Reportage aus den USA

Das "unsichtbare Monster" aus dem Wasserhahn: Fast die Hälfte der Amerikaner ohne sauberes Trinkwasser!

Die Wasserleitungen sind mit Blei verseucht
Shakima Thomas mit ihrem Sohn Bryce: “Es war ein Kampf, ihm beizubringen, dass er das Wasser jetzt nicht mehr trinken kann”.
RTL, RTL, RTL

von Hanna Klouth
Wenn Shakima Thomas ihren Sohn Bryce fürs Bett fertig macht und er sich die Zähne putzt, dann passt sie ganz genau auf. Denn der Wasserhahn ist für den Sechsjährigen komplett Tabu. Nur das Wasser aus der Flasche, das Shakima ihm gibt, darf er in den Mund nehmen. Denn im Wasser, das aus dem Hahn kommt, ist Blei. Das weiß Shakima seit Bryce vier Jahre alt war. “Es war ein Kampf ihm beizubringen, dass er das Wasser jetzt nicht mehr trinken kann.”, erzählt die junge Mutter. “Er wollte es einfach herunterschlucken, weil er das ja immer so gemacht hat.”
Keine Sekunde habe sie ihn aus den Augen gelassen - zu groß die Angst um ihren Sohn. Heute versteht Bryce, dass das Wasser, mit dem er so gerne spielt, gefährlich für ihn ist. Auch wenn es vollkommen harmlos aussieht.

Die ständige Unsicherheit

Shakima und Bryce waren dem Wasser vermutlich jahrelang unwissentlich ausgesetzt. Mittlerweile hat sie einen Filter unter dem Küchen-Waschbecken. Aber auch der beruhigt sie nicht. Sie fühle sich immer noch unsicher das Wasser zu benutzen - trotz Filter, erzählt sie mir. Wenn sie kocht, oder sich einen heißen Tee aufsetzt, greift sie immer auf das abgepackte Wasser zurück. Nur wenn sie das Wasser vorher auf seinen Bleiwert testen lässt, nutzt sie es. Aber dieser Test kostet sie jedes Mal 50 Dollar, umgerechnet knapp 42 Euro. Geld, das Shakima nicht einfach so übrig hat, sondern sich erst zur Seite legen muss.

Zehntausende Haushalte betroffen

Das Zuhause von Shakima und Bryce in Newark im US-Bundesstaat New Jersey ist nicht das einzige das betroffen ist: Es sind Zehntausende.

Seit 2016 wusste die Stadt Newark von diesem Problem, kehrte es aber zwei Jahre lang unter den Teppich, verleugnete es sogar. Erst ein richterliches Urteil zwang die Stadt 2018 dazu aktiv zu werden. Die Stadt sagt: das Wasser, das die Aufbereitungsanlagen verlässt, ist sauber. Das Problem sind die alten Versorgungsleitungen aus Blei. 18.000 davon sind mittlerweile ausgetauscht. Das Blei sei aber immer noch da, erklärt mir Anthony Diaz, Mitbegründer der “Newark water Coalition: “Landesweit ist ein Blei-Wert von 15 Teilen pro Milliarde erlaubt, im letzten Test lagen wir hier in Newark bei 13, also zwei Teile unter der Vorschrift. Das ist aber immer noch schädlich. Die Gesundheitsbehörde sagt ganz klar: es gibt keinen sicheren Wert für Blei.”

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Organisationen versuchen Problem zu lösen

Seit 2018 ist Anthony Diaz deswegen mit seiner Organisation aktiv. Jeden Samstag geben sie an zwei verschiedenen Stellen in der Stadt gefiltertes Wasser aus. Tausende Bewohner der Stadt sind hier registriert und können sich umsonst Kanister voll mit sauberem Wasser abholen.

“Wir müssen sicherstellen, dass Wasser keine Ware ist, sondern ein fundamentales Recht.”, sagt Anthony, “Blei ist so gefährlich, weil es dich heimlich und leise vergiftet. Es wirkt sich erst mit der Zeit auf dich aus. Wenn du ein Kind unter 6 Jahren bist, dann sind die gesundheitlichen Folgen desaströs. Verhaltensprobleme, ADHS ist ein Symptom der Bleivergiftung, Mangel an Konzentration, Aggression.“

Blei ist nicht das einzige Problem

News Bilder des Tages U.S. President Joe Biden speaks in the Eisenhower Executive Office Building in Washington, DC on Wednesday, June 2, 2021. Biden announced a plan to work with churches, colleges, businesses and celebrities to boost coronavirus vaccinations in the U.S. where demand for the shots has faltered. PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY WAX20210602805 SamuelxCorum
Fast zwei Billionen Dollar will Joe Biden in die Infrastruktur des Landes investieren - mit 45 Milliarden davon sollen zum Beispiel die Bleiwasserleitungen im Land ersetzt werden.
www.imago-images.de, imago images/UPI Photo, Samuel Corum via www.imago-images.de

Und Newark ist bei weitem kein Einzelfall im Land. Und Blei bei weitem nicht das einzige Problem im Trinkwasser. Die Systeme sind uralt. Wissenschaftler schätzen: das Leitungswasser von über 200 Millionen Amerikanern ist durch Chemikalien verunreinigt. Gegenden, in denen viele Latinos und Afroamerikaner leben, sind dabei besonders betroffen.

Der “American Jobs Plan” des neuen amerikanischen Präsidenten soll das jetzt ändern. Fast zwei Billionen Dollar will Joe Biden in die Infrastruktur des Landes investieren - mit 45 Milliarden davon sollen zum Beispiel die Bleiwasserleitungen im Land ersetzt werden. Doch bislang stellen sich die Republikaner quer und Joe Biden konnte für sein Programm noch nicht die notwendige Mehrheit im Kongress gewinnen. Biden soll sogar sein Angebot noch einmal gesenkt haben und spricht jetzt nur noch von einer Billion Dollar.

Das "unsichtbare Monster" aus dem Wasserhahn

Das Beispiel Newark zeigt, wie dringend gehandelt werden muss.

Shakima Thomas geht jeden Abend mit der Angst ins Bett, Bryce könnte tatsächlich über die Jahre noch bleibende Schäden entwickeln. Denn als sie sein Blut testen ließ zeigte sich: der Sechsjährige hat tatsächlich Blei im Körper. Ist bei Level vier. Ab Level fünf müsste er Medikamente nehmen, haben ihr die Ärzte gesagt. “Ich habe Angst, dass er anfängt Verhaltensprobleme zu entwickeln.”, sagt sie zu mir unter Tränen.

“Für mich als Mutter ist es beängistigend zu denken, dass sein Gehirn eines Tages nicht mehr so arbeitet, wie es sollte und dass wegen des Bleis und das ist einfach nicht fair.” Und so versucht Shakima vor allem eins zu verhindern: dass Bryce zu oft in Kontakt dem Wasser in ihrem Haus kommt. Dem, wie sie es nennt, unsichtbaren Monster aus ihrem Wasserhahn. Damit ihr kleiner Sohn auch in Zukunft weiter unbeschwert sein kann.