Sie flohen im Gemüsetransporter

Mit sieben Kindern auf der Flucht! Paar nimmt ukrainische Großfamilie auf

In Hessen hofft die Familie, eine neue Heimat zu finden.
Familie Murzha. Gleich beginnt der Deutschunterricht für die Ost-Ukrainer.
privat
von Petra Schaffarzik

In einem Gemüsetransporter musste die neunköpfige Familie Murzha auf der Flucht vor Putins grausamen Krieg mehr als 1.400 km quer durch die Ukraine zurücklegen, bevor sie an der ukrainisch-slowakischen Grenze von deutschen Helfern abgeholt wurde. Ein Ehepaar aus Nordhessen hat die jungen Eltern und ihre sieben Söhne bei sich aufgenommen.
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Gesucht wird: Unterkunft für Eltern und sieben Söhne

Zum Mittagessen kommen alle zusammen
Das Ehepaar Viehmeyer mit ihren ukrainischen Schützlingen.
Elisabeth Viehmeyer

Bei Elisabeth (69) und Heinz (72) Viehmeyer aus der nordhessischen Gemeinde Burgwald fand die Familie Unterschlupf; wurde mit offenen Armen empfangen. Das Paar, beides Rentner, wollte helfen, seit es die ersten grausamen Bilder von Putins Krieg im Fernsehen gesehen hatten. Platz im Haus ist genug da – die vier erwachsenen Töchter sind längst ausgezogen. Vorgestellt hatten sie sich eine kleine Familie, vielleicht eine Mutter mit zwei Kindern. Doch dann kam die 14-jährige Enkelin Luna aus der Schule, überbrachte einen Hilferuf ihres Lehrers: Dringend gesucht wurde eine Unterkunft für ein ukrainisches Ehepaar und dessen sieben Kinder. Die Familie sollte möglichst nicht auseinander gerissen werden, sondern eine gemeinsame Unterkunft finden. Viehmeyers machten sich die Entscheidung nicht leicht, sprachen mit ihren Töchtern darüber, denn auch deren Zustimmung und Unterstützung war wichtig bei einer so weitreichenden Veränderung im Leben.

Als die Entscheidung gefallen war, ging alles relativ schnell. Innerhalb von zwei Tagen waren die Zimmer für die Familie vorbereitet. Drei Schlafzimmer wurden freigeräumt, ein Wohnzimmer und ein eigenes Bad stehen den Geflüchteten nun zur Verfügung.

Auf dem Gemüselaster quer durch die Ukraine

Lunas Lehrer organisiert zusammen mit einigen anderen Helfern seit 15 Jahren Hilfstransporte in den Osten der Ukraine. So entstand der Kontakt zu Familie Murzha. Eine Woche hatten die Eltern Volodymyr (41) und Elisabeta (32) mit ihren Söhnen zuvor fast nur im Keller ihres Häuschens 400 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt verbracht. Eine Woche lang hatten die Eltern sehr viel Kaffee getrunken. Sie wollten wach werden – um im Falle eines Angriffs ihre Kinder sofort in Sicherheit bringen zu können. Eine Woche schliefen beide so gut wie gar nicht. Eine Woche nach Kriegsbeginn war ihnen klar: Hier können wir nicht bleiben.

In einem Gemüsetransporter wurden sie dann 1.400 Kilometer quer durch die Ukraine gekarrt, die Kinder hinten auf der Ladefläche. Die Fahrt war mühsam, oft standen sie im Stau, zusammen mit Tausenden anderen Flüchtenden, kamen teilweise nur sehr langsam voran. Am Ende dieser aufreibenden Fahrt wurden sie an der ukrainisch-slowakischen Grenze von den deutschen Helfern empfangen. Von dort ging die Odyssee in vier Autos weiter mit Übernachtung in der Slowakei, dann Österreich weiter bis nach Nordhessen.

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Herzliche Umarmungen - Corona spielte (fast) keine Rolle mehr

Am Nachmittag des 13. März traf Familie Murzha beim Ehepaar Viehmeyer in Bottendorf, einem Ortsteil der nordhessischen Gemeinde Burgwald, ein.

Das Ehepaar Viehmeyer war überwältigt von der Herzlichkeit der Gäste. Die Kinder seien auf sie zugestürmt und hätten sie umarmt, Corona sei da gar kein Thema gewesen, sie hätten gar nicht anders gekonnt, als die Umarmungen zuzulassen und zu erwidern, erzählt Heinz Viehmeyer im RTL-Interview. Mittlerweile ist die ganze ukrainische Familie gegen Corona geimpft.

Viehmeyers haben einen großen Esstisch, an dem in den ersten zwei Wochen nach Ankunft der Murzhas immer gemeinsam zu Mittag gegessen wurde. Dann äußerten die Gäste den Wunsch nach mehr Selbstständigkeit. Sie haben nun auch einen eigenen Raum, in dem sie sich Mahlzeiten zubereiten können. Und auch dem Rentnerpaar ist es ganz recht, ab und zu mal etwas Ruhe zu haben – oder Zeit für die Enkel. Obwohl die sieben Jungs „sehr anhänglich und lieb“ seien. „Man merkt, sie sind jetzt glücklich,“ sagt Elisabeth Viehmeyer. Beim gemeinsamen Tischgebet und dem anschließenden „Piep, piep, piep .. „ strahlten die Kinderaugen regelrecht, freut sich Heinz Viehmeyer. Für sie sei es „wie ein Märchen“, sagen Volodymyr und Elisabeta. Die Söhne nennen Elisabeth und Heinz schon Oma und Opa.

Überwältigt von Hilfsbereitschaft und Solidarität

Mit Plakaten und Schultüten wurden sie empfangen.
Die Söhne Volodymyr (14), Andre (12), Timotfi (10) und Filip (8) am ersten Schultag in Deutschland. Mit Plakaten und Schultüten wurden sie empfangen.
Elisabeth Viehmeyer

Gerührt, dankbar und tief beeindruckt sind sie alle von der Großzügigkeit und der Hilfsbereitschaft ihrer Freunde und Bekannten, der Gemeinde und den Menschen im Dorf. Alle brachten und bringen noch immer Spenden vorbei: Kleidung, Lebensmittel, sogar Fahrräder und ein Trampolin für die Kinder. Die Bäckersfrau im Ort, die selber als Kleinkind aus ihrer Heimat fliehen musste weiß, was es bedeutet, plötzlich heimatlos zu sein. Sie spendet das tägliche Brot für die Großfamilie. Die sieben Buben sind immer hungrig. Da werden am Tag schon mal 1,5 kg Brot verspeist. Und weil das Brot so lecker ist, studierte die ganze Familie ein Dankeslied auf deutsch für die Bäckerin ein.

Unterstützung von offizieller Seite mussten die Viehmeyers noch nicht in Anspruch nehmen. Bislang geschieht alles in Eigenleistung, organisiert von Privatleuten. Die Verständigung mit der Familie ist schwierig, die Geflüchteten sprechen weder Deutsch noch Englisch. Viel wird mit einer Übersetzungs-App erledigt, bei wichtigen Dingen wie Behördengängen und Formularen helfen ukrainisch-sprachige Bekannte aus.

Einmal in der Woche geht Familie Murzhar gemeinsam zum Deutschunterricht. Auch der wird von der Gemeinde organisiert. Vater Volodymyr möchte unbedingt wieder arbeiten, doch zuvor muss die Sprache des Gastlandes gelernt werden.

Man muss sie in die Arme nehmen - das hilft!

Wenn die Kinder oder auch ihre junge Mutter traurig sind, spürt Elisabeth das. Sie sagt, das beste sei es dann, sie einfach in den Arm zu nehmen, ihnen Nähe und Trost zu spenden. Seit mehr als drei Wochen ist Familie Murzha nun in Burgwald. Die vier älteren Jungen gehen zur Schule, die drei Kleinen sind daheim bei Mama und Papa. Vielleicht gehen alle irgendwann zurück in ihre Heimat, helfen sie wieder aufzubauen. Jeden Tag telefonieren sie mit ihren Familien, die sie zurücklassen mussten, die nicht geflohen sind.

Volodymyr und Elisabeta weinen manchmal, sie sagen „alles ist kaputt in der Ukraine“. Elisabeth Viehmeyer nimmt sie dann in den Arm, doch der Schmerz und die Trauer wird für die vom Krieg traumatisierte Familie so schnell nicht vergehen.

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