Pro und Contra
Ist der Rücktritt von Sebastian Vettel richtig oder falsch?
Sebastian Vettel hat nach über anderthalb Jahrzehnten genug von der Formel 1. Der viermalige Weltmeister wird seine Karriere nach dieser Saison beenden. „Die Entscheidung zum Rücktritt ist mir schwer gefallen, und ich habe viel Zeit damit verbracht, darüber nachzudenken“, sagte Vettel via Instagram. Wir diskutieren: Ist der Rücktritt richtig oder falsch?
Umfrage: Stimmen Sie ab!
Pro: Vettels Rücktritt ist absolut richtig
Von Emmanuel Schneider
Jetzt ist sie also geplatzt, die F1-Bombe. Sebastian Vettel hört am Saisonende auf. Nach 15 Jahren, nach dann wohl 300 Rennen. Es ist die richtige Entscheidung.
Vettel hat alles gewonnen. Nicht nur einen WM-Titel, sondern gleich vier. Er hat alle Höhen und Tiefen erlebt, die man auf der Strecke wohl erleben kann. Alles gesehen. Sehr viel gewonnen. Rückschläge weggesteckt. In den sportlichen Erfolgen reichen ihm nur ganz wenige das Wasser. Er liegt in der ewigen F1-Bestenliste auf Rang drei, hinter Kindheitsidol Michael Schumacher und Rekordchamp Lewis Hamilton. Und zu den beiden Ikonen aufzuschließen, hätten wohl auch fünf weitere Jahre nicht gereicht.
Denn man muss es so sagen: Die vergangenen Jahre bei Aston Martin waren keine besonders gute oder erfolgreiche Zeit. Mit großen Ambitionen gestartet, verpufften die Hoffnungen des britischen Rennstalls schnell auf dem harten Asphalt der Realität. Statt vorne mitzukämpfen, regelmäßig auf dem Podium zu stehen und vielleicht dritte, vierte Kraft zu werden, hieß die bittere Realität: Mittelfeld. Niemandsland. Der AMR21 und der AMR22 waren eines Weltmeisters mit dem Können und Talent von Vettel eigentlich nicht würdig. Immer öfter gurkte Vettel dem Feld hinterher. Der 35-Jährige wirkte teils lustlos, auch wenn Fahrer und Teamverantwortliche das stets bestritten. Und sind wir ehrlich: Wie groß ist die Hoffnung, dass der AMR23 im kommenden Jahr wirklich zündet? Teamchef Mike Krack selbst wusste selbst, dass er seinem Routinier mehr bieten muss. Wenn die Performance des Wagens stimme, dann habe man auch Argumente, um Vettel zu halten, sagte er. Sogar langfristig wollte das Team den Vierfach-Champion halten. Allein: Die Updates brachten nicht wesentliche Verbesserungen. Die Argumente wurden immer weniger und schwächer.
Was wäre die Alternative? Alle zwei Wochen ohne Chance hinterherfahren ohne die wirkliche Perspektive auf Besserung? Anderthalb Jahre hat sich Vettel die Entwicklung schon angeschaut. Wer will es ihm da verübeln, dass er nun den Schlussstrich zieht. Zumal seine Begründung ohnehin alle andere überwiegt und wasserdicht ist. Vettel hat drei junge Kinder, liebt die Zeit mit der Familie. Die blieb oft auf der Strecke. Anderthalb Jahrzehnte hat er sich der F1 verschrieben, viel Zeit geopfert. Nun hat die Familie Vorrang. Richtig so.
Klar, kann man sagen: Um seine Projekte und gesellschaftspolitischen Anliegen zu pushen, gibt es wohl keinen besseren Ort als die F1. So kann er in Ungarn, in Miami, in Katar oder Saudi-Arabien Zeichen setzen. Aber: Um seinen Statement-Helm gab es zuletzt wohl teamintern Diskussionen, die Aktionen muss er auch mit dem Rennstall abstimmen. Jetzt ist er bald sein eigener Chef. Und er hat ja eine eigene Plattform: Den Instagram-Kanal, auf dem er seinen Rücktritt verkündete, gibt es seit Donnerstagnacht. 780.000 folgen dem Account (Stand Donnerstag, 12.45 Uhr). Tendenz steigend. Vettel wird seine Botschaften weiterhin in die Welt bekommen. Das ist sicher. Formel-1-Ikonen hört man zu. Für immer.
Lese-Tipp: Rücktritt! Vettel beendet seine Karriere - für seine Kinder
Video: Christian Danner verabschiedet sich von Vettel
Contra: Vettels Rücktritt ist zwar nicht falsch, aber extrem bitter
Von Tobias Nordmann
Die Familie ist das höchste Gut. Was will man nun also richten, wenn sich jemand für Frau und Kinder entscheidet. Noch dazu, wenn es jemand wie Sebastian Vettel ist, der sein Leben dem Formel-1-Sport geopfert hat und dessen große Zeiten in der Königsklasse längst vorbei scheinen. Und dennoch ist die Nachricht von seinem Rücktritt zum Saisonende keine gute. Denn Vettel ist einer der wichtigsten und mutigsten Protagonisten auf der großen Bühne.
Lese-Tipp: Vettel tritt zurück: Das sagen unsere RTL-Experten
Vettel hat seine Popularität genutzt, um der Welt die Augen zu öffnen. Er hat sich mit Diktatoren und moralisch Fehlgeleiteten angelegt. Er hat sich immer wieder laut und auch provokant gegen grassierenden Rassismus und Homophobie gestellt. Gemeinsam mit seinem alten Rivalen Lewis Hamilton, dessen Karriere auch auf die letzten Rennkilometer zusteuert. Er hat sich nicht davor gescheut, Klimasünden anzuprangern. Wie zuletzt in Kanada, als er auf den dreckigen Abbau von Ölsand aufmerksam machte. Seine Protestaktionen sind längst bemerkenswerter als seine Leistungen auf der Strecke. Was keine Kritik an seinen fahrerischen Fähigkeiten ist.
Vettel konnte seine internationale Popularität nutzen, ohne Gefahr zu laufen, dafür drakonische Strafen zu erhalten. Anders als Aktivisten in Ländern wie der Türkei, in Aserbaidschan oder Katar. Und wer ihm etwa eine Doppelmoral unterstellte, weil er für das Klima kämpfte und trotzdem als Pilot weltweit sündigte, der irrt. In Vettel wucherte der Zwiespalt zwischen seinem Job und der Rettung der Welt. Auch wegen seinen Kindern. So geht es vielen Menschen. Vettel hat seine Beliebtheit, Strahlkraft und Macht genutzt, um zu kämpfen. Das ist großartig. Dass er die Formel 1 nun verlässt ist vermutlich keine falsche Entscheidung, aber eine extrem bittere.