Jo Cameron wird nun von Neurobiologen erforscht
„Mutanten-Superfrau“ empfindet keine Schmerzen, keine Angst und keinen Stress
Jo Cameron aus der Nähe von Inverness in Schottland dachte ihr Leben lang, sie sei etwas ungeschickt oder tollpatschig, weil sie sich ständig verletzte. Dabei merkte sie es einfach nicht. Die 71-Jährige fühlt aufgrund einer Genmutation keine Schmerzen, auch Angst und Stress sind ihr fremd. Neurobiologen von der Uniklinik London hoffen nun, durch sie Erkenntnisse zu gewinnen, um Patienten mit chronischen Schmerzen helfen zu können. Was Jo dazu sagt und wie sie mit ihrer Mutation umgeht, das erzählt sie im Video.
Selbst bei der Geburt ihrer Kinder spürte sie keine Schmerzen
Seit sie denken kann, hat Jo Cameron noch nie Schmerzen gefühlt. Für sie war das allerdings nicht außergewöhnlich - sie kennt das Gefühl ja nicht. Auch bei der Geburt ihrer beiden Kinder hatte sie keine Schmerzen. „Als ich in den Wehen lag, dachte ich die ganze Zeit, sobald ich Schmerzen habe, frage ich nach Mitteln dagegen. Doch bevor ich mich versah, waren die Kinder einfach da“, erzählt sie im Interview mit der „New York Times“.
„Ich dachte nicht ‚Ich bin ein Märtyrerin, ich nehme keine Schmerzmittel.‘ Ich war bereit, alles zu nehmen, weil mir gesagt wurde, dass eine Geburt schrecklich weh tut. Und ich habe auch Dinge gefühlt, zum Beispiel wie sich mein Körper öffnete. Aber ich habe keine Schmerzen gehabt.“
Jo Cameron merkt nicht, wenn sie sich schneidet
Ein Leben ohne Schmerzen – was sich für viele anhört wie ein Traum, hat aber auch Nachteile. Denn Schmerz ist auch ein wichtiges Warnsignal für den Körper. Wenn Jo bügelte, sah sie später, dass sie sich dabei verbrannt hatte. Wenn sie Gemüse in der Küche schnitt, bemerkte sie erst wenn sie blutete, dass sie sich geschnitten hatte.
„Wenn man sich schneidet oder sich verbrennt, sagt das Gehirn normalerweise: ‚Mach das nicht noch mal, pass auf.‘ Mein Gehirn sagt mir das nicht und das ist keine gute Sache. Denn ich habe nicht die normalen Schutzmaßnahmen des Körpers.“ Außerdem ist Jo etwas vergesslich. Manchmal vergisst sie mitten im Satz, was sie sagen wollte oder sie verlegt auch schon mal ihre Schlüssel.
Auch Wunden heilen bei ihr außerordentlich gut
Doch nicht nur ihre Schmerzunempfindlichkeit interessiert die Wissenschaftler. Jos Wunden heilen außerordentlich gut und es bilden sich kaum Narben. Außerdem fühlt Jo keinen Stress, selbst bei einem Autounfall, den sie erlebte, habe sie keine Panik oder Angst verspürt.
Stattdessen stieg sie aus ihrem Wagen, half dem Fahrer des anderen Autos und bemerkte erst später, dass sie selbst auch verletzt war. Als sie einmal eine „Scotch Bonnet“ aß, eine der schärfsten Chilischoten der Welt, beschrieb sie das Gefühl danach in ihrem Mund als „angenehmes Glühen“.
Genmutation verursacht Schmerzunempfindlichkeit
Dass Jo eine Art „Mutanten-Superfrau“ ist, kam zufällig heraus. Aufgrund einer Arthrose mussten ihre Daumen operiert werden. Patienten haben nach diesem Eingriff normalerweise starke Schmerzen. Jo benötigte noch nicht mal Schmerzmittel.
Die Ärzte der schottischen Klinik fanden das so ungewöhnlich, dass sie Jo für weitere Untersuchungen in die Uniklinik in London überwiesen. Dort untersuchten die Ärzte ihre DNA zusammen mit der ihrer Mutter, ihrer Tochter und ihres Sohnes. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass sie eine Genmutation hat.
Genauer gesagt sind zwei Gene anders als bei anderen Menschen. Eins dieser mutierten Gene hat sie an ihren Sohn weitergegeben. Das hat zur Folge, dass auch er weniger Schmerzen empfindet, aber nicht in dem Maße wie seine Mutter. Bei ihrer Mutter und ihrer Tochter war alles normal. Ihr Vater lebte nicht mehr, als die Mutation vor fünf Jahren bei ihr festgestellt wurde. Aber Jo glaubt, dass sie ihre „Superkräfte“ ihrem Vater zu verdanken hat. Auch er musste nie Schmerzmittel nehmen.