Auch die Ungerechtigkeit im Bildungssystems trieb ihn anFehldiagnose Krebs: Deshalb wollte Lauterbauch Mediziner werden

Welche Wege gehen unsere Spitzenpolitiker, bevor sie in die Politik gehen? Was treibt sie an, was prägte sie? Oft wissen wir nur wenig über die innere Motivation der Menschen, die die Geschicke dieses Landes lenken. Der amtierende Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist jetzt oft in der Kritik - zu ängstlich sei er, zu vorsichtig, ja panisch. Jetzt gibt er einen ganz persönlichen Einblick in seinen Werdegang und in das, was ihn als Mensch und Politiker motiviert.
Mehr Wissenschaft wagen
Wie geht es mit der Menschheit weiter? Zu den großen Krisen unserer Zeit gehört die Klimakrise und die derzeitige Gesundheitskrise durch das Coronavirus Sars-Cov-2. Wissenschaftler warnen: Beide Krisen werden sich verschärfen - im Falle der Gesundheitskrise allerdings auch durch mögliche neuen Viren, die durch unsere Art der Tierhaltung und unseren Lebensstil bedingt werden.
In seinem neuen Buch mit dem Titel "Bevor es zu spät ist" schildert der jetzige Gesundheitsminister Karl Lauterbach, wie wir diesen Bedrohungen begegnen sollten: indem wir mehr Wissenschaft in der Politik wagen und damit auch mehr Wissenschaftler den Weg in die Politik. Er erzählt aber auch ganz persönlich, aus welchen sehr prägenden Gründen er Forscher, Mediziner und Politiker werden wollte.
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Gymnasium für andere Einkommensschichten vorgesehen
Lauterbach beschreibt seinen Weg ähnlich, verrät in dem Buch seinen Werdegang und was ihn so enorm geprägt hat. Denn "eine Laufbahn als Wissenschaftler und als Forscher war mir nicht in die Wiege gelegt", schreibt er dort. Im Gegenteil: In seinem Wohnort Oberzier dominieren in seiner Kindheit und Jugend die Ingenieursfamilien.
Denn der Ort liegt in der Nähe der Kernforschungsanlage Jülich. Lauterbachs Vater arbeitet in einer lokalen Molkerei. Das Gymnasium war quasi für die Kinder der Ingenieure reserviert. Ihm selbst wurde vom Besuch des Gymnasiums abgeraten - mit der fadenscheinigen Begründung, er leide zu oft an Bronchitis.
„Die erste Hürde ist für Kinder oft die schwerste“
Doch auf der Hauptschule „langweilte ich mich so sehr“, schreibt der jetzige Gesundheitsminister, „dass sich sofort Lehrer für mich einsetzten“. Also kam er erst auf eine Realschule, dann aufs Gymnasium. Weiter schreibt Lauterbach: „Verglichen mit dieser Hürde nach der Grundschule waren spätere beim Abitur, bei der Zulassung für das Medizinstudium, der Promotion und der Professur wirklich harmlos. Es klingt verrückt. Aber die erste Hürde ist für Kinder oft die schwerste, weil sie diese am wenigsten selbst beeinflussen können. Schon als Kind hatte ich daher die Ungerechtigkeit des Bildungssystems begriffen.“
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Arzt hält Zyste im Knie für Krebs
Sein Weg in die Medizin war schließlich durch sehr persönliche Erlebnisse motiviert: Eine Zyste in seinem Knie hielt ein Arzt für Krebs und teilte mit, sein Bein müsse dann eventuell amputiert werden. Ein unvorstellbares Drama für den jungen Karl! Einige Wochen durchlebte er mit seiner Familie die Horror-Vorstellung, sein Bein zu verlieren. „Meine Mutter konnte sogar vierzehn Tage lang gar nichts essen“, schreibt der Gesundheitsminister. Bei der Operation zeigte sich dann zum Glück, dass die „Knochenzyste gutartig war und ich mein Bein behalten konnte“.
Ausbildung der Ärzte muss verbessert werden
Doch damit nicht genug: Der Eingriff wurde „miserabel durchgeführt“, wie Lauterbach in dem Buch berichtet. Die Folge: Die Möglichkeit auftretender Komplikationen, wegen der jahrelang regelmäßig kontrolliert werden musste. „Kommt die Zyste zurück oder nicht? Wird sie dann bösartig sein oder nicht?“, waren die Fragen, die im Raum standen. Was Familie Lauterbach, aber auch die Ärzte zu diesem Zeitpunkt anscheinend nicht wussten: Selbst wenn sie zurückgekommen wäre, was sehr unwahrscheinlich war, wäre sie nicht bösartig gewesen.
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„So lebte ich also jahrelang unter dem Damoklesschwert einer möglicherweise wiederkehrenden Bedrohung meines Beines, ohne dass es diese Bedrohungslage überhaupt gab“, schreibt Lauterbach. Die Ausbildung der Ärzte kann nicht gut sein und muss dringend verbessert werden, prägte sich dem jungen Karl Lauterbach ein. Sein Interesse an der Medizin war geweckt.
„Ich wollte etwas verändern“
Er fasste einen Plan: „Ich wollte etwas verändern. Und ich wollte nicht nur Arzt, sondern Wissenschaftler in der Medizin werden.“ Lauterbach studierte später in Aachen Medizin, schrieb eine Promotion im Bereich der Nuklearmedizin – und landete dafür wiederum in der Kernforschungsanlage Jülich. Als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung war er im Rahmen dieser Doktorarbeit auch in Tucson, Arizona, später in San Antonio, Texas. An der Harvard School of Public Health in Boston beschäftigte er sich mit Epidemiologie, dann mit Gesundheitspolitik und -management. „So war aber eine prägende, existenzielle Erfahrung mit dreizehn Jahren Grundlage der Entscheidung für meinen weiteren Lebensweg“, schreibt der jetzige Gesundheitsminister. (ija)