„Ich habe mir selbst eine gemacht“Seltenes Syndrom: Ally (39) wurde ohne Vagina geboren

„Es ist surreal, dass ich als 39-jährige Frau mit einer Vagina herumlaufe, die ich selbst gemacht habe“ – so beschreibt Ally Hensley auf der Online-Plattform „Mamamia“ ihre außergewöhnliche Geschichte. Die Britin wurde mit dem Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom – kurz MRKH-Syndrom – geboren, das heißt, der Großteil ihrer inneren Geschlechtsorgane war schlichtweg nicht vorhanden. Heute geht Ally offen mit ihrer Besonderheit um, doch der Weg dahin war „lang und traumatisch“, wie sie selbst sagt.
MRKH-Syndrom: Fingernagelgroßes „Grübchen“ statt Vagina
Wie fast jedes Mädchen wartete Ally in der Pubertät gespannt auf ihre erste Periode. Doch die kam nie: Mit 16 stellte ihr Gynäkologe fest, dass sie keine Gebärmutter, keinen Gebärmutterhals und keine Vagina hatte. Stattdessen hatte Ally nur ein „Vaginalgrübchen“, eine Vertiefung, nicht länger als ein Fingernagel.
Das MRKH-Syndrom tritt laut dem Universitätsklinikum Erlangen bei einer von 4.000 bis 5.000 Frauen auf. Dabei bildet der Embryo schon in den ersten Schwangerschaftswochen keine inneren Genitalorgane aus, äußerlich ist bei den Mädchen davon aber nichts zu erkennen: Merkmale wie Brüste und breitere Hüften entwickeln sich in der Pubertät in der Regel normal.
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Therapie dauerte neun Monate
Mithilfe einer Operation oder kontrollierter Dehnung kann bei Betroffenen eine sogenannte Neo-Vagina erzeugt werden. Ally entschied sich für Letzteres – wohlwissend, dass der Prozess lange und schmerzhaft sein würde. „Wenn ich ein ‚normales‘ Sexleben haben und meinen weiblichen Körper für mich beanspruchen wollte, müsste ich meine ganz eigene, speziell angefertigte Vagina erschaffen“, erklärt sie.
„Ich werde niemals die Position vergessen, in der ich mir einen Dilator in meinen Körper pressen musste“, beschreibt Ally die Therapie – „neun lange und traumatische Monate, morgens und abends“. Schließlich hatte sie sich durch die Schmerzen gekämpft und besaß zum ersten Mal in ihrem Leben eine Vagina.
"Unsere Anatomie bestimmt nicht, was für eine Person wir werden können"
Doch auch seelisch hatte Ally lange mit dem MRKH-Syndrom zu kämpfen: „Ich war fast noch ein Kind, das erfährt, dass es niemals eine Schwangerschaft oder Geburt erfahren würde. Ich wurde von Glas-Zylindern entjungfert.“ Als junge Frau war ihr Verhältnis zu ihrem Körper gestört, sie litt unter Essstörungen und verletzte sich selbst. „Um Sex zu haben, musste ich betrunken sein.“
Heute hat Ally gelernt, sich selbst zu lieben und zu akzeptieren: „Ich bin seit 39 Jahren eine Frau, aber ich fühle mich erst seit einem weiblich. Ich lerne, einen Körper zu umarmen, der nicht länger mein Feind ist, und genieße das Wort ‚Lust‘“, erklärt sie auf „Mamamia“. Inzwischen hat sie in ihrer Wahlheimat Australien eine Organisation für MRKH-Betroffene gegründet und klärt auf Instagram über das seltene Syndrom auf. „Auch wenn unsere Vergangenheit uns formt, so definiert sie uns doch nicht. Und unsere Anatomie bestimmt nicht, was für eine Person wir werden können“, so ihr starkes Statement.