Gesucht wegen Massenmordes: Fahndung nach Janukowitsch
Die Ukraine fahndet nach ihrem abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch wegen Massenmordes. Gegen ihn und weitere Verantwortliche der jüngsten Gewalteskalation in der Hauptstadt Kiew sei Haftbefehl ergangen, teilte der amtierende Innenminister Arsen Awakow per Facebook mit. Janukowitsch sei seit Freitag kreuz und quer im Osten des Landes auf der Flucht und halte sich derzeit vermutlich im Süden auf. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte die neue Führung in Kiew zu Augenmaß. Russland zweifelte deren Legitimität an.

Nicht nur auf politischer Ebene muss die neue Führung in Kiew rasch für Ruhe sorgen: Der amtierende Finanzminister Juri Kolobow sagte, das vor dem Finanzkollaps stehende Land brauche in den kommenden beiden Jahren 35 Milliarden Dollar an ausländischer Hilfe. Er forderte eine Geberkonferenz für die Ukraine.
Aus der EU-Kommission verlautete, die Europäische Union habe Kontakt mit den USA, Japan, China, Kanada und der Türkei aufgenommen, um Hilfen für die Ukraine zu koordinieren. Die EU könne eine Geberkonferenz organisieren, um kurzfristig Finanzhilfen bereitzustellen. Die EU hat der Ukraine bereits finanzielle Hilfe zugesagt, knüpft diese aber an Reformen. Aus EU-Kreisen verlautete jedoch, dass mit Hilfe nicht vor der für den 25. Mai geplanten Präsidentenwahl zu rechnen sei.
Russland hat als Reaktion auf den Machtwechsel hingegen den Geldhahn zugedreht und Milliardenhilfen auf Eis gelegt. Die Ukraine hofft nun, dass der Nachbar nicht auch die Gaspreise anhebt. Doch Russland zweifelt die Legitimität der neuen ukrainischen Führung an. Deren Anerkennung durch einige Staaten sei eine "Verirrung", sagte Ministerpräsident Dmitri Medwedew. "Falls sich Leute, die in schwarzen Masken und mit Kalaschnikow-Sturmgewehren durch Kiew schlendern, als Regierung bezeichnen, so wird die Arbeit mit einem solchen Kabinett sehr schwierig sein", sagte er. "Es gibt niemanden, mit dem wir dort sprechen können." Russland hatte seinen Botschafter zu Konsultationen aus Kiew nach Moskau beordert. "Es besteht eine reale Gefahr für unsere Interessen sowie für Leben und Gesundheit unserer Landsleute", sagte Medwedew.
Doch die erste Tranche an Hilfen sei bereits in ein bis zwei Wochen nötig, sagte Finanzminister Kobolow. In den vergangenen zwei Tagen habe es Beratungen mit der EU, den USA, anderen Ländern und Finanzorganisationen gegeben. Zu Gesprächen über Hilfsmaßnahmen wurde die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in Kiew erwartet.
Ex-Präsident wird im Süden vermutet
Indes wird nach dem abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch gefahndet. "Gegen Janukowitsch und andere Verantwortliche erging Haftbefehl", teilte Awakow mit. "Ein offizielles Verfahren wegen des Massenmordes an friedlichen Bürgern wurde eröffnet." Allein in der vergangenen Woche wurden bei Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in Kiew 82 Menschen getötet. Die meisten Opfer waren Janukowitsch-Gegner, die gegen die pro-russische Politik des früheren Staatschefs protestiert und für eine engere Anbindung an die EU gekämpft haben.
Der Maidan wird von Trauer beherrscht. Auf einer riesigen Leinwand am Randes des Platzes wurden die Gesichter der Todesopfer gezeigt - eines nach dem anderen, immer wieder. "Jetzt ist nicht die Zeit zum Feiern", sagte ein Demonstrant in schwarzem Kampfanzug. "Wir sind noch immer im Krieg. Wir werden hierbleiben, solange es nötig ist."
Janukowitsch ist dagegen weiter untergetaucht. Nur noch eine Handvoll Leibwächter und sein Vertrauter Andrij Kljuew seien bei dem 63-Jährigen, erklärte Awakow. Am späten Sonntagabend habe sich der Ex-Präsident auf der Halbinsel Krim aufgehalten, wo die Bevölkerung überwiegend mit Russland sympathisiert. Dort habe Janukowitsch ein Anwesen in Balaklawa per Auto mit unbekanntem Ziel verlassen. Am Samstag hatte das Parlament ihn abgesetzt und Olexander Turtschinow zum Übergangspräsidenten ernannt, einen engen Vertrauten der Janukowitsch-Kritikerin Julia Timoschenko, die Ende der Woche aus dem Gefängnis freigelassen worden ist.