der amerikanischen Schulgeschichte. Dylan und sein Freund Eric stürmten wie zwei Soldaten ihre Columbine Highschool. Bewaffnet mit schweren Maschinengewehren. Auf der Suche nach wehrlosen Opfern, die sie hinrichten konnten. Als Sue Klebold einen Anruf bekommt, ihr Sohn hätte etwas damit zu tun, geht sie zunächst von einem Missverständnis aus. "Ich dachte, jemand hat sich vertan. Mein erster Gedanke war: Dylan befindet sich in Gefahr. Wer sind diese Leute, die anderen weh tun?"
Aber es wird schnell Gewissheit: "Wenn das wahr ist und Dylan verletzt Menschen, dann muss er irgendwie gestoppt werden. In diesem Moment habe ich gebetet, dass er stirbt." 13 Tote und 24 Schwerverletzte fordert der Amoklauf. Sues Sohn Dylan und sein Freund Eric erschossen sich am Ende selbst.
18 Jahre lang versucht Sue Klebold, sich aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Dann entscheidet sie sich, ein Buch über ihre Geschichte zu schreiben. Die Einnahmen spendet sie komplett und unterstützt damit Einrichtungen, die sich um psychisch kranke Menschen kümmern. Ihre Ehe hielt dem enormen Druck nach dem Amoklauf nicht stand: Sue Klebold sagt, sie habe eher den Weg in die Öffentlichkeit gesucht, während ihr Mann Tom sich zurückziehen wollte.
Eltern von Tim K. fühlten sich verfolgt

Die Eltern von Tim K. haben nach dem Amoklauf ihres Sohnes ihre Heimat verlassen. Sie verkauften ihr Haus in Winnenden, fühlten sich geradezu verfolgt. Der 'Welt am Sonntag' sagten sie in einem Interview, sie hätten ihren Namen geändert. Die Schwester von Tim K. sei zunächst in Frankreich weiter zur Schule gegangen, später nach Australien. Inzwischen lebt auch sie unter einem anderen Namen.
Tim K. hatte im März 2009 15 Menschen erschossen. Seinen Amoklauf begann er an der Albertville-Realschule in Winnenden. Anschließend tötete er sich selbst. Warum das geschehen sei und warum sie die Absichten ihres Sohnes nicht bemerkten, können seine Eltern bis heute nicht verstehen.
Die Waffe gehörte Tims Vater. Der Sohn nahm die Pistole aus dem Schlafzimmer. Weil die Waffe nicht weggesperrt war, wurde der Vater später zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt.
"Sie sprachen uns Mut zu"

Robert S. stürmte im April 2002 das Erfurter Gutenberg-Gymnasium. Der 19-Jährige erschoss elf Lehrer und fünf weitere Menschen, dann richtete er sich selbst.
Seine Eltern blieben nach dem Amoklauf in Erfurt. 2003 sagte Robert S.' Mutter in einem Interview mit der 'Thüringer Allgemeinen': "Wenn wir hier nicht mehr leben können, dann können wir überhaupt nicht mehr leben. Vor der Erinnerung kann man nicht fliehen. Sie würde einen an jedem Ort der Welt aufs Neue einholen."
Robert S.' Eltern erklärten, ihr Umfeld habe ihnen sehr geholfen, das Erlebte zu verarbeiten. "Wir haben unheimlich viele Briefe bekommen, über 1.500. Vor dem Öffnen hatten wir natürlich Angst. Was würde uns erwarten? Doch es gab überhaupt nur zwei Briefe, in denen uns die Schuld an dem gegeben wurde, was Robert getan hat. In allen anderen erfuhren wir Worte des Trostes und des Mitgefühls, sie sprachen uns Mut zu."