Schwer an Alzheimer erkrankt
Jan Furtok: Das herzzerreißende Schicksal einer Stürmerlegende

Von Ben Redelings
Die Nachricht von der Alzheimer-Erkrankung beim ehemaligen Bundesligastürmer des HSV und von Eintracht Frankfurt, Jan Furtok, erschütterte nicht nur seine früheren Mitspieler, sondern alle Fußballfans in Deutschland. Das Schicksal des Polen berührt!
Er erkennt nur noch Anthony Yeboah
Manchmal, so heißt es, erkennt sich der ehemalige Bundesligastar Jan Furtok noch nicht einmal mehr selbst im Spiegel. Doch wenn er das Foto an der Wand eines früheren Mitspielers sieht, reagiert der Pole noch heute. Es ist sein Kollege aus Frankfurter Zeiten, Anthony Yeboah.
Die Geschichte des Jan Furtok geht zu Herzen. Besonders bei den Fußballfans, die den Polen noch live haben spielen sehen. Damals Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre, als Spieler aus dem deutschen Nachbarland im Osten wie Miroslaw Okonski, Andrzej Iwan, Marek Lesniak oder Andrzej Buncol in der Bundesliga für Furore sorgten. Jan Furtok wechselte im Oktober 1988 von seinem Heimatklub GKS Kattowitz zum Hamburger SV. Damals waren diese Transfers noch alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Doch Furtok hatte Glück. Ihn ließ man gehen - natürlich nur im Austausch mit einer ordentlichen Transferentschädigung, die drüben in Kattowitz nach einem nicht näher bekannten Schlüssel gewissenhaft untereinander aufgeteilt wurde.
Nun wäre eigentlich alles gut gewesen, doch die Polen warfen Furtok Mitwisserschaft bei einer dubiosen Geschichte rund um seinen ehemaligen Kollegen in Kattowitz, Andrzey Rudy, vor. Das polnische Ausnahmetalent hatte sich nur zwei Wochen nach Furtoks Wechsel in die Bundesliga bei einem Freundschaftsspiel in Mailand von seiner Nationalmannschaft abgesetzt. Und da zeitgleich seine Freundin Anja, die damals bereits in Polen eine gefeierte Berühmtheit war, mit einem Touristen-Visum in den Westen geflüchtet war, wurde die ganze Geschichte zu einem echten Politikum aufgebauscht.
Furtok rettete den HSV

Was im November 1988 noch keiner ahnte: Mittendrin in dieser zwielichtigen Story steckten mit Uli Hoeneß und Reiner Calmund zwei echte Bundesliga-Schwergewichte. Denn der Bayern-Manager hatte es sich "zum Hobby gemacht, diesen Spieler zum Nulltarif" zu holen. Zehn Tage versteckte Hoeneß daraufhin Rudy in einem Hotel in Unterhaching - bis ihm die Sache langsam zu heiß wurde und er erklärte: "Es ist ein bisschen Menschenhandel, und diese Art von Verträgen sind nicht unser Stil. Und außerdem: Wir haben nur einem befreundeten Verein einen Gefallen getan." Hoeneß meinte damit Bayer Leverkusen und Reiner Calmund. Doch auch diesem war die ganze Geschichte recht bald nicht mehr geheuer - und so verzichtete auch Bayer auf das große polnische Fußballtalent Andrzey Rudy.
Der Hamburger SV musste in diesen trüben Herbsttagen des Jahres 1988 den DFB einschalten, um die Wirren um ihren eigenen Spieler, Jan Furtok, zu lösen. Denn der polnische Verband hatte nach seinen Vorwürfen der Mitwisserschaft Furtoks Frau und den beiden kleinen Kindern die Ausreise in die Bundesrepublik verwehrt. Nach zwei Monaten dann die Erlösung: Alle drei durften nach Hamburg nachreisen. Doch es sollte eine ganze Weile dauern, bis die Familie richtig in der Hansestadt ankam. Und das hatte viel mit der anfangs sportlich schwierigen Situation des polnischen Nationalspielers bei den Rothosen zu tun.
Ein Jahr nach seinem Wechsel stand der HSV zur Winterpause auf dem enttäuschenden 14. Tabellenplatz. Geködert hatte man Furtok allerdings mit der verlockenden Aussicht auf ruhmreiche UEFA-Pokal-Abende. Doch das war bei weitem noch nicht alles. Furtok fühlte sich damals beim HSV verheizt: "Ich bin psychisch und physisch kaputt!" Im Sturm musste er den Alleinunterhalter geben - in einer Mannschaft, die er selbst nur für begrenzt bundesligatauglich hielt. Deutlich, wie es damals noch durchaus gang und gäbe war, klagte Furtok über die Medien an: "Es reicht nur bei von Heesen, Jakobs, Jusufi, Schröder, Eck, Beiersdorfer und mir. Wenn einer ausfällt, ist das schon ein Problem."
"Ohne Furtok keine HSV-Tore"
Doch einen großen Teil seiner heute noch immer bestehenden Popularität bei den HSV-Fans hat Jan Furtok ausgerechnet dieser sportlich misslichen Lage der Saison 1989/90 zu verdanken. Denn durch seinen Treffer in der 88. Minute am 34. Spieltag gegen Waldhof Mannheim vermieden die Hamburger damals die Relegation und schickten gleichzeitig die Waldhöfer in die Zweite Liga. Und da der ewige Stadtrivale, der FC St. Pauli, parallel in Düsseldorf mit 0:7 unterging, konnte sich der HSV am Ende sogar noch vor den Kiezkickern platzieren. Alles vor allem dank Jan Furtok.
Doch der Pole war in der Hansestadt nicht nur wegen seiner Tore beliebt, sondern auch, weil er in "jedem Spiel für zwei ackert(e)", wie sein Trainer Gerd-Volker Schock damals mit leuchtenden Augen erzählte. Fiel der Mann aus Kattowitz in diesen Tagen einmal aus, hatten die Hamburger ein Problem. Und so titelte ein großes Sportmagazin in fetten Lettern: "Ohne Furtok keine HSV-Tore". In der Spielzeit 1990/91 belegte der Pole in der Torjäger-Tabelle hinter Roland Wohlfarth sogar den zweiten Platz.
Der Kreuzbandriss ist ein Karriereknick

Doch nach einem Kreuzbandriss und seinem Wechsel 1993 zu Eintracht Frankfurt kam Jan Furtok nicht mehr so stark aufs Feld zurück wie in seinen besten Hamburger Zeiten. Bei der Eintracht musste er schlussendlich sogar den Spott der Kommentatoren, wie in diesem Fall vom Reporter des Hessischen Rundfunks, Joachim Böttcher, ertragen: "Jemand sollte Jan Furtok mal die polnische Übersetzung der Memoiren Casanovas schenken, da steht nämlich drin, wie man seine Chancen nutzt!" In Frankfurt bildete Furtok nicht selten zusammen mit Anthony Yeboah ein Sturmduo. Das ist der Mann, den der an Alzheimer erkrankte Pole heute noch auf den Fotos in seinem Haus erkennt.
Ein anderer Partner damals war - sowohl beim HSV wie bei der Eintracht - Thomas Doll. Als dieser vor wenigen Tagen von der Erkrankung Furtoks erfuhr, zeigte er sich "schwer erschüttert" - und erinnerte sich sofort an die vielen schönen gemeinsamen Stunden mit seinem früheren Mannschaftskameraden. Erinnerungen, die er mit Jan Furtok nun nicht mehr teilen kann. Doch die Fußballfans, die den Polen damals in der Bundesliga haben wirbeln sehen, werden noch lange und gerne an ihn zurückdenken.