18-Jähriger gründet den Verein „EndtheSilence“
Jonathan Drefs wurde mit zwölf Jahren sexuell missbraucht – jetzt erzählt er seine Geschichte

Jonathan Drefs wird mit 12 Jahren Opfer sexueller Gewalt! Missbraucht von einem 27 Jahre alten Mann. Für seine Mutter - ein wahr gewordener Albtraum. Jetzt erzählt der mittlerweile 18-Jährige offen seine Geschichte. Er will anderen Betroffenen Mut machen und vor allem will er eins: Schluss mit Tabus. Jonathan Drefs gibt dem Thema Kindesmissbrauch ein Gesicht.
Er spricht, wo andere schweigen

Jonathan wächst in Helden, bei Attendorn auf. Er ist ein zurückhaltendes, aber fröhliches Kind. Zu seiner Familie hat er ein enges Verhältnis, besonders zu seiner Mutter Sandra. Seine Eltern leben getrennt. Ende 2019 zieht er mit seiner Mutter ins hessische Herborn. Für den damals 12-Jährigen eine herausfordernde Zeit - nicht nur wegen der neuen Umgebung. Zum einen sucht er Anschluss unter Mitschülern, zum anderen ist er auf der Suche nach seiner wahren Sexualität: „Für mich war es so, dass ich eine neue Schule hatte, neue Freunde kennenlernen musste, aber auch für mich selber ein Prozess begonnen hat. Und zwar ein Findungsprozess, da ich immer so ein bisschen unsicher war okay, welche Sexualität habe ich? Es gibt ja auch noch was anderes, als auf Frauen zu stehen.”
Manipuliert und fremd gesteuert
Jonathan hat damals viele Fragen und Unsicherheiten bezüglich seiner Sexualität. Im Internet hofft er Antworten zu finden und trifft auf einen vermeintlich 16-Jährigen aus Stuttgart. Sie chatten, tauschen sich aus und freunden sich an. Es folgen stundenlange Telefonate, endlose Nachrichten. Der Kontakt intensiviert sich. Der Täter gewinnt immer mehr Jonathans Vertrauen. Schleicht sich in seinen Alltag.
Auch seine Freunde aus der Schule lernt der Mann über Online-Spiele kennen. Knapp vier Wochen später offenbart der vermeintlich 16-Jährige dann sein wahres Alter von 27 Jahren. Jonathan meint: „Was er sehr stark in meinen Kopf gepflanzt hat, ist, dass Homosexualität nicht akzeptiert wird und, dass das gleiche mit hohem Altersunterschied ist. Das heißt, er hat beides gleich dargestellt und somit war es für mich nicht ein Fehler von ihm oder von uns, sondern ein Fehler von der Gesellschaft, uns nicht zu akzeptieren.“
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Das erste Treffen im Schwimmbad

Im Februar 2020 kommt es zum ersten Treffen - in einem Schwimmbad. Der 27-Jährige besteht auf eine Familienumkleidekabine, so Jonathan. Dort kommt es zum ersten Kuss zwischen den beiden und zu Masturbation, erzählt er. Für den damals 12-Jährigen eine unangenehme und ungewohnte Situation. Doch er akzeptiert sie. Es war der Beginn einer sexuellen Abhängigkeit. Jonathan hat das Gefühl dem Täter etwas zurückgeben zu müssen. Jonathan ist wie fremdgesteuert. Mit dem Alibi bei seinen Freunden zu übernachten fährt er wenig später nach Frankfurt - denn er hat durch die Schule ein Regionalticket. In einem Frankfurter Hotel findet das zweite Treffen zwischen dem Schüler und seinem Peiniger statt.

Jonathan erinnert sich: „Wir haben erst mal ganz normal gemeinsam Film geschaut. Aber dann ging es natürlich auch wieder zum Thema ‚Wir machen tagsüber das, was du möchtest, aber abends geht es dann darum, dass du deine Pflicht erfüllst‘. Und dann war auch das erste Mal das Thema Oralverkehr, was ich aber immer verneint habe, weil für mich das männliche Glied einzig und allein die Funktion der Blase entleeren hatte und nicht sexuell ist. Als ich dann gesagt habe, dass ich das nicht möchte, wurde ich im Grunde dazu gebracht durch Gewalt.”
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Der Wendepunkt
Der Täter will den 12-Jährigen wohl noch weiter von seiner Familie abkapseln. Und so schlägt er ihm selbst vor, Mutter Sandra von der Beziehung zu erzählen. Der vermeintliche Plan: Sie soll die Beziehung verbieten und so Jonathan weiter in seine Arme treiben. Der Schüler vertraut sich seiner Mutter an.
Doch der Plan des Täters geht nicht auf, so die 42-jährige Mutter Sandra: „Meine erste Reaktion: Ich bin erst mal auf Toilette und musste mich übergeben. Man hat so viele Bilder im Kopf - ganz schlimme, fürchterliche Bilder. Was hat dieser Mann jetzt mit meinem Kind gemacht? Wie ist das alles passiert? Ich habe mich dann ein bisschen gesammelt und nur gedacht: ‘Okay, jetzt schnell umschalten, du musst jetzt hier ganz klaren Kopf bewahren.’ Und hab mich vermeintlich für ihn gefreut, einfach um diese Sicherheit für ihn oder für mich zu gewinnen, weil ich einfach wissen wollte, wer ist dieser Mann? Wo kommt er her? Was macht er? Wie hat er dich kennengelernt, wie hat er sich in dein Leben gezeckt?”

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Sandra gibt ihrem Sohn bewusst ein gutes Gefühl, um ihn nicht zu verschrecken. Und so erzählt Jonathan ihr fast alles. Nur die sexuellen Handlungen lässt er außen vor. Trotzdem: Die Zahnarzthelferin spürt, dass da was nicht stimmt und bittet ihren Sohn darum, eine Aussage bei der Polizei zu machen. Jonathan willigt ein, aber belastet den Täter erstmal nicht. Erst wenige Monate später, bei einer zweiten Aussage, erzählt Jonathan alles. Der 27-Jährige kommt in Untersuchungshaft und wird schließlich drei Jahre später zu neun Jahren Haft verurteilt – neben Jonathan in drei weiteren Fällen.
Jonathan gründet „EndtheSilence”

Heute hat der mittlerweile 18-Jährige Erlebtes verarbeitet und möchte jetzt anderen helfen. 2024 gründet er den Verein „EndtheSilence“- eine Art Online-Netzwerk für Betroffene und Angehörige. Sie können genau wie Jonathan über Social Media ihre Geschichte erzählen. Weitere Infos dazu findet ihr hier.