Panzer auf den Straßen Kairos – Mursi richtet Rede an das Volk

RNPS IMAGES OF THE YEAR 2012 - Egypt's Islamist President-elect Mohamed Mursi waves to his supporters while surrounded by his members of the presidential guard in Cairo's Tahrir Square, June 29, 2012. Mursi took an informal oath of office on Friday before tens of thousands of supporters in Cairo's Tahrir Square, in a slap at the generals trying to limit his power. REUTERS/Amr Abdallah Dalsh (EGYPT - Tags: POLITICS CIVIL UNREST TPX IMAGES OF THE DAY)
Der ägyptische Präsident Mursi hat den Gegnern der Islamisten die Schuld an der Gewalt bei den blutigen Krawallen in Kairo gegeben.

Ägyptens islamistischer Präsident Mohammed Mursi gibt nicht nach. In seiner ersten TV-Ansprache seit Beginn der blutigen Ausschreitungen in Kairo ging er mit keiner Silbe auf die Forderungen der Opposition ein. Er gab den Gegnern der Islamisten die Schuld an der Gewalt und verteidigte seine Machtpolitik. Mursi, der im Juni als Kandidat der Muslimbrüder zum Präsidenten gewählt worden war, sagte, die Mehrheit der Ägypter, die ihm ihre Stimme gegeben hätten, müsse nun über die Zukunft des Landes entscheiden. "Ist das nicht Demokratie?", fragte er.

Den Oppositionellen bot er ein Treffen am kommenden Samstag an. Beobachter vermuten jedoch, dass die Führung des liberalen Oppositionsbündnisses um Mohammed ElBaradei und Amre Mussa dieses Angebot nicht annehmen wird, da Mursi ihre Forderungen nicht erfüllen will.

Die liberalen und linken Parteien verlangen eine Überarbeitung des von den Islamisten formulierten Entwurfs für eine neue Verfassung. Außerdem bestehen sie auf einer Verschiebung der Volksabstimmung über die Verfassung, die für den 15. Dezember geplant ist. Mursi lehnt das ab. Sollte die Mehrheit der Bürger gegen den Entwurf stimmen, sei er aber bereit, eine neue Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, fügte er hinzu.

Auch an der umstrittenen Verfassungserklärung, mit der er seine Machtbefugnisse im November erheblich ausgeweitet hatte, hielt Mursi fest. Lediglich auf Artikel VI der Erklärung sei er bereit zu verzichten, sagte der Präsident. Dieser Artikel hätte es Mursi erlaubt, ohne Rücksprache "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Revolution, die Einheit und die nationale Sicherheit zu wahren".

Medien: Sieben Tote und über 700 Verletzte bei Straßenschlachten

Ägypten ist tief gespalten. Anhänger und Gegner des islamistischen Präsidenten Mursi liefern sich seit Tagen heftige Auseinandersetzungen. In der Nacht zu Donnerstag sind bei Straßenschlachten in Kairo nach Medienberichten mindestens sieben Menschen getötet worden. Über 700 weitere wurden verletzt. Die verfeindeten Gruppen hätten sich am Präsidentenpalast bis in den frühen Morgen mit Steinen und Brandsätzen bekämpft, hieß es.

Mursi sagte in seiner TV-Ansprache, einige der bewaffneten Gewalttäter, die die Polizei nach den Straßenschlachten festgenommen habe, hätten Kontakte zu denjenigen gehabt, "die sich selbst als politische Kräfte bezeichnen". Unter den Festgenommenen seien auch "bezahlte Schläger". Diese seien von Anhängern des alten Regimes des gestürzten Präsidenten Husni Mubarak angeheuert worden. Allerdings betonte Mursi, er beschuldige nicht alle Oppositionellen, die Kritik an dem Verfassungsentwurf der Islamisten geübt hatten. "Dies ist freie Meinungsäußerung, das ist normal, da müssen wir differenzieren", fügte er hinzu.

Am Palast waren zuvor mehrere Panzer vorgefahren. Die verfeindeten Protestler ließen sich davon zunächst aber nicht abhalten. Über die Köpfer der Soldaten bewarfen sie sich weiter mit Steinen. Danach beruhigte sich die Lage. Dann hat die Republikanische Garde die Demonstranten aufgefordert, sich umgehend aus dem Gebiet rund um den Palast zurückzuziehen.

Auch in anderen Städten kam es zu gewaltsamen Protesten. In Ismailia und Suez steckten Mursi-Gegner die Büros der ihm nahestehenden Muslimbruderschaft in Brand. In der südlichen Stadt Luxor gingen Tausende von Anhängern der Islamisten auf die Straße und forderten die Einführung der Scharia.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) rief die Konfliktparteien in Ägypten zum Dialog auf. Beide Seiten müssten "auf eine politische Lösung hinarbeiten, damit diese Kontroverse überwunden werden kann", sagte er. Zugleich äußerte er sich "bestürzt" über die jüngste Entwicklung.

Die Krawalle hatten begonnen, als Mursi-Anhänger zu den seit Dienstag vor dem Präsidentenpalast protestierenden Gegnern einer weiteren Islamisierung des Landes zogen und anfingen, deren Zelte niederzureißen. Reporter berichteten, einige der etwa 10.000 demonstrierenden Islamisten seien auch auf Journalisten losgegangen.

Die Mursi-Gegner befürchten, dass der Präsident und die Muslimbrüder aus dem Land einen islamischen Gottesstaat machen. Die Islamisten wollen ihr umstrittenes Verfassungsreferendum Mitte Dezember über die Bühne bringen - koste es, was es wolle. Vizepräsident Mahmud Mekki sagte: "Der Termin für das Referendum am 15. Dezember steht fest und wird nicht verschoben."

Drei Berater Mursis traten indes aus Protest gegen die Gewalt auf der Straße zurück. Der Politologe Seif Abdel Fatah verkündete seinen Rücktritt am Abend in einem tränenreichen Interview. Er erklärte, die komplette Elite des Landes sei eigennützig und habe nicht die Interessen der Bevölkerung im Blick. Die Website der Kairoer Tageszeitung 'Al-Shorouk' meldete, auch Eiman al-Sajed und der Fernsehmoderator Amr al-Laithi hätten sich aus dem Beratergremium zurückgezogen.

Der schon seit Monaten schwelende Konflikt zwischen den regierenden Islamisten und der säkularen Opposition war in den vergangenen zwei Wochen eskaliert, nachdem der islamistische Staatschef seine Machtbefugnisse auf Kosten der Justiz ausgeweitet hatte. Als die Islamisten dann auch noch einen Verfassungsentwurf vorlegten, der die Rolle der islamischen Religionsgelehrten im Gesetzgebungsprozess aufwertet und die Rechte der Frau infrage stellt, schwoll die Protestwelle der liberalen Gruppen weiter an.