"Schreiben enthält erstaunliche Details"Rätselraten um "Bekennerschreiben" im Fall Ursula Herrmann - das sagt der Anwalt ihres Bruders

Es ist eines der großen Rätsel der deutschen Kriminalgeschichte: Der Fall Ursula Herrmann. Das zehnjährige Mädchen wurde vor 40 Jahren entführt und erstickte in einer Holzkiste. Erst 27 Jahre später wurde Werner M. deswegen verurteilt. Wurde der Richtige gefasst, gab es Mittäter? Bis heute wird darüber spekuliert. Nun schürt das Bekanntwerden eines angeblichen Bekennerschreibens neue Vermutungen. Rechtsanwalt Joachim Feller, der den Bruder von Ursula Herrmann vertritt, sagte auf RTL-Nachfrage, das Schreiben enthalte „erstaunliche Details“.
Vermeintlicher Bekennerbrief handschriftlich unterschrieben

„Nachdem ich das Schreiben erhalten habe, habe ich mich sofort mit dem mutmaßlichen Verfasser in Verbindung gesetzt“, so Feller. Er habe sofortigen Handlungsbedarf gesehen, da in dem Schreiben ein Suizid angedroht wurde. „Bei diesem Telefonat wurde mir glaubhaft versichert, dass er nicht der Verfasser ist, nichts von dem Schreiben wusste und auch keine Suizidgefahr bestand“, so der Anwalt weiter. Das Besondere sei, dass das Schreiben handschriftlich unterschrieben wurde.
Nun werde das Schreiben professionell analysiert. Es gehe darum, „inwieweit das Schreiben in sich schlüssig ist. Dabei wird geprüft, ob diese Details auf Täterwissen hindeuten oder aus öffentlichen Medien zu entnehmen waren“, so Feller. Wie es danach weitergeht, hänge vom Ergebnis ab.
Ursula Herrmanns Bruder "ist nicht in Freudenjubel ausgebrochen"

Sein Mandant, Michael Herrmann, habe „überrascht und erstaunt reagiert.“ Ebenso wie sein Anwalt sei er „äußert skeptisch in Bezug auf den mutmaßlichen Verfasser“, so Feller. „Herr Herrmann ist nicht in Freudenjubel ausgebrochen, sondern sieht das Ganze sehr sachlich.“
Die Augsburger Staatsanwaltschaft sieht keine neue Wende in dem Fall. „Es gibt nichts Neues“, sagte Oberstaatsanwalt Matthias Nickolai. Man gehe davon aus, dass der noch unbekannte Verfasser eine namentlich genannte Person mit dem Schreiben als Entführer belasten will. Konkrete Hinweise auf einen wirklichen weiteren Täter in dem Fall gebe es nicht. Bislang spricht viel dafür, dass ein Trittbrettfahrer den bekannten Kriminalfall nutzen will, um eine andere Person anzuschwärzen.
Da es kein Mord war, ist die Tat verjährt

Die zehnjährige Ursula war im Jahr 1981 am Ammersee verschleppt worden. Das entführte Mädchen wurde damals in einer vergrabenen Kiste eingesperrt, die Schülerin erstickte. Erst nach 27 Jahren wurde ein Beschuldigter festgenommen und dann zu lebenslanger Haft verurteilt. Werner M. bestreitet, der Kidnapper zu sein. Bis heute gibt es Zweifel, ob der Richtige verurteilt wurde oder ob es Mittäter gab.
Selbst wenn das nun bekannt gewordene Bekennerschreiben echt wäre, würde das Verbrechen bei der Anklagebehörde nicht noch einmal groß aufgerollt. „Das führt zu nichts, weil die Tat verjährt ist“, so Oberstaatsanwalt Nickolai. Denn letztlich gehe es juristisch um erpresserischen Menschenraub mit Todesfolge - und nicht um einen Mordfall, für den es keine Verjährungsfrist gibt.
Bis heute viele Legenden: Prozess wirft Fragen auf

Dennoch will die Staatsanwaltschaft wissen, wer hinter den mysteriösen Briefen steckt. "Urheberschaft und Hintergründe zu den Schreiben werden geprüft", sagt Nickolai. Details zum Inhalt der Briefe will er vorläufig nicht nennen.
Das nunmehr knapp 40 Jahre alte Verbrechen sorgte immer wieder für reichlich Spekulationen. Allein um das Hauptindiz des Strafprozesses, ein schon bei der Tat eher antiquiertes Tonbandgerät, ranken sich Legenden.
Solch ein Gerät war bei den Erpresseranrufen abgespielt worden. Auch bei der Kripo gab es damals fragwürdige Vorgänge, die später ans Licht kamen. Ein später widerrufenes Geständnis eines mutmaßlichen Helfers des Kidnappers sorgte für weiteren Wirbel.
Bruder: "Vieles spricht dafür, dass ein Unschuldiger seit zehn Jahren im Gefängnis sitzt"

Vor einigen Jahren versuchte Ursula Herrmanns Bruder mit einem Zivilverfahren gegen den rechtskräftig verurteilten Entführer den Fall nochmals aufrollen zu lassen - denn selbst Michael Herrmann bezweifelt die bisherige Version der Justiz. "Vieles spricht dafür, dass ein Unschuldiger seit zehn Jahren im Gefängnis sitzt", schrieb er deswegen 2018 in einem offenen Brief.
Herrmann verlangte Aufklärung, "wer wirklich verantwortlich ist" für den Tod seiner Schwester. Doch auch der Zivilprozess, in dem es nur vordergründig um Schmerzensgeld ging, brachte keine neue Antwort.
Michael Herrmann hat seinen öffentlichen Kampf um Aufklärung mittlerweile weitgehend eingestellt. RTL hätte gern mit ihm gesprochen, doch sein Anwalt sagt, dass Herrmann keine Öffentlichkeit wünsche.


