Ex-Weltmeister beendet große Karriere

Sami Khedira ganz emotional: Am schwersten fiel ihm der Dank an seine Familie

Von Anja Rau
Der Tag, der für zwei Rio-Weltmeister die Rückkehr in die Fußball-Nationalmannschaft bedeutet, ist der Tag, an dem ein Dritter Schluss macht. Sami Khedira wird nicht länger Fußball spielen. Der Mann, der alles gewonnen hat, will reisen und Ruhe. Er geht mit dem Prädikat weltklasse. Bei einer Pressekonferenz seines derzeitigen Clubs Hertha BSC ringt Sami Khedira um Worte. Im Video: Wie Khedira seinen Abschied verkündet und wie er emotional seiner Familie dankt.

Kein Titel, aber trotzdem ein Gewinn in Berlin

Fünf Weltmeister von 2014 werden mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der EM um den letzten großen Titel für Joachim Löw kämpfen. Sie werden in München spielen, im Achtelfinale womöglich nach London reisen, nach Bukarest, Budapest oder Sevilla. Toni Kroos, Manuel Neuer, Mats Hummels, Matthias Ginter und Thomas Müller werden mit dem Team - je nach Spielplan - kreuz und quer durch Europa fahren. Weil sie Fußball spielen. Viel von Land und Leuten werden sie nicht sehen.

Einer, der sich ganz anderes vorgenommen hat, ist Sami Khedira. Ebenfalls ein Rio-Weltmeister. Einer, der schon länger nicht mehr von Löw berufen wurde. Und der es auch nie wieder wird. Der fortan seine Reisen selbst planen muss, der dafür aber auch Land und Leute kennenlernen kann. Denn Khedira macht Schluss. Sein Karriereende ist datiert auf Samstag, 17:15 Uhr - nach dem Abpfiff des Spiels TSG Hoffenheim gegen seinen letzten Klub Hertha BSC. Bekannt gibt er das an dem Tag, an dem Löw seine ehemaligen Mitstreiter Müller und Hummels zurückholt in die Nationalmannschaft.

"Harter Schritt" für den Ex-Weltmeister

Khedira hat den DFB-Mannen den Vortritt gelassen. Dass es eine Medienrunde mit ihm geben wird, veröffentlichte Hertha gerade einmal eine gute halbe Stunde, bevor diese auch schon startete. Der 34-Jährige wollte kein großes Brimborium, aber er wollte diesen Tag nutzen. Denn: "Auf den Tag genau vor 14 Jahren durfte ich mit dem VfB Stuttgart die Meisterschaft feiern. Das war ein wunderschöner Tag, heute ist einer, der mir persönlich sehr schwerfällt, denn am Samstag um circa 17:15 Uhr wird meine Fußball-Karriere beendet sein", eröffnete Khedira die Pressekonferenz.

Er erklärte: "Das ist ein ziemlich harter Schritt und es fällt mir schwer, darüber zu sprechen, aber es ist die richtige Entscheidung. 15 Jahre im Profifußball haben Spuren hinterlassen und ich muss ehrlich beurteilen, was ich noch kann und was nicht. Und am Ende des Tages überwiegt Dankbarkeit für all das, was ich erleben durfte."

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Hertha sagt Tschüss

Gereist ist er schon so viel. Allein schon seines Berufs wegen. Von Stuttgart, wo er mit dem VfB deutscher Meister wurde, führte sein Weg nach Madrid. Spanischer Meister, Pokalsieger, Superpokalsieger und Champions-League-Sieger mit Real Madrid. Weiter ging es für den zentralen Mittelfeldspieler nach Turin - natürlich inklusive des italienischen Meistertitels. Dazu Weltmeister - nur sieben Monate nach einem Kreuzbandriss. Zuletzt in Berlin konnte er keinen Titel mehr gewinnen.

In seinem halben Jahr bei Hertha BSC stemmte er sich mit dem Team aber immerhin erfolgreich gegen den Abstieg aus der Bundesliga. Das zählt im ambitionierten Klub wenigstens kurzfristig als großer Erfolg. Seit seiner Verpflichtung in der Winterpause absolvierte Khedira lediglich acht Spiele im blau-weißen Trikot, keins über die volle Spielzeit, fehlte sechs Partien wegen Wadenverletzungen. Es wirkte bei der Pressekonferenz als nage diese Tatsache sehr an ihm: "Ich kann nicht mehr das erfüllen, was ich selber von mir verlange." Doch der Kampf gegen den Abstieg gelang auch seinetwegen: "Sportlich konnte er nicht viel helfen, aber die Sache, in der Kabine viele Dinge zu regeln, da war nicht nur sein Name weltklasse. Das war eine große Hilfe", lobte Trainer Pal Dardai nach dem rettenden 0:0 gegen den 1. FC Köln am vergangenen Wochenende.

77 Spiele für die deutsche Nationalmannschaft

Und nun? "Ich bin dann erstmal raus", sagte Khedira bei der Medienrunde. Er will reisen. Ohne Team, ohne Spielplan, ohne Hatz, ohne Verpflichtungen. "Ich werde kein richtiges Zuhause haben. Ich werde viele Dinge machen, die ich als aktiver Sportler nicht machen konnte", so der gebürtige Schwabe. Corona macht ihm dies nicht gerade einfach, aber er hat ja jetzt Zeit. Er wird das organisiert bekommen, so wie er auch auf und abseits des Platzes immer alles organisiert bekam.

2010 beeindruckte er erstmals so richtig im Nationalteam, als er den Platz von Kapitän Michael Ballack einnahm. Der "Capitano" war im Mai von Kevin-Prince Boateng gefoult worden - es war das Aus vor der WM in Südafrika. Und das Aus in der Nationalmannschaft. Ballack würde schmerzlich fehlen, unersetzbar sein, befürchteten viele. Khedira trug maßgeblich dazu bei, dass dem nicht so war. Stattdessen Platz drei, inklusive berauschender Spiele etwa gegen England (Achtelfinale) oder Argentinien (Viertelfinale). Die Krönung gab es 2014 erst mit dem Königsklassen- und kurz darauf dem WM-Titel.

Nach dem WM-Debakel 2018 endete seine 77 Spiele währende DFB-Karriere. Löw nominierte ihn nicht mehr, anders als bei Hummels, Müller und Jérôme Boateng gab es nach seiner Ausmusterung keine Staatskrise. Zu häufig war Khedira bei Juventus Turin von Verletzungen geplagt, zu wenig zeigte er noch die Leistung, die kein Vorbeikommen an ihm bedeutet hätte. Eigentlich auch keine Leistung, die für eine Verpflichtung bei der krisengeschüttelten Hertha reichen würde, zweifelten viele. Skepsis ob seines Fitnesszustandes, ob seiner Verletzungen - auch nach einer Herzoperation -begleiteten ihn nach Berlin. Und ja, er spielte gerade einmal 318 Minuten. Die Kritiker verstummten trotzdem. Weil sie wie Dardai merkten, was das wild zusammengekaufte Team an diesem Leader hat.

"Ich habe eine Verantwortung meinem Körper gegenüber"

ARCHIV - 13.07.2014, Brasilien, Rio de Janeiro: Fußball, Weltmeisterschaft Brasilien 2014, Finale, Deutschland - Argentinien im Estadio do Maracana. Deutschlands Sami Khedira jubelt mit dem WM-Pokal nach dem Finalsieg. (RESTRICTIONS APPLY\ Editorial Use Only, not used in association with any commercial entity - Images must not be used in any form of alert service or push service of any kind including via mobile alert services, downloads to mobile devices or MMS messaging - Images must appear as cstill images and must not emulate match action video footage - No alteration is made to, and no text or image is superimposed over, any published image which\ (a) intentionally obscures or removes a sponsor identification image; or (b) adds or overlays the commercial identification of any third party which is not officially associated with the FIFA World Cup) EDITORIAL USE ONLY (zu dpa «Rio-Weltmeister Khedira wird Fußball-Karriere beenden») Foto: picture alliance / dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Sami Khedira 2014
nic frk bwe htf fux, dpa, Andreas Gebert

Einem Leader, der keine platten Phrasen drosch, der keine Alphamännchen-Interviews gab, der aber stets selbstbewusst sagte, was von ihm zu erwarten ist - und was er von sich selbst erwartet. So wie 2018 als er vor der WM die Leaderrolle für sich einforderte. Und so wie in dieser Winterpause, als er bei seiner Vorstellung bei der Hertha seinen Kritikern erst recht gab - "Die Zahlen sprechen natürlich nicht für mich" - und dann argumentierte: "Wenn man tagtäglich mit Cristiano Ronaldo und Matthijs de Ligt auf dem Platz steht, verliert man nicht allzu viel Qualität."

Einer, der aber auch bekannte, wenn es nicht ging. So verzichtete er auf seinen Einsatz im WM-Finale 2014 gegen Argentinien, weil er sich beim Warmmachen verletzte - und das rechtzeitig und gewissenhaft kommunizierte. Fraglich, ob das alle so getan hätten. Den größten Triumph seiner Karriere, er erlebte ihn auf der Bank. So selbstkritisch erkennt er nun, dass es Zeit ist, Schluss zu machen: "Ich habe eine Verantwortung meinem Körper gegenüber. Das Bauchgefühl hat am Ende entschieden." Er ist ehrlich zu sich und zu allen anderen. Damit ist er immer erfolgreich gewesen. Die "Intensität, Schmerzen und Quälerei haben sich am Ende des Tages gelohnt", ist Khedira überzeugt. Doch Erfolg ist nicht alles im Leben. "Ich will jetzt erstmal meine Ruhe haben."