Ukrainischer Staatschef lehnt Rücktritt ab - das Parlament erklärt ihn für abgesetzt

Das Ringen um die Macht in der Ukraine geht weiter: Präsident Janukowitsch erklärt, er sei nicht zu einem Rücktritt bereit. Dennoch erklärt ihn das Parlament für abgesetzt. Die Regierungsgegner haben die Macht in Kiew übernommen, auch die Polizei hat sich auf die Seite der Opposition geschlagen. Der ukrainische Parlamentschef Wladimir Rybak hat seinen Rücktritt erklärt. Oppositionsführerin Julia Timoschenko ist nach mehr als zweieinhalb Jahren aus der Haft entlassen worden und erklärte, dass eine Diktatur gestürzt worden sei.

Newly elected speaker of parliament Oleksander Turchynov attends a session of the Ukrainian parliament in Kiev February 22, 2014. Protesters seized the Kiev office of President Viktor Yanukovich on Saturday and the opposition demanded a new election be held by May, as the pro-Russian leader's grip on power rapidly eroded following bloodshed in the capital. The speaker of parliament, a Yanukovich loyalist, resigned and parliament on Saturday elected Oleksander Turchynov, a close ally of Tymoshenko, as his replacement. REUTERS/Alex Kuzmin (UKRAINE - Tags: POLITICS CIVIL UNREST)
Der neue Parlamentschef Alexander Turtschinow soll zusätzlich bis zur Ernennung einer Übergangsregierung die Kabinettsarbeit steuern.
REUTERS, STRINGER

Doch Viktor Janukowitsch bleibt hart. Im Kampf um die Macht in der Ukraine hat der Präsident bekannt gegeben, dass er einen Rücktritt ablehnt. Er werde weder das Land verlassen noch den jüngsten Entscheidungen des Parlamentes zustimmen. Das Parlament erklärt ihn dennoch für abgesetzt und ordnet Neuwahlen für den 25. Mai an: Der Staatschef übe sein Amt nicht aus und habe sich widerrechtlich Vollmachten angeeignet, erklärten die Abgeordneten.

Die Gegner des ukrainischen Präsidenten haben nach eigenen Angaben die Macht in Kiew übernommen und fordern weiterhin seinen Rücktritt. Wo genau sich dieser derzeit aufhält, ist unklar. Nach der Aussage enger Vertrauter soll er sich in der ostukrainischen Stadt Charkow befinden, will bald nach Kiew zurückkehren. Andere Stimmen behaupten, er habe das Land verlassen. Interfax zitiert den ukrainischen Parlamentspräsidenten mit den Worten, Janukowitsch habe nach Russland fliehen wollen. Er befinde sich derzeit in der ostukrainischen Stadt Donetsk.

Die ukrainischen Sicherheitsorgane des Innenministeriums haben sich in Kiew offiziell auf die Seite der Opposition geschlagen. Das teilte die für die Polizei im Land zuständige Behörde auf ihrer Internetseite mit. Das diene ausschließlich dem ukrainischen Volk und unterstütze vollständig das Streben der Bürger nach schnellstmöglichen Änderungen, hieß es in der Mitteilung.

Ukraine droht ein Machtvakuum

Die sogenannten Selbstverteidigungskräfte hätten zuvor die Kontrolle über das Parlament, den Regierungssitz und die Präsidialkanzlei übernommen, sagte Andrej Parubij, der Kommandant des Protestlagers, auf dem Unabhängigkeitsplatz. Auch in dieser Nacht harrten tausende Menschen auf dem Maidan aus. Zwar gibt es keine neue Gewalt, doch die Regierungsgegner wollen sich nicht an die ausgehandelten Beschlüsse halten.

Sie kritisieren, ein vorläufiges Abkommen Janukowitschs mit der parlamentarischen Opposition sei nicht ausreichend. Darin hatten die Konfliktparteien unter EU-Vermittlung vorgezogene Präsidentenwahlen, eine Übergangsregierung und eine neue Verfassung vereinbart. "Wir fordern den sofortigen Rücktritt des Präsidenten", sagte Parubij. Falls Janukowitsch offiziell zurücktreten sollte, übernähme laut Verfassung der Regierungschef die Führung des Landes.

In rund zwei Dutzend Städten stürzten Regierungsgegner Statuen des sowjetischen Revolutionsführers Lenin. Er gilt ihnen als Symbol des alten Regimes, dessen Vertreter noch im sowjetischen System groß geworden sind. In den vergangenen Tagen waren bei Zusammenstößen von Regierungsgegnern mit der Polizei in Kiew mindestens 77 Menschen getötet worden.

Die ukrainische Führung verliert immer mehr die Kontrolle über das Land. Der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko will den Präsidenten durch die Oberste Rada absetzen lassen. "Das Parlament ist heute das einzige legitime Organ, das Entscheidungen trifft", sagte Klitschko. Bundesaußenminister Steinmeier sprach zwar von einem Fortschritt, dass es die zweite Nacht in Folge keine Toten gegeben habe. Er bezeichnete die Lage in der Ukraine aber als "höchst fragil".

Klitschko und zwei andere Vertreter der Demonstranten hatten am Freitag in Kiew mit Janukowitsch ein Abkommen unterzeichnet, das unter Vermittlung der Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens ausgehandelt wurde. Innerhalb von zehn Tagen soll eine Regierung der nationalen Einheit gebildet werden, unter Einschluss der Opposition. Gegen Verantwortliche für die Gewalteskalation soll zudem ermittelt werden - unter Aufsicht der Regierungsbehörden, der Opposition und des Europarats. Das Parlament beschloss zugleich die Freilassung aller Demonstranten, die bei den gewaltsamen Protesten der vergangenen Tage festgenommen worden waren.

Bis September soll laut dem Abkommen eine grundlegende Verfassungsreform erarbeitet werden. Ziel ist die weitere Stärkung von Regierung und Parlament auf Kosten des Staatschefs - auch dies eine Kernforderung der Opposition.

Die Demonstrationen in der Ukraine hatten Ende November 2013 begonnen, nachdem Janukowitsch auf Druck Russlands ein historisches Abkommen mit der EU kurzfristig auf Eis gelegt hatte.