Spezialisten erforschen Geschichte mit "Cold Case"-Methioden
Jüdischer Notar soll Anne Frank und ihre Familie an Nazis verraten haben
Notar verriet Anne Frank, um eigene Familie zu retten
Ihr Schicksal ist eines von ungezählten jüdischen Menschen, die Opfer des Holocaust wurden. Und es ist eines der bekanntesten. Das "Tagebuch der Anne Frank" ist ein Stück Weltliteratur und ein bewegendes Dokument der Zeitgeschichte. Umso erstaunlicher, dass es nach so langer Zeit immer noch neue Erkenntnisse gibt. Jetzt wurde bekannt, dass das Versteck des jungen Mädchens und seiner Familie in Amsterdam vor den Nationalsozialisten sehr wahrscheinlich von einem jüdischen Notar verraten wurde.
Experten überprüfen 30 Theorien - fast alle erwiesen sich als "unwahrscheinlich"
Der Mann habe damit das Leben seiner eigenen Familie retten wollen. Das ist das Ergebnis der langjährigen Untersuchung, die ein internationales Team in niederländischen Medien präsentierte. Es ist eines der großen Rätsel der Geschichte: Zwei Jahre lang lebten die Familie Frank und vier weitere Juden im Hinterhaus in Amsterdam im Versteck vor den deutschen Nazis. Doch am 4. August 1944 stürmte ein SS-Kommando das Haus.
Mehr als fünf Jahre war das internationale Cold-Case-Team (als "cold case" wird ein ungeklärter, also "kalter" Kriminalfall aus der Vergangenheit bezeichnet) nun der Frage nachgegangen: Wie wurde das Versteck an der Prinsengracht 263 bekannt? War es Zufall? War es Verrat? "Wir haben insgesamt etwa 30 Theorien überprüft", sagte der Journalist Pieter van Twisk, einer der Leiter der Untersuchung. "Wir können sagen, dass davon 27, 28 sehr unwahrscheinlich bis unmöglich waren."
Anne Frank starb mit 15 Jahren im KZ Bergen Belsen
Die wahrscheinlichste Antwort ist: Notar Arnold van den Bergh habe den deutschen Besatzern eine Liste mit Verstecken von Juden in Amsterdam übergeben, um seine eigene Familie vor der Deportation zu bewahren. Und auf dieser Liste stand eben auch das Hinterhaus, in dem Anne Frank (1929 - 1945) ihr heute weltberühmtes Tagebuch geschrieben hatte. Alle Bewohner wurden in Konzentrationslager deportiert. Anne starb im KZ Bergen Belsen 1945, sie war 15 Jahre alt. Nur ihr Vater Otto überlebte.
Die Untersucher stützen sich vor allem auf die Kopie eines anonymen Briefes, den Otto Frank 1946 bekommen hatte. Darin wird der Name des Notars genannt. Das Original des Briefes ist zwar verschwunden, im Amsterdamer Stadtarchiv hatte das Team nun aber die Kopie gefunden.
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Kein Urteil über Notar: "Die einzig Schlechten waren die Nazis"
Der Notar war damals Mitglied des Jüdischen Rates, hatte daher viele Kontakte und war zunächst vor Deportation geschützt. Doch 1944 fiel dieser Schutz weg, und es drohte auch ihm, seiner Frau und den drei Töchtern die Deportation. Die Familie überlebte.
Keiner der Untersucher will ein Urteil über den Notar fällen. "Die einzig Schlechten waren die Nazis", sagte der ehemalige Agent des amerikanischen FBI, Vince Pankoke, der maßgeblich an der Untersuchung beteiligt war, "ohne sie wäre das alles nicht geschehen." (dpa; uvo)