"Rote Karte für Mursi" - ägyptische Opposition lehnt Dialog mit Präsident ab

Noch vor wenigen Tagen schlug das Magazin 'Time' Mohammed Mursi als Mann des Jahres vor, nun steht der Vermittler zwischen Israelis und Palästinensern als erster islamistischer Staatschef Ägyptens vor einem Scherbenhaufen. Nicht nur, dass ihn die weltlichen Oppositionsparteien als "schlechte Mubarak-Kopie" beschimpfen. Auch aus dem Ausland hagelt es Kritik.

Egyptian President Mohamed Mursi speaks during a televised address in Cairo, in this still image taken from video made available to Reuters on December 6, 2012. Mursi invited political groups, judges and others to meet on Saturday for a national dialogue on a political road map after a referendum on a new constitution, which he signalled would go ahead as scheduled on Dec. 15. REUTERS/Nile TV via Reuters TV (EGYPT - Tags: POLITICS TPX IMAGES OF THE DAY) NO SALES. NO ARCHIVES. FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. THIS IMAGE HAS BEEN SUPPLIED BY A THIRD PARTY. IT IS DISTRIBUTED, EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS. EGYPT OUT. NO COMMERCIAL OR EDITORIAL SALES IN EGYPT
Präsident Mursis erste TV-Ansprache seit Beginn der Proteste gegen ihn hat die ägyptische Opposition nicht überzeugt.

Die Opposition hat das wenig überzeugende Gesprächsangebot von Mursi abgelehnt. Stattdessen will sie mit Protestaktionen so viel Druck erzeugen, dass der islamistische Staatschef das für den 15. Dezember geplante Verfassungsreferendum absagt. In Kairo, Alexandria und mehreren Provinzstädten protestieren Zehntausende gegen den die Machtpolitik der Muslimbrüder. Auf dem Tahrir-Platz hielten einige Demonstranten Transparente mit der Aufschrift "Wir sind gegen die Muslimbrüder, nicht gegen den Islam" hoch. Auch vor dem Präsidentenpalast marschierten wieder Demonstranten auf. Der Protest steht unter dem Motto "Rote Karte für Mursi".

Nach Informationen des Nachrichtensenders 'Al-Arabija' wurden in Kafr al-Scheich und Al-Bahaira Einrichtungen der Islamistenbewegung angegriffen. Der Vorsitzende der Partei der Muslimbrüder, Saad al-Katatni, bezeichnete die Proteste als "Verschwörung".

Der Präsident hatte in seiner ersten Fernsehansprache seit Beginn der Demonstrationen gegen ihn verdeutlicht, es werde keine Änderung an dem Verfassungsentwurf geben, der von den Islamisten formuliert worden war. Auch der Termin für das Referendum werde nicht verschoben. Sollte die Mehrheit der Bürger gegen den Entwurf stimmen, sei er aber bereit, eine neue Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Eine Mehrheit für Mursis Entwurf gilt aber als sicher, da er von der Muslimbruderschaft und anderen islamistischen Fraktionen getragen wird. Mursi erklärte dazu, Demokratie bedeute, dass "sich die Minderheit dem Willen der Mehrheit beugt".

Er lud die Oppositionellen für Samstag zu einem Dialog ein. Die Jugend-Revolutionsbewegung 6. April und alle maßgeblichen Oppositionsparteien erklärten jedoch, sie würden darauf verzichten. Es handele sich nur um einen PR-Gag. Von anderer Seite hieß es, Mursi habe vollendete Tatsachen geschaffen.

UN-Menschenrechtskommissarin kritisiert Verfassungsentwurf

Der Koordinator der Nationalen Rettungsfront, Friedensnobelpreisträger Mohammed El-Baradei, sagte: "Mursi hat die Tür zugeschlagen." Ein Dialog mit dem Präsidenten sei nicht mehr möglich, da er nicht bereit sei, Kompromisse zu schließen. Im Namen des links-liberalen Oppositionsbündnisses rief El-Baradei die Ägypter auf, sich an den Protestkundgebungen nach den Freitagsgebeten zu beteiligen.

Tatsächlich wirkt Mursi so uneinsichtig wie sein Vorgänger Mubarak: Die brutalen Straßenkämpfe zwischen Islamisten und Oppositionellen haben Ägyptens Präsident nicht zum Einlenken bewegt. In seiner Ansprache ging er mit keiner Silbe auf die Forderungen der Opposition ein. Die Schuld an der Gewalt gab er seinen politischen Gegnern.

Verärgerte Demonstranten setzten daraufhin Büroräume der Muslimbruderschaft in Kairo in Brand. Am Donnerstag waren bei den Straßenkämpfen in Kairo und Suez sieben Menschen getötet und fast 800 verletzt worden. Die Polizei nahm 150 Verdächtige fest.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte, die Bundesregierung habe Mursis Ansprache sehr genau verfolgt: "Ich hoffe, dass wir nicht in der Nachschau sagen müssen, dass hier eine Chance verpasst wurde. Wir appellieren an den Präsidenten, sein Angebot zum Dialog auch mit einer wirklichen inhaltlichen Bereitschaft zum Dialog zu verbinden."

Nicht nur die ägyptische Opposition und der Westen haben ein Problem mit dem Entwurf für eine neue Verfassung. UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay bemängelte, der Text verbiete nicht ausdrücklich Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Religion und Herkunft. Die Verfassung würde einige Menschenrechte garantieren, doch gebe es auch "einige sehr besorgniserregende Auslassungen und Unklarheiten", sagte sie. Teilweise seien die Schutzbestimmungen schwächer als in der alten Verfassung von 1971.

Entzündet hatte sich der Streit in Ägypten an einem Dekret Mursis, mit dem dieser seine Machtbefugnisse für die Zeit bis zum Inkrafttreten einer neuen Verfassung auf Kosten der Justiz ausgeweitet hatte. Auch daran hielt Mursi in seiner Rede fest. Lediglich zum Verzicht auf Artikel VI der Erklärung sei er bereit. Dieser hätte es ihm erlaubt, ohne Rücksprache "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Revolution, die Einheit und die nationale Sicherheit zu wahren".