Pathologe Thomas H. ist vor dem Landgericht Saarbrücken angeklagt

Ein Patient tot, eine Patientin entstellt: Wieso stellte dieser Arzt reihenweise falsche Krebs-Diagnosen?

Thomas H. ist unter anderem wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt.
Thomas H. ist unter anderem wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt.
RTL
von Larissa Hofmann und Jan Dafeld

„Er ist nur zu einer Vorsorgeuntersuchung gegangen. Es war im Prinzip eine Routineuntersuchung.“ Simone Stutz wird immer noch emotional, wenn sie daran denken muss, was vor vier Jahren passiert ist: Ihr Bruder Winfried erleidet bei einer Darm-Operation eine Blutvergiftung und stirbt. Es war eine schreckliche Erfahrung für die Familie. Was ihren Schmerz noch verstärkt: Winfried war gesund, die OP hatte er offenbar gar nicht nötig. Wegen schwerwiegenden Fehlern wie diesem steht sein Arzt Thomas H. nun in Saarbrücken vor Gericht. Die entscheidende Frage: Wusste der Pathologe, dass er seine Patienten falsch behandeln ließ? Oder war er schlichtweg überfordert?

Saarbrücken: Arzt gibt vor Gericht Fehler zu

Vor Gericht erscheint H. in roten Krankenhausklamotten: Mittlerweile ist er selbst Patient, sein Gesundheitszustand schlecht. In der Untersuchungshaft muss er medizinisch behandelt werden. „Wir haben alles getan, um ihn für heute fit zu bekommen“, sagt sein Anwalt. Bei seiner Aussage wirkt der Angeklagte durcheinander. Immer wieder muss er lange Pausen machen, mehrfach widerspricht er sich in seinen Aussagen selbst.

Der 63-Jährige gibt zu, dass ihm Fehler unterlaufen sein könnten. Er war abhängig von Alkohol und Medikamenten, räumt er ein. Manche Proben, die er in seinem Institut in St. Ingbert auswerten sollte, seien unbrauchbar gewesen. Eine weitere Probe zu entnehmen wäre für seine Patienten jedoch mit Leid verbunden gewesen. Dieses wollte er ihnen ersparen. Fehldiagnosen aus Mitleid also? Eine seltsame Argumentation.

H. sagt auch, dass er sehr viel gearbeitet habe. Rund 50.000 Fälle habe er pro Jahr übernommen. Normal sind etwa 30.000. Bei so vielen Fällen liege seine Fehlerquote bei gerade mal 0,003 Prozent. Und Fehler mache doch schließlich jeder Mensch, argumentiert seine Verteidigung. Pikant allerdings: Obwohl H. offenbar bereits zu viel arbeitete, beauftragte der Arzt damals eine Marketingfirma damit, Werbung für ihn zu machen, um noch mehr Aufträge zu bekommen. Ging es ihm also um Geld? Simone Stutz ist davon überzeugt: „Das monetäre Ziel steht für mich im Fokus, wenn ich mir das heute so anhören muss“, sagt sie. „Bei allen Parteien.“

Nach Krebs-Fehldiagnose: Winfried H. starb im Krankenhaus Püttlingen

Simone Stutz verlor ihren Bruder, der von H. untersucht worden war.
Simone Stutz verlor ihren Bruder, der von H. untersucht worden war.
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Bei ihrem Bruder Winfried führte H.s fehlerhafte Diagnose dazu, dass er vor vier Jahren am Darm operiert wurde. Der Arzt hatte Krebs bei dem Patienten festgestellt. Bei dem Eingriff im Knappschaftskrankenhaus Püttlingen traten Komplikationen auf. Der 50-Jährige starb kurz darauf an einer Blutvergiftung mit Organversagen. Nach einer Operation, die er gar nicht nötig gehabt hätte.

Doch diese Fehldiagnose war offenbar kein Einzelfall: Eine weitere Patientin unterzog sich nach einer falschen Krebsdiagnose von H. einer schmerzhaften Chemotherapie, wahrscheinlich ohne dass diese vonnöten gewesen wäre. Einer anderen wurden Teile des Oberkiefers und des Gaumens entfernt. Sie ist seitdem im Gesicht entstellt.

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Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen zahlreicher angeblich grundloser Operationen gegen H., 2019 war der Mediziner zudem bereits wegen Betrugs und Bestechung zu zwei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Schon damals hatte Geld eine Rolle gespielt: H. hatte anderen Ärzten Geld gezahlt, damit sie Proben in seinem Institut untersuchen ließen.

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Thomas H. droht vor dem Landgericht Saarbrücken eine lange Haftstrafe.
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Ans Licht gekommen sind die vielen Fehler des Arztes wohl nur durch Dr. Rosemarie Weimann. Der Pathologin fielen falsche Krebs-Diagnosen ihres Kollegen auf. Kurz darauf erstattete sie Anzeige gegen ihn.

Erschreckend: Zunächst wandte sich Weimann mit ihren Entdeckungen an die Ärtzekammer des Saarlandes – ohne dass diese etwas unternahm! Die Staatsanwaltschaft klagte daher auch den Präsidenten der Kammer an. Ihm werden versuchter Totschlag und schwere Körperverletzung durch Unterlassen vorgeworfen.

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Im Fall von H. fordern die Ankläger aktuell eine Strafe von neun Jahren Haft – sofern der Angeklagte vor Gericht ein Geständnis ablegt. Die Verteidigung plädiert auf fünf Jahre Gefängnis. Während die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, dass H. vorsätzlich – also mit Absicht – falsche Diagnosen stellte, sprechen seine Verteidiger davon, dass der Arzt fahrlässig gehandelt habe.

„Es sind schlimme Dinge passiert, die auf keinen Fall nochmal passieren dürfen. Es geht hier auch nicht nur um meinen Bruder: Es kann jedem von uns passieren, dass so eine Falschdiagnose gestellt wird“, sagt Simone Stutz. „Ich wünsche mir Gerechtigkeit. Dass die Verantwortlichen, die hier falsche Entscheidungen getroffen haben, zur Verantwortung gezogen werden.“