Wie Aligner-Shops auf die Kritik reagieren

„Meine Zähne sind regelrecht gebrochen“! Betroffene warnen vor Billig-Zahnschienen

Aligner
Wer wünscht sich nicht das perfekte Hollywood-Lächeln? Doch öffentliche Institutionen wie die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung warnen vor gewerblichen Aligner-Anbietern.
picture alliance

von Madeline Jäger

Zahnschienen für Erwachsene aus dem Internet liegen voll im Trend, die so genannten „Aligner“ versprechen ein perfektes Hollywood-Lächeln und das zu einem guten Preis. Doch immer wieder trüben Berichte von Patienten über Komplikationen den schönen Schein, Verbände wie die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung warnen vor den Zahnschienen für kleines Geld. Im RTL-Gespräch erzählen zwei Betroffene ihre Leidensgeschichte.

Lese-Tipp: Zähne richtig putzen und Co.: Die größten Zahnmythen - und was wirklich stimmt

Zahnschienen-Behandlung fehlgeschlagen: „Zähne haben sich angefühlt wie Steine“

„Mir war nicht bewusst, dass das Thema Zahnfehlstellungen so hochkomplex ist“, sagt Janine K. aus Hamburg gegenüber RTL. Eine Bekannte von ihr habe sie mit einem tollen Lächeln angestrahlt und ihr von einem der bekanntesten Online-Aligner-Shops als Top-Anbieter vorgeschwärmt. Also habe sie es auch sofort auch ausprobiert. Doch nach sechsmonatigem Schienentragen kam bei ihr nur die große Ernüchterung.

„Mir sind die Zähne regelrecht gebrochen – der Druck der Zahnschienen war einfach viel zu groß“, schildert die Ex-Kundin. „Ich habe bei den Terminen selbst als Laie gemerkt, dass das inkompetente Mitarbeitende sind und keine Ärzte. Es wird nur von ‘Kunden’ und nicht von ‘Patienten’ gesprochen. Das sagt schon alles“, kritisiert die 39-Jährige. Am Ende habe sie nach dem Tragen von sechs Schienen unzufrieden aufgegeben.

„Die Zähne in meinem Mund haben sich angefühlt wie Steine“, so Janine K. Statt des perfekten Lächelns habe sie Beschwerden bekommen, wurde 1.800 Euro ärmer. Mittlerweile ist sie in einer Praxis in kieferorthopädischer Behandlung, seitdem werde es langsam besser. Doch die neue Behandlung, die alles wieder in Ordnung bringen muss, wird ebenfalls ein teurer Spaß. Deswegen will Janine K. von ihrer Rechtsschutzversicherung Gebrauch machen und ihr Geld zurückverlangen.

Lese-Tipp: Zusätzliche Diagnosen: Krankenkassen und Ärzte sollen bei der Abrechnung mogeln

Komplikationen bei der Behandlung mit Zahnschienen: „Fühle mich verarscht“

Auch Philipp Zilse hätte gerne sein Geld zurück. Bei Instagram bekam der Friseur plötzlich attraktive Zahnschienen-Werbung ausgespielt und entschied sich für das günstige Angebot. Mittlerweile bereut er diesen Schritt zutiefst. Nach einem kostenlosen „Scan“ seines Gebisses fertigte ein Algorithmus die Aufnahme an, anhand derer Zahnschienen angefertigt wurden. Eine medizinische Anamnese sei nicht erfolgt, so der Hamburger. Man soll ihm zwar gesagt haben, dass er ein „anspruchsvoller Fall“ sei, doch das habe niemanden daran gehindert, unverzüglich mit der Anfertigung der Aligner zu starten. Schnell begannen jedoch auch bei Philipp Zilse die Probleme.

„Mein Biss stimmte nicht mehr. Ich merkte beim Kauen, dass ich gar keinen Kontakt mehr hatte“, schildert Philipp Zilse im RTL-Gespräch. Er suchte die Geschäftsräume des Shops auf, schilderte mehrfach seine Probleme, doch die wurden immer schlimmer, bis er sich bei einer Kieferorthopädin vorstellte. „In der Praxis sagte man mir, dass diese Art von Zahn-Fehlstellung allein mit Schienen überhaupt nicht behandelbar ist. Ich fühle mich verarscht, dass mir die Behandlung zugesagt wurde, obwohl es gar nicht hätte funktionieren können“, ärgert sich der Hamburger im Nachhinein. 3.400 Euro habe er insgesamt bei dem Anbieter gelassen. Die Kosten für die Behandlung, die alles wieder in Ordnung bringen soll, kommen jetzt noch obendrauf.

Lese-Tipp: Neue Stern-Liste! Woran erkenne ich eine gute Ärztin oder einen guten Arzt?

Philipp Zilse
Philipp Zilse (36) während seiner Behandlung bei einem gewerblichen Aligner-Shop. Die Backenzähne greifen nicht mehr ineinander, die Vorderzähne überlappen stark.
Privat
Anzeige:

Empfehlungen unserer Partner

Gewerbliche Aligner-Shops werben mit günstigeren Preisen – Kieferorthopädin erklärt den Grund

Gewerbliche Anbieter von Zahnschienen werben auf ihren Homepages mit günstigen Preisen, durchschnittlich soll eine Behandlung zwischen 1.500 Euro und 2.000 Euro kosten. Im Vergleich zu manch einer kieferorthopädischen Behandlung in den Augen vieler Laien ein Schnäppchen. Doch wie kommt ein solcher Dumping-Preis zustande?

„Durch den direkten Verkauf der Schienen an den Endkunden wird an zahnmedizinischen Fachkräften und Kieferorthopäden gespart. Die fehlenden ärztlichen Kontrollen im Behandlungsverlauf vergünstigen den Prozess zusätzlich. Auch an zahlreichen Hilfsmitteln wie Attachments – also kleinen Halteelementen – wird gespart. Man konzentriert sich komplett und ausschließlich auf Aligner, dabei reichen die Schienen allein ohne zusätzliche Hilfsmittel bei den meisten Zahnfehlstellungen nicht aus“, erklärt die Kölner Kieferorthopädin Julia Funke. Und solche so genannten Attachments hätte auch der Hamburger Patient Philipp Zilse (36) benötigt, erklärt die Ärztin. Es sei von Anfang an klar ersichtlich gewesen, dass eine reine Aligner-Behandlung ohne Attachments bei ihm nicht funktionieren könne.

Mit ihrer deutlichen Kritik an den gewerblichen Aligner-Anbietern ist Funke nicht alleine, auch bei Verbraucherzentralen gehen regelmäßig Beschwerden ein.

Philipp Zilse
Um die fehlgeschlagene Zahn-Behandlung bei einem Aligner-Shop wieder geradezurücken, muss der Hamburger nun eineinhalb Jahre eine feste Zahnspange tragen.
Privat

Verbraucherzentrale: „Uns erreichen regelmäßig Beschwerden über gewerbliche Anbieter von Alignern“

„Die Verbraucherzentrale Hamburg erreichen regelmäßig Beschwerden über gewerbliche Anbieter von Alignern. Die Vertragskonstruktionen sind oft schwer durchschaubar, was zu Problemen führt, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher unzufrieden mit dem Ergebnis sind oder vom Vertrag zurücktreten wollen. Der Vertragsabschluss ist in der Regel ganz einfach. Bei Hilfebedarf, Beschwerden oder gar Reklamationen hingegen wird es den Verbraucherinnen und Verbrauchern sehr schwer gemacht“, sagt Dr. Jochen Sunken, Abteilungsleiter Gesundheit und Patientenschutz gegenüber RTL.

Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung schließt sich den Bedenken an, die Zahnärztekammer Nordrhein warnte erstmals in einer Mitteilung aus dem Jahr 2021 eindrücklich vor Komplikationen bei gewerblichen Aligner-Shops. Auf RTL-Anfrage bestätigt eine Sprecherin, dass sich seitdem leider nichts zum Besseren gewendet habe. „Immer wieder wenden sich Patienten an die Zahnärztekammer Nordrhein wegen vermuteter Behandlungsfehler von Aligner-Shops. Grund dafür ist die oft unzureichende zahnärztliche Betreuung“, heißt es von der Kammer-Sprecherin Susanne Paprotny auf RTL-Anfrage.

Lese-Tipp: Vertrauensvolle Praxis – Zahnarztsuche: So finden Sie einen guten Zahnarzt

Ihre Einstellung interessiert uns! Sind Sie mit Ihren Zähnen zufrieden?

Wo liegt das Problem bei gewerblichen Shops? Kieferorthopädin schätzt ein

Die Kölner Kieferorthopädin Dr. Julia Funke teilt diese Bedenken: „Gewerbliche Anbieter sind darauf bestrebt, dass der Umsatz stimmt. Pro Patienten werden mehrere Hundert Euro Werbekosten eingerechnet, der Rest soll für den Shop möglichst günstig sein. Die Anbieter wollen den Kunden möglichst selten sehen, weil das wiederum Aufwand und Kosten verursacht. Eine biomechanisch fundierte Planung durch Experten, sprich Kieferorthopäden, findet augenscheinlich nicht statt. Zahnmedizinische Standards werden nicht eingehalten. Eine kieferorthopädische Behandlung ohne ordnungsgemäße Diagnostik und regelmäßige klinische Überwachung birgt erhebliche Risiken für die Gesundheit. Dessen muss man sich als Patient bewusst sein“, appelliert die Expertin.

Dr. Julia Funke
Dr. Julia Funke ist Fachzahnärztin für Kieferorthopädie.
Julia Funke

Bekannte Aligner Shops reagieren auf Vorwürfe und Kritik: „Werden fachlicher Verantwortung gerecht“

RTL hat drei bekannte Aligner-Shops mit dieser Kritik konfrontiert. Zwei Unternehmen reagierten auf unsere Anfrage, ein Unternehmen äußerte sich bislang noch nicht.

In einer der Stellungnahmen heißt es: „Der Aligner-Shop weist jegliche Vorwürfe zurück, dass medizinische Standards nicht eingehalten werden.“ Die angebrachten Vorwürfe der Zahnärztekammern seien „Lobbyarbeit“. Denn klar ist: Für Kieferorthopäden sind die Aligner-Shops eine ungewollte Konkurrenz auf dem Markt, der ihre Monopolstellung gefährdet.

Außerdem, so heißt es weiter, lege das Unternehmen die Behandlung der Patienten mit Bedacht in die Hände von qualifizierten Zahnmedizinern, denn deren Einbindung sei im gesamten Verlauf der Aligner-Therapie wesentlich für den Behandlungserfolg – und damit auch für die Patientenzufriedenheit. Man werde seiner fachlichen Verantwortung für eine sichere Behandlung der Patienten entsprechend geltender zahnmedizinischer Standards gerecht, was man anhand des verbindlich vorgegebenen Behandlungsprozesses erkennen könne: „Alle unsere Patienten müssen vor dem Behandlungsstart einen Termin bei einem approbierten (Partner-)Zahnarzt wahrnehmen“, schildert die Unternehmenssprecherin weiter.

Hier würden Anamnese, Aufklärung, bildgebende Diagnostik und Initial-Befundung vorgenommen, bekräftigt sie. „Falls eine entsprechende Indikation vorliegt, muss der Zahnarzt gemäß unseren klaren Leitlinien auch ein Röntgenbild anfertigen. Eine für eine Aligner-Behandlung notwendige zahnmedizinische Diagnose wird also durchgeführt – und zwar von approbierten Zahnärzten.“

Im weiteren Verlauf der Behandlung werde auf Qualitätssicherung geachtet. So werde nach der Diagnose ein Behandlungsplan auf Grundlage der ausführlichen Diagnostik durch den Partner-Zahnarzt gemeinsam mit einem Team von Zahntechnikern erstellt. Komplexe kieferorthopädische Fälle würden ausgeschlossen. Ausgebildete Zahnärzte und Kieferorthopädien seien an allen Prozessen beteiligt. Auch mit einer App und Video-Sprechstunden würden diese Prozesse unterstützt, so der Anbieter in seiner Stellungnahme. Es gebe keine Abweichungen von geltenden medizinischen Standards. „Sobald wir Kenntnis davon erhalten, handeln wir unverzüglich. Von Partner-Zahnmedizinern, welche geltende medizinische Qualitätsstandards in der Vergangenheit – auch nur vereinzelt – nicht eingehalten haben, haben wir uns getrennt“, heißt es im Statement des Aligner-Shops weiter.

„Wir setzten selbstverständlich auf höchste zahnmedizinische Standards"

Auch ein zweiter bekannter Aligner-Shop reagiert auf die Kritik. Hier heißt es: „Als Teil ihrer wirtschaftspolitischen Lobbyarbeit haben die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung sowie Zahnärztekammer Nordrhein im Jahr 2021 Stellungnahmen mit pauschalen Behauptungen und Vorwürfen zu Aligner-Anbietern veröffentlicht.“ Diese werden vom Unternehmen zurückgewiesen, Gesundheit und Wohlbefinden der Patienten hätten stets oberste Priorität. „Wir setzen selbstverständlich auf höchste zahnmedizinische Standards und eine enge zahnärztliche Betreuung. Wir arbeiten ausschließlich mit erfahrenen ZahnärztInnen zusammen, die die Behandlung von Anfang bis Ende begleiten“, erklärt eine Unternehmenssprecherin gegenüber RTL.

Zudem setze man auf „fachgerechte Diagnostik und eine umfassende Untersuchung zu Behandlungsbeginn, regelmäßige Verlaufskontrollen und eine Abschlussuntersuchung zum Ende der Behandlung. Dabei nutzen wir das Vier-Augen-Prinzip und glauben, dass PatientInnen mindestens zwei zahnärztliche Beurteilungen durchlaufen sollten. Alle Prognosen, Diagnosen und Therapieschritte werden somit immer von mehreren ZahnärztInnen validiert.“

Eine ausführliche Aufklärung, Befundung und Therapieentscheidung würde vor Ort, in einer Zahnarztpraxis, erfolgen, „die weitere Kommunikation und Behandlungsbegleitung laufen im Wesentlichen über die App“, wo man auch wichtige Behandlungsparameter und Fortschritte dokumentieren könne. Verlaufskontrollen durch Fachpersonal würden mindestens alle sechs bis acht Wochen erfolgen. Und: „Zudem werden unsere PatientInnen, wie sonst auch üblich, bei Therapie- oder Interventionsbedarf persönlich in eine unserer Partnerpraxen einbestellt.“

Jeder muss für sich selbst entscheiden, was für ihn in Frage kommt

Deutlich wird: Wer ein schönes Lächeln will, sollte sich am besten mehrere Meinungen und Angebote von Experten einholen. Ob und wo der Patient sich letztendlich behandeln lässt, bleibt jedem selbst überlassen. (vdü)