Wie junge Frauen den Generationswechsel in den Parteien einläuten
Bundestagswahl 2021 in Sachsen: Jung, bunt, weiblich - Frauen an die Macht?

In Sachsen haben sich die Kandidaten zur Bundestagswahl stark verjüngt. Sehr viele unter 30-Jährige treten an. Bei einigen Parteien sind es vor allem junge Frauen. Was sagen die „alten (männlichen) Hasen“ dazu? Und kommt es zur Wahl im September zum Generationswechsel in den Parteien?
Mit Cupcakes Politik erklären
Eine junge Frau dekoriert einen Cupcake und sagt dazu: „Backen ist ja schon so ein bisschen wie Politik. Man brauch die richtigen Zutaten, die richtigen Mengen, die richtigen Instrumente und ganz viel Geduld und dann kann am Ende was richtig Schönes, Fluffiges bei rauskommen.“ In die Kamera hält sie den fertig dekorierten Cupcake. Die junge Frau ist Rasha Nasr, 29 Jahre jung, gebürtige Dresdnerin mir syrischen Wurzeln, Direktkandidatin für die SPD im Wahlkreis Dresden I, Listenplatz 4.
Mit dem Wähler per Du
Eine andere junge Frau schnappt sich in einem Video ihre Handtasche und geht los. Aus dem Hintergrund sagt sie: „Leute, nicht euer Ernst, oder? Lasst uns nicht mehr nur zusehen, wie andere Leute unsere Zukunft verspielen. Eine gute Zukunft für alle ist keine Utopie.“ Die junge Frau aus dem Video ist Marie Müser, 23 Jahre jung, gebürtige Leipzigerin, Direktkandidatin für die Leipziger Grünen im Wahlkreis Leipzig I, Listenplatz 7.
Kommt jetzt der Generationswechsel in den Parteien?
Beide Frauen sprühen vor Ideen. Im Gespräch ist ihre Begeisterung für Politik nahezu ansteckend. Sie sind in der Art, wie sie mit bunten Backwaren oder Videos mit direkter „Du“-Ansprache auf den Social-Media Kanälen Wahlkampf machen auffällig, weil erfrischend anders. Sie sind jung, weiblich und bunt. Sind sie vielleicht die neue Generation Politiker, die zur Bundestagswahl 2021 an den Start geht?
Poltikwissenschaftler: Seilschaften verhindern Verjüngung mancher Parteien
Ein Blick auf die Listen der sächsischen Parteien zeigt, nicht überall ist Nachwuchs vorhanden oder gern gesehen. Bei der CDU ist nur ein Kandidat von insgesamt 20 unter 30 Jahre alt – und er ist männlich. Bei der FDP ist es ebenfalls nur ein junger Mann. Desto linker die Parteien werden, umso jünger und auch weiblicher werden die Kandidaten in Sachsen.
Der Politikwissenschaftler Sven Leunig von der Universität Jena sieht mehrere Gründe dafür. Auf der einen Seite kann es sein, dass es zu wenig junge Politik-Interessierte gibt. Aber „gerade bei der CDU, die lange in Sachsen schon regiert, gibt es eben gewisse Seilschaften, da zieht man die Leute nach, die man da gerne hätte, beziehungsweise die älteren Herrschaften bleiben gerne auf ihrem Sitz sitzen. Da sind auch Platzhirsche dabei und da haben die Jüngeren dann auch Schwierigkeiten.“
Sächsischer CDU fehlen junge Bewerberinnen

Lars Rohwer, Abgeordneter der sächsischen CDU und ebenfalls Bundestagskandidat, war 1991 mit 18 Jahren das jüngste Mitglied des sächsischen Landtags. Auch er hat zu spüren bekommen, wie es ist, der Jüngste zu sein. Vor allem, wenn er Politikgrößen wie Alt-Kanzler Helmut Kohl vorgestellt wurde.
Er findet es gut, dass junge Menschen ab 18 wählbar sind, betont aber auch, als Politiker brauche es Lebenserfahrung. Dass es Frauen schwerer haben könnten als Männer, sieht er nicht. Bei der sächsischen CDU fehle es schlichtweg an Frauen, die bereit seien, ein politisches Amt zu übernehmen. Viele Frauen hätten Sorge, den Anforderungen eines Bundestagsmandats nicht gerecht werden zu können, oder scheuten die Öffentlichkeit. Denn im politischen Diskurs würde es oft auch persönlich, so Rohwer: „Und das ist nicht jeder Fraus Sache.“
Zu wenig Lebenserfahrung für den Bundestag?
Das Argument, zu wenig Lebenserfahrung für ein politisches Amt zu haben, kennen auch Nasr und Müser. Zumal sie den eigentlichen politischen Werdegang zerschlagen. Normalerweise beginnt eine politische Karriere in einem Regionalparlament, danach geht’s vielleicht in den Landtag, dann erst, Jahre später, kommt eventuell der Aufstieg nach Berlin.
Die Kandidaten unter 30 in Sachsen sprengen diesen Lebenslauf. Sie sind zwar meist seit Jahren politisch engagiert, aber sie waren oft noch keine Mandatsträger. Folglich könnte ihnen die politische Kompetenz für den Bundestag abgesprochen werden. Den Frauen noch mehr als den Männern, einfach nur, wegen des Geschlechts.
Bundestag soll Querschnitt der Gesellschaft abbilden

Marie Müser erlebt das zwar während ihrer politischen Arbeit selten, dafür aber in ihrem Alltag. Sie erzählt von Beleidigungen, vom reduziert werden auf Äußerlichkeiten und Geschlecht. Was sie aber mehr mitnimmt, ist der Umgang mit der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Für sie ist es „systematisch, dass jüngeren Frauen die Kompetenz abgesprochen wird, ein Land zu regieren und die Verfehlungen von Männern wie Scholz und Laschet keine Rolle mehr spielen.“
Es zeige für sie, dass es Frauen in der Politik schwerer haben, dass es aber auch starke Frauen dort brauche, damit der Deutsche Bundestag auch wirklich den gesellschaftlichen Querschnitt widerspiegele. Da gehören, so Müser, junge Frauen eben genauso dazu, wie ältere Männer, Gutverdiener, Arbeiter und so weiter.
Frauen in der Politik: "Sind Sie die Praktikantin?"
Rasha Nasr leitet das Büro eines Landtagsabgeordneten und wird regelmäßig gefragt, ob sie die Praktikantin sei. Sie hat in diversen Gremien auch häufig das Gefühl besser sein zu müssen, als alle anderen, um eben auch die oft männlichen Zweifler von sich zu überzeugen. Doch sie kämpft auch noch auf einer anderen Ebene.
Ihre syrischen Wurzeln sind ihr anzusehen, das sollte 2021 eigentlich kein Thema sein, ist es aber doch: „Manchmal reden die Menschen mit mir extra laut und langsam, weil sie denken, ich würde sie sonst nicht verstehen. Ich sage dann, dass ich Dresdnerin bin und sie normal sprechen können.“ Sie sagt, es bringe nichts, sich darüber zu empören. „Ich nehme sie mit in meine Gedanken- und Gefühlswelt in der Hoffnung, dass sie bereit sind, das zu verstehen.“
Emotionen könnten Politik zugänglicher machen
Frauen haben es im politischen Berlin schwerer als Männer, bestätigt auch Politikwissenschaftler Sven Leunig. „Da gibt es, vor allem im konservativen Milieu, viele Platzhirsche und auch die Meinung, dass wenn eine Frau zum Beispiel Kinder hat, sie keine Politik machen könne.“
Auch Emotionen werden, wenn sie von Politikerinnen kommen, oft als Schwäche ausgelegt. Ein Fehler, sagt Leunig. „Denn Politiker mit Gefühlen könnten der Politik einen Kick geben, sie für die Wähler zugänglicher machen.“
Homann: "Man kann auch 30 Jahre alles falsch gemacht haben"

Der Generalsekretär der sächsischen SPD sitzt seit 2009 durchgängig im sächsischen Parlament. Er spürt bei den jungen Frauen eine aus seiner Sicht gerechtfertigte „feministische Ungeduld.“ Er beobachtet, dass es „junge Frauen durchaus schwerer haben, als mittelalte oder alte Männer.“
Auch er sieht einen Unterschied in den Fraktionen. In der CDU-Fraktion haben es junge Frauen – aus seiner Sicht – schwerer, als bei der SPD oder bei den Grünen, was auch an der Ausrichtung der Parteien an sich läge. Lebenserfahrung spiele für ihn bei einem politischen Amt nur eine untergeordnete Rolle. Denn „Erfahrung an sich ist kein Wert. Man kann auch 30 Jahre alles falsch gemacht haben“, so Homann.
Warum "Frauen an die Macht!" dem Bundestag helfen könnte
Die Wahl entscheidet sich am 26. September. Erst dann wird sich zeigen, ob Videos, in denen alle geduzt werden oder Politik an Hand von Cupcakes erklärt wird, an der Wahlurne Einfluss haben. Klar ist aber schon jetzt, die jüngere Generation Politiker scharrt mit den Füßen, auch und vor allem junge Frauen.
Und wenn es nur ein Teil der Kandidatinnen in den Bundestag schaffen sollte, wird die Strahlkraft für andere ambitionierte Frauen auf jeden Fall groß sein, denn es braucht auch politische Vorbilder für junge Mädchen, um sich im politischen Betrieb zu engagieren. Und dem Bundestag würde ein mehr Vielfältigkeit sicher gut tun, immerhin ist es das Parlament aller Menschen in Deutschland.