Suspendiert nach Bockig-Abgang

Cristiano Ronaldo verbittert: Der krachende Absturz einer Fußball-Legende

von Tobias Nordmann

Die aufsehenerregende Premier-League-Szene vom späten Mittwochabend vermittelt ein verdammt gutes Bild der aktuellen Gemengelage um Cristiano Ronaldo. Noch vor dem Abpfiff war der Portugiese in die gigantischen Katakomben des legendären Old Trafford verschwunden. Auf einen Minijobber-Einsatz als taktisches Mittel hatte der stolze Offensivstar offensichtlich keine Lust. Und um das Verzwergen seiner Legende zu umgehen, flüchtete er in der 88. Minute des Duells zwischen seinem Arbeitgeber Manchester United und Tottenham Hotspur (2:0) lieber. Ronaldo verpasst den Abpfiff. Und als Strafe den Gigantengipfel seiner Red Devils gegen den FC Chelsa am Samstagabend. Was man da nicht alles reininterpretieren kann.

Ronaldo schien die biologischen Gesetze außer Kraft zu setzen

Cristiano Ronaldo, das ist ein Mann, der einst den Fußball verändert hat. Mit seiner Dynamik, mit seinen Dribblings, mit seiner Schusstechnik. Was hatte er dem Sport nicht alles für legendäre Momente geschenkt. Unvergessen seine emotionale Co-Trainer-Rolle im EM-Finale 2016, als er, früh verletzt, seine Mannschaft mit Bandage am Knie von der Seitenlinie aus anleitete und dabei auch kurz seinen Chef Fernando Santos zur Seite checkte. Sogar die Wissenschaft hat sich mit CR7 beschäftigt. Sein Fallrückzieher gegen Juventus Turin Anfang April 2018 wurde mehrfach vermessen, weil Ronaldo so faszinierend hoch in der Luft stand.

Der Portugiese schien die Gesetze des körperlichen Verfalls außer Kraft zu setzen. So viel Kraft hatte er. Diesem Fußballer, der stets knallhart zu sich selbst war und alles dafür tat, immer in bester Verfassung zu sein, schien nichts und niemand etwas anhaben zu können. Nicht mal die körpereigene Biologie. Ronaldo - ein Galaktischer, vielleicht gar ein Außerirdischer? Während sich sein ewiger Rivale Lionel Messi langsam aber fortwährend vom Olymp der Giganten schlich, dabei aber im vergangenen Jahr Copa-Champion mit Argentinien und noch einmal Weltfußballer wurde sowie in Katar mit seinem Team als Titelkandidat gilt, stand der Portugiese als einsamer Individualist dort so stabil wie seine Statue am Hafen von Funchal.

Wohin wechselt Cristiano Ronaldo?

Doch die Mär des übernatürlichen Ronaldo wurde mittlerweile von den irdischen Routinen gefressen. Ronaldo leidet. Mit einem Donnerschlag ist er vom Olymp auf die Ersatzbank von Manchester United gekracht. Schon in der vergangenen Saison, als Ralf Rangnick die Red Devils noch irgendwie in die Europa League manövriert hatte, sammelten die Fußball-Scientisten immer mehr Indizien, dass die übergroßen Zeiten des Weltfußballers alsbald enden werden. Und er wurde gar von der Bühne der Giganten gezwungen. Keine Champions League für den 37-Jährigen. Unvorstellbar! Auch für ihn selbst. In einem verzweifelten Bewerbungs-Wahnsinn wurde sein Agent offenbar bei den Großklubs Europas vorstellig. Im Verteiler waren sogar der FC Bayern (dort hätte er das Robert-Lewandowski-Erbe antreten können) und Borussia Dortmund (dort hätte er das Erling-Haaland-Erbe antreten können). Doch niemand wollte ihn. Was für eine bittere Geschichte.

Wie diese Geschichte weitergeht? Ein Abgang im Winter scheint sehr wahrscheinlich. Gerüchte gab es zuletzt um Galatasaray. Auch die MLS oder Katar scheinen denkbar. Bis zur Europameisterschaft 2024 will der verzweifelt um Halt ringende taumeldne Gigant noch weitermachen, das hat er vor wenigen Wochen erst betont. Es werden, wenn es so kommt, zwei spannende Jahre. Zwei Jahre, in denen gigantischer Anspruch und weniger gigantische Wirklichkeit des Spielers immer mehr auseinander zu klaffen drohen.

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Der Gigant Ronaldo ist nicht mehr als ein Joker.

Von Formstärke ist der Superstar derweil meilenweit entfernt. Selbst sein nächster unglaublicher Torrekord - gegen den FC Everton erzielte er vor knapp zwei Wochen seinen 700. Treffer auf Klubebene - taugt nicht, um der Legende neuen Kredit bei United einzuräumen. Wenn CR7 spielt, dann meist als Joker und Startelfkraft in eher wenig wichtig eingeschätzten Spielen. So werden bittere Berichte geschrieben, wie der 37-Jährige beim Fußballzwerg Omonia Nikosia mehrere Topchancen auslässt. Oder aber, dass er bei Sheriff Tiraspol seine kleine Wiederaufstehung feiert. Mit seinem ersten Saisontörchen. Mitte September war das. Nikosia, Tiraspol, Ronaldo - eine Aufzählung, die nicht zur Erzählung des Portugiesen im Weltfußball passt.

Und er fühlt sich immer noch für größere Dinge berufen. Er ist mit diesem Gefühl (zumindest in Manchester) allein. Der Gigant ist nicht mehr als ein Joker. Ein taktisches Mittel. Kein Schlüsselspieler mehr. Seine Frust-Flucht vom Mittwochabend ist der sichtbarste Ausdruck dieser Verzweiflung. Der Fußballer, der so sehr Profi war wie man nur Profi sein kann, hat sich dem irdischen Mittel der Disziplinlosigkeit bedient - und wurde für das Chelsea-Duell suspendiert. Er hat seine eigene Legende angekratzt. Für einen Moment hat er sich selbst vergessen - und den Abpfiff verpasst. (tno)