Formel 1: So trainieren Sebastian Vettel, Marcus Ericsson und Co. ihre mentale Fitness

Jan Krebs; Marcus Ericsson
RTL-Reporter Jan Krebs (Zweiter v.r.) mit Sauber-Pilot Marcus Ericsson (r.) bei der Formula Medicine. Bei diesem Test wurden Hirnströme und dort vor allem die Fokussierungskraft gemessen.
RTL Interactive

Die Fähigkeit, sich auf den Punkt, aber auch über ein 90-minütiges Rennen voll zu konzentrieren, ist elementar, um ein Formel-1-Auto schnell über eine Grand-Prix-Piste zu jagen. Wie aber trainieren die Fahrer eigentlich ihre mentale Fitness? RTL-Reporter Jan Krebs war auf Entdeckungsreise.

Zu Gast bei der Formula Medicine

Viareggio, eine gute Autostunde von Florenz am toskanischen Meer gelegen. Wir werden in ein schmuckloses Industriegebiet gefahren. Nichts deutet hier auf die Besonderheit dieser Einrichtung hin. Aber da ist sie, die Formula Medicine. Ärzte, Fitness-Trainer, Physiotherapeuten arbeiten mit, die Gäste sind Sportler aller Couleur. Vor allem Motorsportler kommern hier her, um sich körperlich, aber auch geistig fit zu halten.

Riccardo Ceccharelli, seit 1989 Arzt in der Formel 1, hat diese Formula Medicine einst gegründet. Das Gebäude von außen? Völlig unscheinbar! Und drinnen? Von den Fitness-Geräten und Technik-Apparturen mal abgesehen, wie ein kleines Museum, mit diversen Fotos dieses so sympathischen Dottor Ceccharelli - mal trainierend mit Ayrton Senna, aber auch Arm in Arm mit Sebastian Vettel nach seinem Monza-Sieg 2008.

Dazu Motorsport-Devotionalien, Helme, Overalls von vielen Fahrern wie Robert Kubica oder Marcus Ericsson, die hier trainieren und sich auf den Alltag auf der Rennstrecke vorbereiten.

Pirelli hat Journalisten eingeladen, um sich dem mentalen Training zu widmen, also an zwei Tagen so zu trainieren wie ein Formel-1-Fahrer.

Journalisten messen sich unter fachmännischer Einweisung und Betreuung untereinander. Oder wenn sie Glück haben (wie ich) mit Marcus Ericsson, dem letztjährigen Teamgefährten von Pascal Wehrlein im Sauber-Team. Und ganz ehrlich, wann hat man schon mal Zeit, sich so intensiv einen lieben Tag lang mit einem aktuellen Formel-1-Fahrer zu unterhalten und darüber hinaus gegen ihn anzutreten.

RTL-Reporter fordert Sauber-Pilot Marcus Ericsson heraus

Marcus Ericsson zeigt RTL-Reporter Jan Krebs das Formula Medicine
Marcus Ericsson zeigt RTL-Reporter Jan Krebs das Formula Medicine.
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"Die Formula Medicine ist einzigartig und einfach top, ich würde sagen das weltbeste Trainingszentrum, was die mentale Vorbereitung angeht. Ich versuche oft hierhinzukommen, sofern es die Reisetätigkeit zulässt. Im Schnitt bin ich während der Saison alle 2 Monate hier, bleibe dann 2-5 Tage am Stück hier. Hier gibt es immer neue Anreize, Konzentration, Fokussierung und gleichzeitige geistige Entspannung, um zu trainieren. Außerdem kenne ich Dr. Ceccharelli schon 15 Jahre", sagt der 27-jährige Schwede vom Alfa-Romeo-Sauber-Team.

Und ich habe das Vergnügen, direkt bei den verschiedenen Testetappen neben Eriksson zu sitzen, und fordere ihn sofort mal raus: "Marcus, ich bin bereit, dich zu schlagen! Let´s go!"

Große Journalisten-Klappe und nicht viel dahinter, wie ich merken werde…

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1. Etappe: Nix für Nicht-Gamer

Wir kommen zur ersten Mental-Training-Etappe: Alles hat für mich etwas von Videospiel, aber ein Gamer bin ich ganz sicher nicht. Computerspiele kenne ich nicht, also rein ins Neuland: ein Joystick in die rechte, ein zweiter in die linke Hand. Hier geht’s auf Zeit. Schriftzüge und Farben sind zu erkennen, eine Art falsch-richtig-Spiel.

Wir müssen, wenn etwa der Schriftzug "ROT" aufleuchtet und in roter Farbe erscheint, rasch auf die Taste "wahr" drücken. Erscheint der Schriftzug "ROT" aber in grüner Farbe, gilt es, schnell die Taste "falsch" zu tippen. Es gibt sieben verschiedene Farben auf, die Tasten "wahr/falsch" wechseln mal auf die rechte oder linke Hand. Fehler sind bitte zu vermeiden, alles geht auf Tempo. Und um alles zu verkomplizieren, müssen in einem Zeitraum von fünf Minuten auch wenigstens zwei verschiedene Reifenmischungen (drei stehen zur Auswahl) gewählt werden. Weiche Reifen: schnelle Rate-Fahrt, aber auch schnellerer Reifen-Abbau, härtere Mischung, längere Konzentrationsphase, aber man kann weniger schnell Punkte erzielen. Macht man einen Fehler – verbremst sich etwa –, baut der Reifen schneller ab und der Boxenstopp kommt früher.

Ganz schön kompliziert zu beschreiben? Aber darum soll es gehen – krasses Multitasking für Kopf und Finger, Konzentration, Reaktionszeit plus zusätzliche Strategiewahl.

Ich bin gegen andere (junge) Journalisten, die anders als ich mit Computerspielen groß geworden sind, und vor allem gegen Marcus Ericsson chancenlos, der Pilot cool, fast regungslos, lässig überschlägt er noch die Beine, Psychospiele mir gegenüber!? Und ich? Angespannt, muss mich mega-konzentrieren, mache Fehler und ärgere mich – Ericsson mit der dreimal höheren Punktzahl als ich – und das in nur fünf Minuten Test-Zeit.

Ericsson, ganz nebenbei früher Michael Schumacher-Fan und heute Anhänger von Kimi Raikkönen: "Das ist ein guter Test für die Arbeit nachher im Cockpit. Im Auto, am Lenkrad musst du so viele Entscheidungen treffen, auf Unvorhergesehenes reagieren, dass dies hier dein Gehirn sehr gut trainiert. Recht neu ist, dass du dann zusätzlich noch die Reifenwahl treffen musst und den Reifenabbau beobachten musst. Weichere Mischung heißt: du kannst mehr Punkte machen, aber er baut auch schneller ab und du musst den Reifenwechsel selbst in diesem 'Videospiel' miteinbeziehen."

Ich frage ihn: "Ich habe mich nach einem Fehler geärgert und oft war ich aus der Konzentrationsphase. Ärgerst du dich unter dem Helm nie?" Antwort: "Schon, aber das ist auch die Crux. Du musst lernen, einen Fehler hinzunehmen und dich nicht ärgern, das ist im Motorsport so wichtig. Du lernst hier, die emotionalen Ausschläge zu kontrollieren."

2. Etappe: Fokussieren oder lahmen

F1-Test
Diesen verhältnismäßig einfachen Kurs galt es zu bezwingen.
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Station 2: Wir bekommen eine Art Headset aufgesetzt, die Hirnströme und dort vor allem die Fokussierungskraft misst. Ich habe Zweifel, ob das wirklich so einfach möglich ist.

Wir fahren ein Rennen gegeneinander und beschleunigen nur, wenn wir nicht abgelenkt, nur fokussiert auf unser Auto sind. Das ist doch Humbug, denke ich mir. Aber ich werde eines Besseren belehrt.

Im Raum, in dem wir sitzen, wird überall geredet (typisch Journalisten), ich sage mir: blende den Krach aus und guck‘ nur auf Dein Auto! 25 Runden sind zu fahren mit wenigstens zwei unterschiedlichen Reifenmischungen. Der Start und ich gehe sogar in Führung, fahre teilweise bessere Runden-Zeiten als Ericsson. Ich möchte gucken, ob ich tatsächlich langsamer werde, wenn ich an was anderes denke, lass meine Gedanken an meinen 1.FC Köln (den besten Club der Welt) schweifen: Schafft er doch noch den Klassenerhalt? Und siehe da: Ich werde wirklich langsamer. Dennoch kann ich ein Rennen an dieser Station sogar gewinnen, ich bin ganz stolz.

Dr. Ceccharelli erklärt: "Wichtig bei diesem Test ist, die Fokussierung hochzuhalten, aber die Konzentrationsstufe nicht höher als 80 Prozent im Mittel zu halten (auch das wird mit einem Balken auf dem Monitor angezeigt). Denn wenn man zu viel will, verkrampfen das Hirn und auch die Muskeln. Es ist wichtig, eine gute Balance zwischen Angespanntheit und Entspannung zu finden. Wer zu rational ist, wer zu viel will, ist nicht in der Lage das Optimum auszuschöpfen. Hier wie auf der Strecke im Cockpit. Man braucht Adrenalin, darf aber nicht zu viel Konzentration vergeuden: Ein freier Geist und entspannte Muskeln, das ist das Ziel."

3. Etappe: Kunterbuntes Leuchtspiel

Marcus Ericsson; Jan Krebs
Wer reagiert schneller auf die Leucht-Dioden. Es wird eine deutliche Angelegenheit...
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Weiter geht’s: Kennen Sie noch das Leucht-Spiel Sensor, wo man so schnell wie möglich die willkürlich aufleuchtenden Lichter antippen muss? Das Spiel 'in kompliziert' machen wir jetzt im Stehen: Ein Stangengeflecht steht vor uns mit neun Lichtern: Kunterbunt müssen wir auf Zeit die aufleuchtenden Lichter (finden und) mit der Hand ausschlagen.

Das Dioden-Geflecht steht mir gegenüber, aber auch Marcus Ericsson vor mir. Ich gebe mein Bestes, breitbeinig und mit offenen Augen flitzen meine Hände von links nach rechts, von oben nach unten – je nachdem, wo ein Licht gerade aufläuft.

Ich fühle mich gut und schnell, aber bin doch am Ende lahm, verdammt lahm. Innerhalb einer Minute schlägt Ericsson 67 Lichter aus, ich bescheidene 45 – seine Reaktionszeit von 0,72 Sekunden übertrumpft meine von 1,17 Sekunden deutlich. In den Durchgängen 2 und 3 kann ich mich nicht steigern, ganz im Gegenteil: Ich werde langsamer, mache mehr Fehler und ärgere mich auch.

"Ich lerne hier, die mentale Leistung zu optimieren, die Konzentration hoch und konstant zu halten. Du musst alles um dich vergessen und nur auf das vor dir konzentrieren. Ein guter Durchgang ist schön, aber das musst du auf längere Zeit schaffen. Ein paar konstante Runden im Rennen helfen dir auch nicht, du musst das 60 oder auch mehr Runden schaffen und das ist das Entscheidende", bemerkt Ericsson, der 2018 in seine vierte Formel-1-Saison geht.

Ich schwitze, merke die Kraft und Energie, die man für die Übungen der letzten zwei Stunden aufbringen musste. Schon anstrengend, und zwar mehr geistig als körperlich, auch wenn die Muskulatur bei mir ordentlich beansprucht wird.

4. Etappe: Ab in den Simulator!

Marcus Ericcson
Marcus Ericcson testet seine Fahrkünste im Simulator.
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Auf geht’s zur letzten und wohl schönsten Etappe – dem Simulator. Um alles echt wirken zu lassen, wird ein Kopfhörer aufgesetzt. So hört man jeden Schaltvorgang, aber auch jeden Crash in die Mauer, was bei mir, gerade zu Beginn nicht die Ausnahme ist. Monza heißt die Strecke, die wir fahren müssen – Warm-up über zweimal zehn Minuten und dann das Qualifying. Gas geben, Bremsen mit den Füßen, Wippschalter für die Gänge mit den Händen – ungewohnt für mich, aber reizvoll, auch wenn ich zunächst so ziemlich alle Kiesbetten und Reifenstapel des Parco di Monza kennenlerne. Ericsson cool, gleichmäßige Fuß- und Handarbeit, ich dagegen klar angespannt. Die Ascari nehme ich immer ganz gut, auf Startziel komme ich auf über 300 Sachen, aber in die erste Schickane runterzuschalten, wird mir zumeist zum Verhängnis

Ich schwitze, schaffe nachher sogar eine ganze Runde. Meine Bestzeit: 1:40 Minuten. Marcus Ericsson: 1:26 Minuten. Dennoch bin ich irgendwie stolz. Aber schon diese kurze Zeit im Simulator geht mir an die Pumpe.

"Marcus, es sieht alles so locker aus, ist es wirklich so?", frage ich das schwedische Ren(n)tier. Antwort: "Jetzt haben wir nur gut 25 Minuten darin gesessen, das ist nicht allzu viel. Aber auch für mich sind die vielen Übungen Arbeit, nicht nur Spaß. Ich kann nur sagen, all das mag hier sehr theoretisch wirken, aber es ist wirklich eine große Hilfe für die Praxis, also für das Cockpit. Ich hoffe, dir hat es gefallen."

Eine tolle Erfahrung

Ja, hat es mir, es war eine tolle Entdeckung, hier in Viareggio in der Toskana in diesem von außen so unscheinbaren Gebäude. Ein bisschen fühlte mich wie ein richtiger Gamer oder besser: wie ein richtiger Pilot – wenngleich mit ganz viel Luft nach oben.

Und eine Frage bleibt an Signor Ceccharelli noch, weil hier auch Fotos von ihm mit dem jungen Sebastian Vettel zu bewundern sind. Ist Seb auch schon mal hier bei Ihnen, Dottore? "Nein, aber 2008 haben wir mit ihm bei Toro Rosso zusammengearbeitet. Man sah sofort, dass er außergewöhnliche Qualitäten hat. Bei seinem Sieg 2008 in Monza: der Regen, ein eigentlich nicht konkurrenzfähiges Auto, merkte man diesem jungen Kerl an, er hat eine solche Selbstsicherheit und Ruhe, dass er mal ein Top-Fahrer werden muss."

Grazie mille, Dottor Ceccharelli! Danke, Pirelli für diese aufregende Erlebnistour. Und danke, lieber Marcus Ericsson, für diese angenehme Demütigung. Wir Journalisten verstehen jetzt vielleicht etwas mehr, was so ein Rennfahrer zu leisten imstande ist. Und diesem sympathischen Schweden wünsche ich einfach viel Erfolg.