Ukraine: Kehrt nun endlich Ruhe ein?

In der Ukraine haben Regierungsgegner und Präsident Viktor Janukowitsch ein Abkommen zur Lösung der Staatskrise unterzeichnet. Unter Vermittlung der EU vereinbarten die Konfliktparteien vorgezogene Präsidentenwahlen bis zum Dezember, eine Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie und eine Übergangsregierung unter Beteiligung der Opposition.

epa04093716 Ukrainian lawmakers argue during a session of Ukrainian Parliament in Kiev, Ukraine, 21 February 2014 as they object speaker declared a pause, delaying a debate on a possible resolution calling for President Viktor Yanukovich's powers to be reduced. Ukrainian lawmakers have passed a law that allows the freeing of former Prime Minister Yulia Tymoshenko. Ukrainian President Viktor Yanukovych and opposition leaders signed an agreement on a way out of the country's political crisis. The deal calls for the formation of a national unity government within ten days and for early presidential elections no later than December. Yanukovych's term ends in March 2015. Shortly after the signing, parliament voted in favour of restoring a 2004 constitution that limits the powers of the president and approved an amnesty. EPA/ANDREW KRAVCHENKO +++(c) dpa - Bildfunk+++
In ukrainischen Parlament kam es heute erneut zu einer Schlägerei.
dpa, Andrew Kravchenko

Überraschend ebnete das Parlament den Weg für eine Freilassung der seit rund zweieinhalb Jahren inhaftierten Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko. Die Oberste Rada in Kiew stimmte mit großer Mehrheit für ein Gesetz, das die Vorwürfe des Amtsmissbrauchs gegen die Ex-Regierungschefin nicht mehr als Straftaten wertet. Timoschenko war Anführerin der demokratischen Orangenen Revolution von 2004, Janukowitsch ihr langjähriger Erzfeind.

Zudem votierten die Parlamentarier ohne Gegenstimmen für eine Rückkehr zur Verfassung von 2004. Damit wird die Macht des Präsidenten deutlich beschnitten und das Parlament gestärkt. Janukowitsch muss beide Gesetze noch unterzeichnen, damit sie in Kraft treten.

Die Oberste Rada setzte darüber hinaus den umstrittenen Innenminister Witali Sachartschenko ab. Die Opposition macht den 51-Jährigen für brutale Einsätze der Polizei gegen friedliche Demonstranten verantwortlich. Allein am Donnerstag hatten unbekannte Scharfschützen Dutzende Regierungsgegner erschossen.

Mit Pfiffen und Buhrufen haben Zehntausende Regierungsgegner die Oppositionsführer nach der Einigung auf die Krisenlösung empfangen. Der Anführer der radikalen Splittergruppe Rechter Sektor, Dmitri Jarosch, kündigte an, nicht die Waffen niederzulegen, bevor der Staatschef zurücktrete. Anderer Redner drohten damit, die Präsidialverwaltung zu stürmen. Der Opposition um Vitali Klitschko warfen sie "Verrat" vor. Die Menge auf dem Unabhängigkeitsplatz forderte in Sprechchören den Kopf des Präsidenten. Und so ist weiterhin offen, ob das Land nach der Eskalation der Gewalt mit mindestens 77 Toten nun zur Ruhe kommt.

Janukowitschs Machtbasis bröckelt

Nach dem von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) mit ausgehandelten Friedensplan soll nun innerhalb von zehn Tagen eine Regierung der nationalen Einheit gebildet werden, unter Einschluss der Opposition. Gegen Verantwortliche für die Gewalteskalation soll zudem ermittelt werden - unter Aufsicht der Regierungsbehörden, der Opposition und des Europarats. Das Parlament beschloss zugleich die Freilassung aller Demonstranten, die bei den gewaltsamen Protesten der vergangenen Tage festgenommen worden waren.

Bis September soll laut dem Abkommen eine grundlegende Verfassungsreform erarbeitet werden. Ziel ist die weitere Stärkung von Regierung und Parlament auf Kosten des Staatschefs - auch dies eine Kernforderung der Opposition.

Schon jetzt scheint Janukowitschs Machtbasis zu bröckeln. Ihm gehen nach den Zugeständnissen an die Opposition immer mehr Abgeordnete seines Lagers von der Fahne. Schon 24 Politiker der regierenden Partei der Regionen verließen die Fraktion, wie Vize-Parlamentschef Ruslan Koschulinski mitteilte. Sie hatte zuletzt 205 von 450 Sitzen.

Möglich wurde das Abkommen, nachdem eine EU-Delegation um Steinmeier sowie der russische Vermittler Wladimir Lukin die ganze Nacht hindurch mit Janukowitsch und Oppositionsführern verhandelt hatten. Als die Vereinbarung stand, holten Steinmeier und sein polnischer Kollege Radoslaw Sikorski die Zustimmung des sogenannten Maidan-Rates ein. Dem Gremium gehören verschiedene Gruppen von Regierungsgegnern an, die seit Wochen im Kiewer Stadtzentrum demonstrierten, darunter auch Radikale und Gewaltbereite.

Steinmeier bewertete die Übereinkunft nach der Unterzeichnung vorsichtig optimistisch. "Das war vielleicht die letzte Chance, um einen Ausweg aus der Spirale der Gewalt zu finden. Nicht alle Probleme sind gelöst", sagte er. Trotzdem gebe es Grund, "zuversichtlich nach vorne zu schauen".

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht nach den Verhandlungen eine vorsichtige, letzte Chance, nun zu einem politischen Prozess zu kommen. Steinmeier hat sich nach seiner Rückkehr aus der Ukraine verhalten optimistisch über ein Ende der Auseinandersetzungen gezeigt. "Wir wollen uns nicht zu früh freuen", so der Minister.

Der russische Vermittler Lukin unterzeichnete die Vereinbarung zwar nicht, weil es noch "offene Fragen" gebe, kündigte aber nach seiner Rückkehr in Moskau an, er wolle die Vermittlung in Kiew fortsetzen.

Die Demonstrationen in der Ukraine hatten Ende November 2013 begonnen, nachdem Janukowitsch auf Druck Russlands ein historisches Abkommen mit der EU kurzfristig auf Eis gelegt hatte.