Flucht aus Afghanistan
Panik vor Massenmigration: Kann sich 2015 wiederholen?
Die große Angst vor der neuen Flüchtlingswelle schwappt in den deutschen Wahlkampf. 2015 dürfe sich nicht wiederholen, heißt es da immer wieder. Panikmache oder berechtigte Sorge? Die Fakten: Mehrere Millionen Menschen sind in Afghanistan auf der Flucht. Aber der Weg ans Mittelmeer führt durch Iran und den Irak. Flüge in die Türkei gibt es derzeit nicht. Auch die Grenzen nach Europa sind ganz anders gerüstet als noch 2015. Aber was sich ähnelt: Die totale Überraschung der deutschen Verantwortlichen und der zeitweilige Kontrollverlust. Müssen wir mit einer Wiederholung der Flüchtlingswelle aus 2015 rechnen?
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Migrationsforscher erklärt, was heute anders als 2015 ist
Laut Bundesinnenminister Horst Seehofer könnten bis zu fünf Millionen weitere Afghanen die Flucht aus dem Land ergreifen. Migrationsforscher Gerald Knaus hat im Interview mit „RTL Direkt“ am Dienstagabend massive Zweifel an dieser Zahl: „Es ist erstaunlich, woher diese Zahl kommen könnte, die ist aus der Luft gegriffen.“
Denn vieles sei anders als 2015, als noch hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien nach Europa strömten. Migrationsforscher Gerald Knaus erklärt die Unterschiede so:
Afghanische Grenzen:
Zum einen könnten viele Menschen das Land gar nicht erst verlassen. Die Taliban kontrollieren die Grenzen. Das Land ist isoliert und alle Flughäfen – bis auf Kabul – sind geschlossen. Auch die Nachbarländer Afghanistans sind derzeit nicht bereit Flüchtlinge aufzunehmen.
Europäische Grenzen:
Auch die Situation an den europäischen Grenzen habe sich geändert. Laut Knaus seien nur 600 Afghanen aus der Türkei nach Griechenland geflüchtet. Das liege vor allem an der Brutalität an der europäischen Grenze. Länder wie die Türkei haben ihre Grenzen geschlossen und sichern diese mit bis zu 30.000 Soldaten unter Hochdruck.
Was können wir tun?
„Die Frage ist nicht ob zu viele spontan kommen, die Frage ist: sind wir bereit, die die Schutz brauchen zu holen?“, sagt Knaus im Interview. Genau das müsse in den nächsten Tagen jetzt passieren: Circa 1.000 gefährdete Menschen pro Tag müssten rausgeholt werden, nur dann könnten sie geschützt werden.
Teuteberg: Oberste Priorität muss Verantwortung für Schutzbefohlene sein!
FDP-Politikerin Linda Teuteberg sprach sich im RTL/ntv-Frühstart dagegen aus, dass die Bundesregierung eine konkrete Zahl nennen sollte, wie viele Flüchtlinge Deutschland aus Afghanistan aufnehmen wolle. Kanada hatte zuletzt angekündigt, 20.000 Flüchtlinge aufzunehmen. "Kanada hat eine sehr andere Situation. Nach Kanada kommen zum Beispiel auch ja nicht Menschen auf dem Landweg. Wir haben da eine sehr andere Situation, was das Thema Migration und Asylanträge in Deutschland angeht", so Teuteberg.
Die oberste Priorität müsse gerade sein, dass Deutschland seine "Verantwortung wahrnimmt für die Menschen, die ihre Schutzbefohlenen sind", sagte die FDP-Politikerin. Das seien die deutschen Staatsbürger, die sich in Afghanistan aufhielten, aber auch die Ortskräfte, "die ihr Leben riskiert haben."
Österreich ist für Abschiebezentren in der Region
Österreichs Regierung ist dafür, einem möglichen Zustrom an Flüchtlingen aus Afghanistan durch Hilfe vor Ort und Abschiebezentren in der Nachbarregion Afghanistans zu begegnen. „Ziel muss es sein, den Großteil der Menschen in der Region zu halten“, sagte Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) am Mittwoch vor einem Treffen der EU-Innenminister. Außerdem müsse sich die EU durch weitere Anstrengungen beim Außengrenzschutz gegen eine aus Nehammers Sicht mögliche illegale Zuwanderung wappnen.
Der Minister erklärte, Österreich beheimate mit aktuell 44.000 Afghanen die - bezogen auf die eigene Bevölkerung - prozentual bereits zweitgrößte afghanische Gemeinschaft in der EU. Weitere Belastungen lehne er ab, so Nehammer. Die organisierte Kriminalität mache aktuell mit fluchtwilligen Afghanen großes Geld. Dabei würde mit falschen Versprechungen gearbeitet, wie der, dass kein Afghane mehr aus Österreich abgeschoben werde. Das stimme nicht, betonte der Minister. Es gelte weiterhin, das aktuelle Recht durch Abschiebung gewalttätiger Asylbewerber durchzusetzen. Österreichs Regierung legt nach den Erfahrungen der ersten Migrationskrise 2015 großen Wert darauf, eher politische Signale zu senden, die Menschen vor einem Asylgesuch abschrecken sollen. (dpa/lwe/khe)