Undercover-Blog: "Team Wallraff"-Reporter Torsten Misler über die Situation in Jobcentern
"Was hier abgeht, das müsste sich wirklich mal die Frau Nahles ansehen!" Ich stehe mit einer Mitarbeiterin des Jobcenters zusammen in der Kaffeeküche. Ein Satz, an den ich auch nach den Undercover-Einsätzen oft denken musste und der das 'Team Wallraff' bestärkt hat, die Zustände in den Jobcentern öffentlich zu machen. Nach der Ausstrahlung hoffe ich, dass die Bundesarbeitsministerin bei diesem Thema nicht wegschaut. Denn was ich über Wochen und Monate erlebt habe, war nicht nur bedrückend, haarsträubend, absurd, zum Haare raufen, sondern leider oft auch unmenschlich.
Es ist Montagmorgen und Monatsanfang: Gerade jetzt ist das Geld bei vielen Arbeitslosen knapp. Im Wartebereich des Jobcenters sitzen 40 bis 50 Arbeitslose. Die meisten haben kein Geld bekommen oder wollen nachfragen, wann endlich ihr Antrag bearbeitet wird. Auf der anderen Seite sitzen Mitarbeiter, die zwar helfen wollen, aber oft nicht können. Personal ist extrem knapp, die Einarbeitungszeit für neue Kollegen zu kurz. Statistiken müssen gepflegt werden, für wirkliche Hilfe für Arbeitslose ist kaum Zeit. "Wir haben so viel mit uns selbst zu tun, dass wir gar keine Arbeitslosen brauchen", meint eine Kollegin sarkastisch.
Ich weiß, dass Jobcenter-Mitarbeiter oft in der Kritik stehen und gerade deshalb: Ich teile diese Kritik nicht. Die meisten Mitarbeiter habe ich als engagiert erlebt, sie machen nicht nur Dienst nach Vorschrift. Und ganz ehrlich: Die Arbeit dort ist auch kräftezehrend, denn es geht sehr oft um menschliche Schicksale, die zu Tränen rühren, wütend oder auch fassungslos machen. Die Mutter dreier kleiner Kinder, die von ihrem Ex-Mann verprügelt wurde und jetzt eine neue Wohnung sucht. Die Frau, die nach einer Krebsdiagnose zusätzlich Depressionen bekam. Der Jugendliche, in dessen Kindheit so ziemlich alles schief gelaufen ist, was schief laufen konnte - ihnen allen sollen die Arbeitsvermittler helfen, einen neuen Job zu finden. Auch wenn die Politik uns oft etwas anderes glauben machen möchte: Das ist allzu oft eine unlösbare Aufgabe oder zumindest eine Aufgabe, für die die Mitarbeiter viel mehr Zeit haben müssten.
Vor wenigen Tagen habe ich mich nochmals mit einem unserer Informanten getroffen. Der 48-Jährige ist Arbeitsvermittler in einem Jobcenter und erzählte mir, dass sich die Situation seit unseren Undercover-Recherchen eher noch verschlimmert habe. Ein neues Computerprogramm wird gerade eingeführt, es gibt neue Regeln für die Auszahlung von Hartz-IV-Geldern - das alles bei ohnehin schon krassem Personalmangel. Er habe sich mehrmals bei Vorgesetzten beschwert, passiert ist nichts - auch bei ihm war der Wunsch, dass sich jetzt endlich etwas ändert, nicht zu überhören.