Wenn das eigene Kind zum Mörder wird - wie Eltern nach Amokläufen weiterleben

Wenn Menscheen zu Mördern werden, gehören auch ihre Angehörigen zu den Opfern, Sie alle eint die Fassungslosigkeit, der Schock. Das eigene Kind - ein Mörder. Wie leben Eltern mit dieser Gewissheit?

Eltern von Andreas Lubitz treten in die Öffentlichkeit

A wreath of flowers to the memory of victims from Spain is seen at the memorial for the victims of the air disaster in the village of Le Vernet, near the crash site of the Airbus A320 in French Alps March 27, 2015. A young German co-pilot barricaded himself alone in the cockpit of Germanwings flight 9525 and apparently set it on course to crash into an Alpine mountain, killing all 150 people on board including himself, French prosecutors said on Thursday. The pilot Andreas Lubitz, 27, who appears to have deliberately crashed a plane carrying 149 others into the French Alps received psychiatric treatment for a "serious depressive episode" six years ago, German tabloid Bild reported on Friday.   REUTERS/Eric Gaillard
Blumen an der Absturzstelle.
REUTERS, ERIC GAILLARD

Die Eltern von Todespilot Andreas Lubitz gehen in die Offensive. Günter Lubitz will eine Pressekonferenz geben, um die Öffentlichkeit von der Unschuld seines Sohnes zu überzeugen. "Bis heute wird an der Annahme des dauerdepressiven Copiloten, der vorsätzlich und geplant in suizidaler Absicht das Flugzeug in den Berg gesteuert haben soll, festgehalten. Wir sind der festen Überzeugung, dass dies so nicht richtig ist."

Für Traumapsychologin Katharina Körner ist das Vorgehen eine typische Reaktion darauf, dass die Eltern die Tat ihres Sohnes nicht verarbeiten können. "Aus Sicht der Eltern des Piloten kann man es nachvollziehen, insofern, dass es erklärbar ist, weil sie mit der Realität nicht zurecht kommen. Sie wollen es nicht wahrhaben, dass ihr Sohn Schuld ist an dem Tod von so vielen Menschen und versuchen dagegen anzukämpfen. Sie wollen versuchen, die Realität wegzudrücken. Sie halten diesen Wahnsinn, diesen Terror, der in ihnen selber tobt, nicht aus und sie wollen dagegen ankämpfen."

Die Pressekonferenz legte der Vater von Andreas Lubitz auf den zweiten Jahrestag des Absturzes - eine Entscheidung, die bei den Hinterbliebenen der Opfer für große Empörung sorgte. "Dass es am Jahrestag stattfindet, damit wollen die Eltern erreichen, die komplette Aufmerksamkeit zu haben und sie wollen natürlich bewusst, dass sich das überschneidet mit dem Schmerz."

Die Eltern von Andreas Lubitz hätten die Möglichkeit gehabt, anonym zu bleiben, abzutauchen. Sie entschieden sich dagegen.

Flucht aus Deutschland für Eltern von Münchner Amokläufer

Blumen, Kerzen und Fotos liegen am 17.03.2017 vor dem Olympia-Einkaufszentrum (OEZ), ein Schauplatz des Amoklaufs, in München (Bayern).  Fast acht Monate nach dem blutigen Amoklauf in München sind die Ermittlungen dazu abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft München I und das Bayerische Landeskriminalamt wollen am 17.03.2017 die Ergebnisse vorstellen. Foto: Sven Hoppe/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
David S. erschoss neun Menschen im OEZ in München. Anschließend richtete er sich selbst.
shp htf, dpa, Sven Hoppe

Einen anderen Weg wählten die Eltern von David S. Der 18-Jährige hatte am 22.Juli 2016 in München neun Menschen und anschließen sich selbst erschossen.

Die Illustrierte 'Focus' berichtet, dass die Eltern von David S. in das Opferschutzprogramm der Polizei aufgenommen worden sind. Sie sollen Deutschland verlassen haben und leben nun unter einem neuen Namen in Österreich.

Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

"Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an diese ganzen Menschen denke, denen Dylan Leid zugefügt hat"

Sue Klebolds Sohn Dylan ist verantwortlich für den blutigsten Tag in der amerikanischen Schulgeschichte. Dylan und sein Freund Eric stürmten wie zwei Soldaten ihre Columbine Highschool. Bewaffnet mit schweren Maschinengewehren. Auf der Suche nach wehrlosen Opfern, die sie hinrichten konnten. Als Sue Klebold einen Anruf bekommt, ihr Sohn hätte etwas damit zu tun, geht sie zunächst von einem Missverständnis aus. "Ich dachte, jemand hat sich vertan. Mein erster Gedanke war: Dylan befindet sich in Gefahr. Wer sind diese Leute, die anderen weh tun?"

Aber es wird schnell Gewissheit: "Wenn das wahr ist und Dylan verletzt Menschen, dann muss er irgendwie gestoppt werden. In diesem Moment habe ich gebetet, dass er stirbt." 13 Tote und 24 Schwerverletzte fordert der Amoklauf. Sues Sohn Dylan und sein Freund Eric erschossen sich am Ende selbst.

18 Jahre lang versucht Sue Klebold, sich aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Dann entscheidet sie sich, ein Buch über ihre Geschichte zu schreiben. Die Einnahmen spendet sie komplett und unterstützt damit Einrichtungen, die sich um psychisch kranke Menschen kümmern. Ihre Ehe hielt dem enormen Druck nach dem Amoklauf nicht stand: Sue Klebold sagt, sie habe eher den Weg in die Öffentlichkeit gesucht, während ihr Mann Tom sich zurückziehen wollte.

Eltern von Tim K. fühlten sich verfolgt

Amoklauf Winnenden: Gedenken an die Opfer WINNENDEN: Genau acht Jahre ist es her, dass der Amokläufer von Winnenden 15 Menschen tötete. Die Stadt hat am Samstag (11.03.2017) um 09:33 in einem öffentlichen Gedenken an die Opfer erinnert , Winnenden Copyright: 7aktuell.de

Amoklauf Winnenden Remembrance to the Victims Winnenden exactly eight Years is it her that the Running amok from Winnenden 15 People killed the City has at Saturday 11 03 2017 to 09 33 in a public Remembrance to the Victims recalls Winnenden Copyright 7aktuell de
Tim K. tötete acht Schülerinnen, einen Schüler und drei Lehrerinnen. Auf der Flucht erschoss er drei weitere Menschen. Anschließend richtete er sich selbst.
imago stock&people, imago/7aktuell, imago stock&people

Die Eltern von Tim K. haben nach dem Amoklauf ihres Sohnes ihre Heimat verlassen. Sie verkauften ihr Haus in Winnenden, fühlten sich geradezu verfolgt. Der 'Welt am Sonntag' sagten sie in einem Interview, sie hätten ihren Namen geändert. Die Schwester von Tim K. sei zunächst in Frankreich weiter zur Schule gegangen, später nach Australien. Inzwischen lebt auch sie unter einem anderen Namen.

Tim K. hatte im März 2009 15 Menschen erschossen. Seinen Amoklauf begann er an der Albertville-Realschule in Winnenden. Anschließend tötete er sich selbst. Warum das geschehen sei und warum sie die Absichten ihres Sohnes nicht bemerkten, können seine Eltern bis heute nicht verstehen.

Die Waffe gehörte Tims Vater. Der Sohn nahm die Pistole aus dem Schlafzimmer. Weil die Waffe nicht weggesperrt war, wurde der Vater später zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt.

"Sie sprachen uns Mut zu"

ARCHIV - Zwei junge Mädchen weinen am 28.04.2002 vor den mit Blumen und Kerzen übersäten Treppenstufen am Eingangsportal des Gutenberg-Gymnasiums in Erfurt. Ein Jahrzehnt ist es her, dass ein Ex-Schüler am Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen erschoss und sich selbst tötete. Es war der erste Amoklauf dieser Dimension an einer deutschen Schule. Am 26. April 2012 jährt sich das Massaker zum zehnten Mal. Foto: Stephanie Pilick dpa/lth (zu Themenpaket «Gedenken am Gutenberg-Gymnasium» zum 26. April 2012)  +++(c) dpa - Bildfunk+++
Robert S. stürmte im April 2002 das Erfurter Gutenberg-Gymnasium. Der 19-Jährige erschoss elf Lehrer und fünf weitere Menschen, dann richtete er sich selbst.
dpa, Stephanie Pilick

Robert S. stürmte im April 2002 das Erfurter Gutenberg-Gymnasium. Der 19-Jährige erschoss elf Lehrer und fünf weitere Menschen, dann richtete er sich selbst.

Seine Eltern blieben nach dem Amoklauf in Erfurt. 2003 sagte Robert S.' Mutter in einem Interview mit der 'Thüringer Allgemeinen': "Wenn wir hier nicht mehr leben können, dann können wir überhaupt nicht mehr leben. Vor der Erinnerung kann man nicht fliehen. Sie würde einen an jedem Ort der Welt aufs Neue einholen."

Robert S.' Eltern erklärten, ihr Umfeld habe ihnen sehr geholfen, das Erlebte zu verarbeiten. "Wir haben unheimlich viele Briefe bekommen, über 1.500. Vor dem Öffnen hatten wir natürlich Angst. Was würde uns erwarten? Doch es gab überhaupt nur zwei Briefe, in denen uns die Schuld an dem gegeben wurde, was Robert getan hat. In allen anderen erfuhren wir Worte des Trostes und des Mitgefühls, sie sprachen uns Mut zu."