Kroos, Kimmich, Gündogan
Wo sollen die denn alle spielen, Herr Löw?
Von Tobias Nordmann
Die anstehenden Länderspiele dienen zwei wichtigen Vorhaben: Sie sollen den Weg zur WM ebnen und sie sollen dem DFB-Team die Chance geben, sich schon für die EM einzuspielen - und das ohne Toni Kroos. Das könnte nachhaltige Rochaden mit sich bringen. Was die DFB-Elf am Donnerstag (20.15 Uhr live bei RTL und TVNOW) gegen Island erwartet, erklärt Let’s-Dance-Star Rurik Gislason im Video.
Gündogan von Guardiola in den Himmel gelobt
Wenn Starcoach Josep Guardiola mal wieder zu einer seiner wundervollen Schwärmereien ansetzt, dann bedeutet das für den stets im Superlativ geadelten Fußballer nicht immer etwas Gutes. Wohl niemand weiß das besser als der Brasilianer Dante.
Exakt 1000 Ausgaben des Abwehrspielers wünschte sich der Katalane einst als Trainer des FC Bayern. Wohin er mit ihnen gewollt hätte? Nun, völlig unklar. Denn nicht mal für einen, für den einzigen Dante hatte der Trainer einen festen Platz in der Innenverteidigung des Rekordmeisters.
Doch nicht immer euphorisiert sich der guardiola'sche Superlativ an der Wahrheit auf dem Platz vorbei. Beispiel İlkay Gündogan. Über den deutschen Nationalspieler begeisterte sich der Spanier erst in den vergangenen Tagen als einen der "intelligentesten Spieler, die ich je gesehen oder trainiert habe." Angesichts von großartig dirigierenden Professoren wie Xavi und Andrés Iniesta (beide beim FC Barcelona) oder aber Xabi Alonso (beim FC Bayern) ist das eine Schmeichelei zum Rot werden für den gebürtigen Gelsenkirchener.
Aber anders als bei Dante hätte der Katalane bei Manchester City mutmaßlich sehr viel Platz für sehr viele Gündogans. Nicht nur wegen seiner sehr ausgeprägten Liebe zu denkenden und lenkenden Strategen, sondern auch wegen der aktuellen Form des Mittelfeldspielers. Die ist seit seiner überstandenen Corona-Infektion nämlich grandios. Grandios wie wohl nie zuvor.
Überangebot im DFB-Mittelfeld
Für Bundestrainer Joachim Löw ist diese Form ein Geschenk. Und natürlich freut er sich darüber. Aber der Mann, der nach der EM in diesem Sommer nach 15 Chefjahren abtritt, wusste bislang nicht, wohin er dieses Geschenk stellen soll. Er hat für Gündogan nur selten einen Platz, wenn er seinen besten Kader beisammen hatte. Bei einer tüchtigen Aufräumaktion im heimischen Regal wäre die Lösung ganz einfach: Eine Sache rausnehmen, aussortieren, wegpacken, fertig.
Bei der Nationalmannschaft dagegen ist die Lage komplizierter: Die Positionen, die Gündogan mit seinen Qualitäten bespielen könnte, sind in bester Obhut beim bayrischen Kraftzentrum Joshua Kimmich und Leon Goretzka. Oder aber dank eigener Klasse und bundeslöw'scher Loyalität durch Toni Kroos belegt.
Pässe wie Kunstwerke, eine einschüchternde Sicherheit am Ball und ein Torschuss zum Liebhaben - das sind die Argumente, warum der souveräne Taktgeber von Real Madrid beim Bundestrainer seit Ewigkeiten gesetzt ist, warum beide ein Agreement der nonverbalen Nominierung haben. Und wer will bestreiten, dass diese Argumente verdammt gut sind?
Dennoch ist in den vergangenen Monaten eine öffentliche Debatte entstanden, die sich der Frage angenommen hat, ob Kroos tatsächlich noch ein uneingeschränkter Stammspieler sein darf. Die Argumente für ihn, siehe oben. Die Argumente gegen ihn: Formschwankungen im Klub (aktuell stimmt die Verfassung indes, kein Spieler in der spanischen Liga kreiert mehr Torchancen als der 31-Jährige), schwache Länderspiele in Serie und eben viele Konkurrenten im Kader, die einfach derzeit in unverzichtbarer Verfassung sind.
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Kroos in WM-Quali nicht dabei
In den kommenden Tagen wird diese Debatte womöglich wieder auf die Agenda gehoben - und das in Abwesenheit von Kroos. Dessen Adduktoren sind gerade so malade, dass er in den WM-Qualifikationsspielen gegen Island, Nordmazedonien und Rumänien (alle live bei RTL und TVNOW) nicht für sich werben kann. Das können derweil Kimmich, Goretzka und Gündogan tun, auch wenn sie das eigentlich nicht nötig haben.
Aber dennoch wird jedes starke Spiel, jeder beeindruckende Auftritt, egal ob im Verein oder in der Nationalmannschaft, den Bundestrainer in ein gewaltiges Abschieds-Dilemma zwingen. Denn angesichts des zu Teilen wieder eingesetzten Leistungsprinzip - es gilt für die Nicht-Nominierung von Julian Draxler und Julian Brandt, nicht allerdings für den trotz Topform nicht berücksichtigten Stürmer Kevin Volland - führt kein Stammplatz-Weg an Kimmich, Goretzka und Gündogan vorbei.
Zwei Positionen, drei Bewerber
Drei Positionen, vier Bewerber. Wobei die Wahrheit ist: Zwei Positionen, für drei Bewerber. Denn Kroos ist gesetzt. Mit dieser eisernen Loyalität wird Löw im Schlusssprint seiner DFB-Karriere ganz sicher nicht brechen. Die einfachste, wenn auch riskanteste Lösung wäre Kimmich wieder zu versetzen, wieder nach rechts hinten. Das kennt er. Das kann er. Auch wenn er beim WM-Debakel 2018 häufiger mit Abwesenheit in der Rolle glänzte als mit Abräummomenten. Und tatsächlich ist das ein Thema für den Coach, wie er nun in seinem Antrittsplädoyer für die letzte Mission im Dienste des DFB erklärte. "Ich denke darüber nach, lasse alles in meine Überlegungen einfließen. Er macht auf beiden Positionen einen guten Job."
Traut man Löw das zu? Eher nicht
Das Problem ist: Kimmich ist mit der Interpretation als galliger Antreiber in der Zentrale ein ganz anderer Typ, als die sich doch ähnelnden Strategen Kroos und Gündogan. Andere Lösung: Kroos und Kimmich ergänzen sich mit ihren Fähigkeiten im zentralen Mittelfeld, Gündogan rückt dafür etwas weiter vor. Eine Idee, die Löw ohnehin verfolgt: "Er ist ein sehr guter Vorbereiter, mittlerweile aber auch ein guter Abschlussspieler. Es ist gut für uns, wenn er ein bisschen weiter vorne spielt." In dieser Rolle würde er indes Goretzka auf die Bank schubsen. Das würde dem Team allerdings reichlich Dynamik, Physis und Zug zum Tor nehmen.
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Das wiederum sind zentrale Elemente der Offensive, die sich Löw wünscht. Im Interview mit RTL/ntv hatte er gerade erst betont, dass ihm weniger die bisweilen doch sehr instabile Abwehr weniger Sorge bereite als das Spiel nach vorne. "Ich mache mir viel mehr Gedanken darum, wie wir im letzten Drittel wieder besser werden können, wie wir zum Abschluss kommen. Wie wir dann unsere Chancen verwerten."
Ein mögliches Vorbild könnte er ausgerechnet bei Guardiola finden, dessen Idee des Fußballs der des Katalanen durchaus ähnelt, der stellt ja bisweilen (und mit großer Vorliebe) mehr Mittelfeldspieler auf, als es Positionen gibt. Mit Erfolg: Man City hat mit Abstand die erfolgreichste Offensive der Liga. Und mit Gündogan den torgefährlichsten "Angreifer". Aber so viel Fußball-Revolution traut man Löw im Schlusssprint nun wahrlich nicht mehr zu.
Quelle: ntv.de