„Wie viele Kinder sollen noch als Waisen zurückbleiben?"
Brüder bringen Afghanin in Berlin um: Frauenrechtlerin verzweifelt über "Ehrenmord"

„Es berührt mich sehr und ich bin verzweifelt“, sagt Rechtsanwältin Seyran Ateş über den Mord an einer 34 Jahre alten Afghanin in Berlin. Die Frau soll von ihren Brüdern getötet und in einem Koffer quer durch Deutschland transportiert worden sein – offenbar weil sie mit der selbstbestimmten Lebensweise ihrer Schwester nicht einverstanden waren. Die Frau lebte geschieden mit ihren beiden Kindern (9,13) in Berlin. Die Frauenrechtlerin Ateş meint, dass jetzt vor allem eins wichtig sei: „Diese Kinder dürfen auf keinen Fall in die Familie, die die Mutter getötet hat.“
Täter sehen Rot: „Ehrenmorde“ oft viel brutaler als andere Verbrechen
„Die denken, das wäre ihr gutes Recht und den Kindern würde es besser gehen, wenn sie in einer moralisch besseren Familie wären“, sagt Ateş im RTL-Interview. Täter würden in solchen Fällen überhaupt nicht darüber nachdenken, wie brutal es ist, ihren Nichten und Neffen die Mutter zu nehmen. Im Gegenteil: „Ehrenmorde“ seien häufig viel brutaler als andere Verbrechen, erklärt die Anwältin.
Die Täter würden als Verwandte des Opfers so emotional an die Tat herangehen, dass sie nur noch Rot sehen würden. All ihren Hass auf das frei, selbstbestimmte Leben der Schwester würde sich dann in die Tat ergießen. Darum ist Ateş auch im Fall der in Berlin getöteten Mutter nicht über die grausamen Details überrascht. Einer der Brüder soll extra aus Bayern angereist sein, um seine Schwester zu töten. Die Tatverdächtigen sollen die Leiche der Frau dann in einen Koffer gesteckt und im Zug von Berlin nach Bayern gebracht haben, um sie dort zu vergraben.
Anwältin fordert: Taten beim Namen nennen und aufklären
Der Anwältin ist es wichtig, bei solchen Taten auch den Begriff „Ehrenmord“ zu verwenden. Nur so könne man das Motiv verstehen und das Problem erfassen. Das seien nicht nur Verbrechen, die aus Hass gegen Frauen passierten. „Wenn wir über Ehrenmorde sprechen, sprechen wir über eine Mischung aus Tradition, Kultur und Religion“, sagt sie. Die Täter seien „niemals wirklich in Deutschland angekommen“, meint Ateş.
Politik müsse Parallel-Gesellschaften in Deutschland erkennen
„Wer solche Taten relativiert oder die kulturelle & religiösen Hintergründe ausblendet, schützt die Täter, aber nicht die Opfer“, schreib auch der Autor und Psychologe Ahmad Mansour bei Twitter, kurz nachdem die Tat öffentlich bekannt wurde. „Ich finde es unerträglich, dass es solche archaischen und frauenverachtenden Wertvorstellungen in unserem Land gibt und diese sich in brutaler Gewalt niederschlagen. Das dürfen wir niemals akzeptieren“, twitterte der CDU-Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak.
Die Politik müsse erkennen, dass es Parallel-Gesellschaften in Deutschland gebe, in denen junge Frauen kein selbstbestimmtes Leben führen könnten, „weil sie Angst vor einem Ehrenmord haben“, sagt Ateş. „Wie viele Kinder sollen noch als Waisen zurückbleiben, weil einige Männer und Frauen ein Ehrgefühl in sich tragen, das nicht mit den Maßstäben hier in unserer offenen Gesellschaft übereinstimmt?“, fragt die Frauenrechtlerin. Sie fordert, dass politisch und gesamtgesellschaftlich etwas passieren müsse. Nur mit mehr Aufklärung könnten solche Taten in Zukunft verhindert werden. (jgr)