Psychologe erklärt
Hitzetod im Auto: Wie kann ein Vater seine Kinder vergessen?

Der tragische Hitzetod der kleinen Babys aus New York erschüttert die ganze Welt: Der Vater hatte die beiden Einjährigen im Auto zurückgelassen und war zur Arbeit gegangen. Erst nach acht Stunden war er zurückgekehrt und hatte seine Kinder tot auf dem Rücksitz entdeckt. Den Ermittlern erzählt er jetzt, er habe einen totalen Aussetzer gehabt. Er sei fest davon ausgegangen, die Kinder vor der Arbeit in die Kita gebracht zu haben. Kann man seine Kinder wirklich so aus dem Gedächtnis streichen? Ein Traumapsychologe erklärt das Phänomen.
Der Vater hatte eine Fehlerinnerung
Was dem Vater aus New York hier vermeintlich passiert ist, nennen Experten eine "false memory", eine Fehlerinnerung, sagt Traumatherapeut Michael Kopper aus Köln. Man erinnert sich dabei entweder an Ereignisse, die es gar nicht gab, oder man glaubt, echte Ereignisse hätten gar nicht stattgefunden.
"So etwas kann auftreten, wenn man besonders unter Stress steht. Der Vater war vermutlich völlig auf seinen bevorstehenden Arbeitstag fokussiert. Das Gehirn blendet dann manchmal die restliche Umwelt aus. Wir alle haben vermutlich schon mal etwas Ähnliches erlebt: Man spricht jemanden, der gerade Fernsehen schaut, von der Seite an und derjenige reagiert gar nicht. Der nimmt einen einfach gar nicht wahr", so Kopper.
Und so kann es passieren, dass der Vater auf die Arbeit fixiert war, die er noch zu erledigen hatte und er dabei die Kinder ausgeblendet hat.
Das Gehirn will Energie sparen
"Unser Gehirn geht gerne in den Automatikmodus. Neue Situationen sind anstrengend, wann immer es möglich ist, kehrt das Gehirn deshalb in gewohnte Denk- oder Handlungsmuster zurück", erklärt Psychologe Michael Kopper. Im vorliegenden Fall war es vermutlich so, dass der Vater seine Kinder normalerweise tatsächlich vor der Arbeit zur Kita gebracht hat. Nur an diesem einen Morgen vielleicht nicht. Das Gehirn ist aber anscheinend automatisch von der üblichen Situation ausgegangen.
Wir alle geben uns einer Sicherheitsillusion hin
"Auch dieser ganz natürliche Mechanismus dürfte hier eine Rolle gespielt haben: Jeder von uns neigt dazu, Gefahren im Alltag zu verdrängen. Dass wir auf dem Weg zur Arbeit von einem Auto überfahren werden könnten. Dass wir eine Treppe hinunterstürzen könnten. Dass uns jemand überfällt und so weiter. Würden wir uns diese - mehr oder weniger realen - Gefahren täglich bewusst machen, könnte niemand mehr ein entspanntes Leben führen", erläutert Traumatherapeut Kopper. Deshalb wiegen wir uns zum Selbstschutz in Sicherheit.
Auch der Vater der Zwillinge könnte das getan haben: Die Sicherheitsillusion könnte dazu beigetragen haben, dass er die Gefahr verdrängt hat, die seinen Kindern durch die Hitze im Auto drohte. Ein Extracheck auf der Rückbank entfiel deshalb anscheinend.
Vor Gericht hat der 39-Jährige auf "nicht schuldig" plädiert. Ob er bestraft wird, müssen jetzt Psychologen und Richter entscheiden.