Prosit Neujahr und eine AbbitteMercedes braucht Lewis Hamilton doch!

Mercedes driver Lewis Hamilton, of Britain, celebrates his first place victory in the Brazilian Formula One Grand Prix in Sao Paulo, Brazil, Sunday, Nov. 14, 2021. (Lars Baron, Pool Photo via AP)
7 WM-Titel, 103 GP-Siege, 103 Pole Positions - Lewis Hamilton ist der Mann der Formel-1-Rekorde
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Von Martin Armbruster
„I hope I can find my words so I can eat ‘em” (hoffentlich finde ich meine Worte, dass ich sie aufessen kann), sagte Box-Legende „Big“ George Foreman in seiner Rolle als TV-Experte einmal, als er mit seiner Vorhersage für einen Kampf so richtig daneben haute. Vor knapp einem Jahr schrieb der Autor dieser Zeilen, dass Mercedes 2021 locker Formel-1-Weltmeister werden würde und Lewis Hamilton eh nicht brauche. Zeit, diese Worte aufzumampfen.

Mercedes-Dominanz auf einmal futsch

Der Neujahrstag ist gemeinhin ein guter Tag, um zu schauen, was man letztes Jahr so verzapft hat und nicht stehen lassen möchte. In meinem Fall böte sich da direkt ein Artikel aus dem Januar ‘21 an. Also einmal zurückspulen: Vor uns lag – daran konnte nach 2020 eigentlich kaum ein Zweifel bestehen – ein weiteres Formel-1-Jahr bleierner Mercedes-Dominanz. Der Serienmeister aus Brackley befand sich zu jener Zeit in zähen, kaugummiartigen Verhandlungen mit Serienmeister Lewis Hamilton für die Zeit nach 2021. Das Hick-Hack samt täglicher Wasserstands-Bulletins nervte irgendwie – genauso wie die monotone Art und Weise, mit der die Silberpfeile seit Jahren alle platt machten.

„Mercedes braucht Lewis Hamilton nicht“, titelte ich also. Das Argument: Im schwarzen Monster-Pfeil werde sowieso jeder Weltmeister. Mercedes solle im Vertragspoker seinem Superstar Hamilton deshalb bloß nicht entgegenkommen. Und überhaupt: Der Rekordchampion solle Alain-Prost-mäßig lieber mal ein Jahr Pause machen, stattdessen 2021 George Russell Mercedes-Cockpit und WM-Krone überlassen, um dann 2022 ein Comeback zu starten.

Zugegeben: Charmant finde ich die Idee auch in der Rückschau noch. In der Realwelt aber kam bekanntlich alles anders. Nicht nur verlängerte Hamilton im Sommer seinen Vertrag (bis 2023). Die Mercedes-Dominanz war nach all den Jahren – kaum zu glauben, aber wahr – tatsächlich futsch. Am technischen Reglement hatte sich zwar nur wenig geändert, das aber, eine Unterboden-Reform, machte den Silbernen stärker zu schaffen als erwartet, zerschoss ihr überlegenes (Aero-)Gesamtpaket.

 Formula 1 2021: Saudi Arabia GP JEDDAH STREET CIRCUIT, SAUDI ARABIA - DECEMBER 05: Max Verstappen, Red Bull Racing RB16B, and Sir Lewis Hamilton, Mercedes W12, make contact as they battle for the lead during the Saudi Arabia GP at Jeddah Street Circuit on Sunday December 05, 2021 in Jeddah, Saudi Arabia. Photo by Andy Hone / LAT Images Images PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY GP2121_201717_ONY9575
Hamilton und Max Verstappen lieferten sich 2021 ein WM-Duell für die Ewigkeit
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Legendäre Formel-1-Saison - dank Hamilton und Verstappen

Wovon die Formel-1-Fans jahrelang geträumt hatten, war plötzlich Realität: Red Bull und Max Verstappen röhrten mit voller Power, machten dem Platzhirsch die Hölle heiß. Die Formel-1-Saison 2021 wurde keine Hamilton-Spazierfahrt zu Rekord-Titel Nummer 8. Sie wurde ein Titanenkampf: Hamilton vs. Verstappen, Rad-an-Rad, auf Biegen und Brechen, am Limit und darüber hinaus. Die Formel-1-Saison 2021 wurde legendär. Das unwirkliche Finale in der Wüste erscheint angesichts des ständigen Asphalt-Wahnsinns als logische Kulmination.

Was dieses irre Jahr freilich offenbarte: Mercedes brauchte und braucht Lewis Hamilton eben doch! Gewiss: Unter dem unbarmherzigen Verstappen-Druck machte auch Sir Lewis seine Fehler, mehr als sonst, unterm Strich zu viele. Aber: Der Rekordchampion hielt Mercedes halt auch im WM-Spiel, als die „Bullen“ davon zu galoppieren schienen. Hamilton ließ den Rückstand in den kritischen Phasen nie zu groß werden, schlug stets zurück, wenn es sein musste. Und hielt gegen den beinharten Verstappen auch mal „rein“, wenn er es für nötig erachtete.

Als der anfangs störrische W12 gegen Saisonende wieder silber-gerecht schnurrte, lief Hamilton zu absoluter Hochform auf. So wie in Brasilien, als er im Sprintrennen von ganz hinten auf Platz 5 raste, im Haupt-Grand-Prix (wieder rückversetzt) von Startplatz 10 erneut durchs Feld pflügte, auch Verstappen aufschnupfte und im Stile eines Ayrton Senna triumphierte. In der Schlussphase der WM hatte der Brite die härteren Nerven als sein holländischer Rivale, mit dem (etwa in Saudi-Arabien) die Gäule bisweilen durchgingen. Dass Hamilton die achte Krone in Abu Dhabi verpasste, war simples Rennpech, wie er dem (verdienten) Weltmeister Verstappen im Parc Fermé dennoch gratulierte, ganz großer Sport.

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Hamilton wird die Referenz für Russell sein

Ohne die Künste des siebenmaligen Weltmeisters wäre Mercedes 2021 gegen die Kombo Verstappen/Red Bull auf verlorenem Posten gestanden. Wäre ein George Russell (wie im Szenario des Autors) im Schwarzpfeil unter den 21er Umständen, also gegen einen Verstappen in dieser Form, wirklich sofort WM-fähig gewesen? Fraglich, wohl eher nicht. Valtteri Bottas jedenfalls war es erwiesenermaßen nicht. Der zu Alfa Romeo weggelobte Finne fuhr Hamilton im gleichen Auto mal wieder Lichtjahre hinterher.

Auch 2022 gilt daher: Mercedes braucht Lewis Hamilton. Als Speerspitze, um den neuen König Verstappen gleich wieder zu entmachten. Als Messlatte und unbestechliche Referenz für den hochgehandelten Russell. Als akribischen Arbeiter und Antreiber (denn auch diesbezüglich war Hamilton 2021 für Team Silber goldwert).

Überhaupt braucht die Formel 1 die Galionsfigur Hamilton, den Rekordchampion und Rekord-GP-Sieger, den Sportsmann, den Weltstar. Am besten noch ein paar Jährchen. Denn irgendwann zieht Sir Lewis Hamilton, Ritter des Vereinigten Königreichs, den Rennoverall für immer aus – und es wird sein wie es mit Lauda, Prost, Schumi, Kimi und Co. war: man wird ihn vermissen.

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Schlussbemerkung des Autors: Sollte Lewis Hamilton 2022 wider Erwarten völlig einbrechen und für Mercedes doch verzichtbar sein, berufe ich mich präventiv auf Konrad Adenauer und sage: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.“