„Unsere Gesellschaft bildet ihre Mörder selbst aus“
Fragen an einen Hauptkommissar: Wie wird ein Mensch zum Täter?

„Wir erleben unsere Tatverdächtigen nicht als böse Menschen.“ Diese Aussage des Hauptkommissars der Berliner Mordkommission mag für viele erst einmal merkwürdig klingen. Schließlich gelten Mörder für Außenstehende oft als grundsätzlich „böse“. Fragt man Kriminalhauptkommissar Christian Zorn sieht das Thema etwas differenzierter, erklärt er unserer RTL-Reporterin Franca Pörsch in ihrem Podcast „Crime and the city“.
Gibt es den klassischen Bösewicht?
Ob in Film und Fernsehen oder doch im echten Leben: Mörder und Gewalttäter werden häufig so dargestellt, als wenn sie schon als Bösewichte zur Welt kommen. RTL-Reporterin Franca Pörsch möchte in ihrem True-Crime-Podcast von dem langjährigen Kriminologen daher wissen: Gibt es „das Böse“?
Christian Zorn überrascht sie mit seiner Antwort: „Wir erleben unsere Tatverdächtigen nicht als böse Menschen, allerdings als Menschen, die was Böses gemacht haben oder halt auch in der Lage sind was Böses anzurichten. Es ist ein großer Unterschied und natürlich wird keiner als böser Mensch geboren, sondern dazu gemacht.“, weiter sagt er, „und da muss man natürlich gesamtgesellschaftlich Verantwortung übernehmen. Oftmals zieht die Gesellschaft die Finger aus dem Teig und sagt halt, der ist allein für sein Handeln verantwortlich. Das konterkariert die Gewaltforschung und auch die Kriminologie. Das stimmt nicht.“
Wie wird ein Mensch vom Opfer zum Täter?
Aber inwiefern ist die Gesellschaft für die Taten eines Mörders verantwortlich oder zumindest mitverantwortlich? Christian Zorn beschreibt das so: „Wir erleben unsere Tatverdächtigen, und das mag jetzt komisch klingen, als Opfer. Alle unsere Tatverdächtigen haben eine Biografie, die von Demütigungserfahrung, von eigenen Viktimisierungserfahrungen nur so strotzt.“ Das bedeutet also, dass viele Täter oft selbst einmal Opfer waren. Sei es von psychischer oder körperlicher Gewalt.
Das bedeute nicht, dass die Taten von Mördern zu verharmlosen sind. Dennoch spielt das soziale Umfeld und die Gesellschaft eine große Rolle, erklärt der Kriminalhauptkommissar weiter: „Wenn die Gesellschaft es zulässt, dass sozusagen Menschen zu Opfern werden und in der Rolle bleiben beispielsweise erniedrigt werden, weil sie keine Perspektiven haben, keine Chancengleichheit hergestellt wird, in großem Maße Leute zurücklässt und die in die Randständigkeit drängt. Das führt natürlich dazu, dass wir da unsere Mörder ausbilden. Je mehr Demütigungserfahrung ein Mensch gemacht hat, desto mehr ist er auch bereit und in der Lage, sich selbst zu hassen und auch den Hass natürlich auch nach außen zu tragen.“
Vergebung ist unsere größte Stärke, meint der Hauptkommissar
Die Angehörigen vieler Opfer wollen diese Theorien vermutlich nicht einmal hören. Sie verbinden verständlicherweise mit dem Mörder einfach nur eine grauenvolle Tat. Auch für Christian Zorn ist die Arbeit mit den Angehörigen, die einen geliebten Menschen verloren haben, nicht immer leicht. Einen Tipp würde er ihnen jedoch immer mit auf den Weg geben, um besser mit dem Geschehenen abschließen zu können: „Uns wird eingetrichtert, dass Vergeben eine Schwäche ist, aber eigentlich ist es unsere größte Stärke“.
Was den Kriminalhauptkommissar selber mal aus der Ruhe bringt, verrät er im Podcast „Crime and the city“.