RTL Reporterin in Tokio

Die irrsinnigsten Olympischen Spiele aller Zeiten

8 Stunden warten am Flughafen
RTL Reporterin Pia Schrörs auf dem Weg zu den Olympischen Spielen.
RTL

Das olympische Motto 2021 ist länger geworden. Künftig heißt es nicht mehr nur „schneller, höher, stärker“, sondern „schneller, höher, stärker - gemeinsam“. Eine sehr kurzfristige Änderung, bedenkt man, dass die Wettkämpfe bereits am kommenden Freitag beginnen. Doch es ist nicht die einzige Anpassung, welche die Japaner vorgenommen haben. Das bekommt RTL-Reporterin Pia Schrörs am eigenen Leib zu spüren. Denn statt eigentlich vorgegebenen drei Tagen, soll sie jetzt 14 Tage in Quarantäne...

Der erste Morgen

RTL Reporterin in Tokio zur Berichterstattung der Olympischen Spiele
Das Klopf-Kommando stand plötzlich vor der Tür.
RTL

Von Pia Schrörs

Es sind schon sehr spezielle Olympische Spiele. Aber steigen wir doch einfach an Tag zwei nach Ankunft in Tokio ein: Es ist früh am Morgen. Ein aufgeregtes Klopfen an meiner Tür holt mich aus dem Schlaf, der mich Jetlag-geplagt tief in der Nacht endlich übermannt hatte. Ich streife mir schnell den Hotel-Bademantel über, vorsichtshalber Maske auf, nicht dass es eine Verwarnung gibt und so schaue ich durch einen Spalt meiner Tür. Dort erblicke ich drei aufgeregte Japaner. Eine Frau wedelt mit der Speisenkarte, die ich aus dem Frühstücks-Café kenne, aus dem wir uns gestern noch Kaffee und Sandwich holen durften (dazu später mehr). Sie spricht kein Englisch. Wild gestikulierend erklärt sie mir, dass ich meine Auswahl treffen solle. Hinter ihr steht das Speichelproben-Sammel-Team. Ich kenne die zwei Kollegen vom Tag zuvor. In der Lobby hatte ich ihnen am frühen Mittag das Röhrchen überreicht für den obligatorischen PCR-Test.

Nach 14 Tagen ist man "frei"

Kaum habe ich die Probe ausgehändigt, wird mir schon die Frühstückstüte überreicht. Tür zu. Auf dem Gang höre ich noch einige Minuten aufgeregtes Klopfen. Ich höre die Stimme des netten Doping-Kontrolleurs aus der Schweiz von schräg gegenüber, den ich gestern auf dem Gang kennengelernt hatte. Dann herrscht wieder Ruhe. Die Verwirrung jedoch bleibt: Dürfen wir nun das Hotel-Zimmer gar nicht mehr verlassen?

Normalerweise dürfen Teilnehmer wie wir sich nach drei Hotel-Tagen immerhin in einer Blase bewegen, ausschließlich auf ausgewählten Strecken in speziellen Transportmitteln zwischen Hotel und Wettkampfstätten. Andere Orte sind streng verboten – abgesehen von 15 Minuten Ausgang zur Lebensmittelbeschaffung. Gespräche mit Japanern sind ebenso untersagt. Im Handbuch für ausländische Teilnehmer steht sogar, dass die japanische Bevölkerung aufgerufen ist, mögliches Fehlverhalten der ausländischen Gäste zu filmen und in sozialen Netzwerken zu posten.

Nach 14 Tagen im Land ist man dann schließlich „frei“.

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Tag 1

An Tag 1 nach unserer Ankunft durften wir noch zwei Mal am Tag 15 Minuten auf die Straße, um uns Frühstück und Abendessen zu besorgen. In der Lobby haben sie extra einen jungen Mann installiert, der quasi unsere Ausgangs-Zeit stoppt. Er sitzt an einem kleinen Tisch und hält ein Schild in der Hand mit Erklärungen auf Englisch. Vor ihm liegt eine Liste, in der unsere Abwesenheit festgehalten wird. Die 15 Minuten Freigang sind Fluch und Segen zugleich. In Japan sind die Hotelzimmer für gewöhnlich recht klein. In unserem Fall sechs Quadratmeter. Der Koffer lässt sich nur auf dem Bett öffnen. Das Badezimmer ist eine Plastik-Box – dafür mit Hightech-Toilette. Japanisch eben. Sich da zwei Mal am Tag einige Minuten die Füße vertreten und Luft schnappen zu dürfen (frische Luft würde ich bei dem feucht-heißem Klima nicht sagen), ist tatsächlich das Highlight des Tages. Dieses endet jedoch in Herzklopfen und Fluch, wenn man sieben Minuten an der roten Ampel steht, weil man die große Kreuzung überqueren muss, um den kleinen Imbiss zu erreichen, der frische warme Mahlzeiten zubereitet. Keine acht Minuten verbleiben für Bestellung, Bezahlung und Zubereitung. Wir haben Glück. Die Ampel leuchtet grün, als wir den Imbiss verlassen. Mein Kameramann und ich rennen über die Kreuzung zum Hotel, die Treppen hoch zur Lobby – geschafft!

Beim Sinnieren mit Blick aus dem kleinen Hotelzimmer entdecke ich später an der Ecke das Schild eines Supermarktes. Doch schnell verwerfe ich den reizvollen Gedanken dort beim nächsten Freigang frisches Obst zu kaufen. Zwei Ampeln wären zu bewältigen, nicht machbar in 15 Minuten.

Spezielle Olympische Spiele

Dass diese olympischen Spiele SPEZIELL werden würden, war uns schon Monate vor unserer Reise nach Japan klar. Unzählige E-Mails mit Regeln und Informationen überfluteten mein elektronisches Postfach. Als offizieller Covid-19 Liaison Officer (CLO), also Corona-Beauftragte, musste ich mich in unzähligen Tools (ich habe den Überblick verloren) registrieren und Flugdaten, Testergebnisse, Körpertemperatur und viele Informationen mehr von mir und meinem Team hinterlassen. Jedes Team, seien es Athleten oder Journalisten, muss solch einen CLO stellen. Doch für niemanden ist das Regelwerk so umfassend und kompliziert, wie für uns Journalisten. Es ist reine Zermürbungstaktik, davon bin ich überzeugt. Und der Plan geht auf. Einige Medienvertreter haben von einer Reise nach Tokio abgesehen, weil sie sich nicht weiter ausziehen wollten vor den Organisatoren dieser Spiele. Andere wurden sofort nach Ankunft am japanischen Terminal in die nächste Maschine zurück in ihre Heimat gesetzt, weil sie sich verirrt hatten im Olympia-Dschungel der japanischen Bürokratie. Soweit mir bekannt ist, ausschließlich Journalisten übrigens.

Der Großteil der Japaner ist gegen die Olympischen Spiele. „Wir hätten uns gewünscht, dass sie nochmal um ein Jahr verschoben werden,“ sagt mir eine Regierungs-Beamtin am Flughafen. Doch die japanische Regierung zieht das Großereignis gegen den Willen der Bevölkerung bedingungslos durch. In sozialen Netzwerken schreiben User, der neue Schrecken der Welt könnte bald Tokio-Variante heißen. Die Angst, die Spiele könnten ein Superspreader-Event werden, ist groß. Um die Bevölkerung zu beruhigen, hat die japanische Regierung maximale Sicherheit und Konsequenz im Umgang mit den ungefähr 100 tausend ausländischen Gästen angekündigt. Und das ist das, was wir gerade hier in Tokio erleben. „Ich hätte euch ausländischen Gäste lieber anders empfangen,“ sagt die Regieruns-Beamtin. Sie schämt sich merklich.

Ankunft am Flughafen in Tokio

RTL Reporterin in Tokio - Olympische Spiele 2020
Blick auf den Korridor.
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Das Prozedere bei Ankunft am Flughafen in Tokio ist für alle Olympia-Beteiligte aufwendig. Auch der Schweizer Doping-Kontrolleur von schräg gegenüber verbrachte vier Stunden am Flughafen. Gestern berichtete mir ein Sprecher vom IOC, dass sogar manch Athlet einige Stunden am Terminal verbringen musste. Dort prüfen überaus höfliche und teils herzzerreißend freundliche japanische Landsleute die Corona-Testergebnisse aus der Heimat, QR-Codes, die aus den jeweiligen Tools generiert wurden und etliche Papiere. Immer und immer wieder prüfen sie all das. Finden sie keine Fehler, entlässt einen letztlich ein negativer PCR Test vom Flughafen - zwar nicht in die Freiheit – aber zumindest aus dem Terminal.

Doch niemand wird so durchleuchtet wie wir Journalisten. In unserem Fall sollten es acht Stunden werden. Auf einem Klappstuhl wartend hielt mir eine Dame des Organisationskomitees schließlich ihr Handy ans Ohr. Am anderen Ende sprach ihre Kollegin, Yukiko, zu mir. Sie müsse mir leider mitteilen, dass die japanische Regierung aufgrund der Masse an Besuchern ein entscheidendes Formular von uns noch nicht genehmigen konnte, unseren Aktivitäten-Plan. Die Genehmigung dieses Plans – ein reines Standard-Formular – ist Voraussetzung für den Gebrauch der Tracking-App mit dem Namen OCHA. Diese ist wiederum obligatorisch für jeden ausländischen Gast, um diesen auf Schritt und Tritt zu kontrollieren. Ohne OCHA – KEINERLEI Bewegungsfreiheit. Und dann ging es ganz schnell: Ein Papier mit der roten Aufschrift „Zwei Wochen Quarantäne“ wurde gestempelt und besiegelt nun unser Schicksal als Berichterstatter der Olympischen Spiele. 14 Tage Isolation im Hotel. Denn wie sich inzwischen herausstellte, sind uns selbst die 15-minütigen Freigänge fortan nicht mehr gestattet. Das alles trotz inzwischen sechs negativer PCR-Tests, vollständiger Impfung und aller notwendigen Papiere.

IOC-Chef Thomas Bach verspricht die besten inszenierten Spiele aller Zeiten

Das Frühstück wurde uns an diesem Tag ins Zimmer geliefert. Aber wie sieht es aus mit Wasser und einer weiteren Mahlzeit? Im Türrahmen lehnend teile ich diese Gedanken mit dem Schweizer Doping-Kontrolleur. Ihn plagen die gleichen Fragen, wenn auch nur für drei Tage.

Es ist schon interessant welch Banalitäten auf der Prioritätenliste nach oben rücken, wo man doch eigentlich die weite Reise unternommen hat, um über die olympischen Spiele und deren Hintergründe zu berichten. Doch das übernimmt in diesen Zeiten das IOC. Es sollen die am Besten inszenierten Spiele aller Zeiten werden, verspricht IOC-Chef Thomas Bach. Über 9000 Stunden Glanz und Gloria soll der eigene IOC-Kanal in die Welt schicken– fast doppelt so viel und um Längen innovativer als in Rio 2016, heißt es. Und ganz nebenbei auch noch weitestgehend ungestört und unbeobachtet von kritischen Journalisten.