Endlich jubeln mal die "Kleinen"
Karneval in Interlagos - der magische Formel-1-Tag des Kevin Magnussen

Wer sich bei diesen Bildern nicht freut, hat die Formel 1 nie geliebt, hat nie gesehen, wie auch die Teams malochen, die nicht im Rampenlicht der Sieger stehen. Kevin Magnussen rast im Qualifying für das Sprintrennen in Brasilien sensationell auf Pole Position und flippt mit seinen Haas-Jungs vor Freude aus. Ein magischer Moment für den kleinen US-Rennstall. Ein magischer Moment für Magnussen – der eigentlich schon raus war aus dem F1-Zirkus.
Magnussen lässt sie alle stehen
Das Autodromo Jose Carlos Pace in Interlagos, Sao Paulo. Ein Ort für besondere Rennsport-Momente. 2010 war so einer, als Nico Hülkenberg auf schmieriger Piste im unterlegenen Williams völlig überraschend auf Pole Position raste. 2022 ist wieder so einer: Diesmal ist es Haas-Underdog Magnussen, der im Schlussdurchgang der Zeitenjagd die hochdekorierte Konkurrenz um Dominator Max Verstappen und Rekordchampion Lewis Hamilton stehen lässt.
Dass Magnussen und jener Hülkenberg wahrscheinlich nächste Saison bei Haas das Fahrerduo bilden werden (was ist dann erst 2023 in Brasilien für die Steiner-Truppe drin?!) ist eine nette Randnotiz an diesem Tag, an dem die F1-Welt endlich einmal kopf steht. An dem endlich einmal wieder etwas völlig unerwartetes geschieht. An dem endlich mal kein Red Bull-, kein Mercedes-, kein Ferrari-Pilot jubelt. Sondern die „Kleinen“.
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Freud und Leid nur eine Garage entfernt
"Was soll ich sagen? Das Team hat mich exakt im richtigen Moment auf die Strecke gebracht", rekapitulierte ein vor Freude baffer Magnussen: „Ich war der Erste draußen, bin eine vernünftige Runde gefahren, und jetzt stehe ich auf der Pole – unglaublich!" Aber wahr.
Ebenso wahr wie der bittere letzte Platz seines Haas-Kollegen Mick Schumacher. Der 23-Jährige, dessen Zeit als Stammfahrer in der Könisgklasse wohl abläuft, hätte einen Magnussen-Moment gebraucht. Doch statt die wechselnden Bedingungen zu nutzen, stürzte Schumacher schon in Runde 1 der Qualifikation ans Ende des Feldes. Freud und Leid – in der Formel 1 manchmal nur eine Garage voneinander entfernt.
„Er war in seiner ersten Runde vielleicht zu zögerlich, wir hatten ja gerade erst auf Trockenreifen gewechselt“, analysierte Teamchef Günther Steiner Schumachers Leistung und verteilte eine Südtiroler-Watschn: „Wenn man sieht, was heute ging, sollte man ihm sagen: Du kannst mehr schaffen.“
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Magnussen war schon weg vom Fenster
Für Magnussen dagegen dürfte dieser 11.11., dieser F1-Karnveal von Sao Paulo, eine Genugtuung sein. Ende 2020 hatte ihn das Haas-Team aussortiert, der Däne musste Platz machen, weil a) der Russe Nikita Mazepin dank der Sponsoren-Millionen von Papa Dmitri bei Haas einstieg und b) der von Ferrari protegierte Formel-2-Meister Schumacher in die F1 drängte.
Magnussen ging im Guten, ohne böses Blut. Seine Formel-1-Karriere aber, die 2014 gleich mal mit einem Podestplatz für McLaren in Melbourne begonnen hatte, schien unwiderruflich vorbei, der Königsklassen-Traum ausgeträumt. Bis Haas Anfang des Jahres als Reaktion auf den russischen Krieg gegen die Ukraine die Mazepins vom Hof jagte. Als der US-Rennstall plötzlich dringend einen Fahrer brauchte, wusste Steiner, wen er anrufen konnte – schwupps war Magnussen wieder da!
Und der Routinier spielte vor allem zu Saisonbeginn seine Erfahrung aus. Als die neuen Ground-Effect-Boliden über die Kurse dieser Erde hoppelten, fand Magnussen im Haas VF-22 die nötige Balance, „Danish Dynamite“ zündete. In den ersten vier Rennen fuhr „KMag“ dreimal in die Punkte und seinem jungen Stallrivalen Schumacher regelmäßig davon. Erst gegen Mitte der Saison wurde der Deutsche stärker, ist seither vor allem im Renntrimm ebenbürtig mit Magnussen.
Als es jetzt in Sao Paulo darauf ankam, als die Motorsport-Götter gönnerhaft eine (womöglich) einmalige Chance auswarfen. Da biss freilich Magnussen eiskalt zu – und nicht Schumacher.
Gewiss, an diesem verrückten F1-Freitag lief in der entscheidenden Phase des Qualifyings alles für Magnussen. Verstappens Verbremser in Turn 8, George Russells Abflug in Kurve 4, die Rote Flagge, der einsetzende Regen. Die Zeit des Dänen war auf einmal wie in Stein gemeißelt.
Bloßes Glück ist die erste Pole Position für Magnussen und Haas aber nicht. Das betonte auch Steiner. „Das Team arbeitet hart, seit sieben Jahren. Es war nicht nur Glück, sondern gute Arbeit vom Team: Der richtige Reifen, der richtige Zeitpunkt und Kevin hat die Runde abgeliefert“, lobte der kauzige 57-Jährige.
Ein Geschenk des Himmels
Ja, das Haas-Team arbeitet hart. Alle arbeiten sie hart in der Formel 1. Nicht nur die Gewinner. Auch die, die oft hoffnungslos hinterher fahren. Ohne Chance auf den Sieg. Dass jene in Brasilien jubeln durften – im wahrsten Sinne ein Geschenk des Himmels.
Nein, Kevin Magnussen wird das Sprintrennen in Sao Paulo am Samstag trotz Pole Position aller Voraussicht nach nicht gewinnen. DER Gewinner dieses Wochenendes ist er trotzdem schon - auch dann, wenn Verstappen am Sonntag (ab 17:45 Uhr LIVE bei RTL) mit seinen „Bullen“ routiniert Saisonsieg Nummer 15 bejubelt, während die Haas-Jungs zusammenpacken.