Reichen die Pläne der Landesregierung?Immer weniger Hausärzte – vor allem auf dem Land wird die Lage bedrohlich
Für wohl alle von uns ist es selbstverständlich - bei Husten, Schnupfen oder kleinen Wehwehchen geht es zum Hausarzt. Jahrzehntelang war das ganz normal. Aber das ändert sich seit Jahren. Besonders auf dem Land stirbt der Hausarzt aus.
Wenn der Landarzt fehlt
Geht es einem schlecht, ist es gut, dass es sie gibt: die Hausärzte. Sie sind für viele der erste Ansprechpartner – manchmal ein Leben lang. Hausarzt Heinz Ebbinghaus aus Soest bringt es auf den Punkt: „Wir im hausärztlichen Bereich behandeln ja nicht nur unsere Patienten. Wir begleiten sie oft über Jahre. Ich sage immer: von der Wiege bis zur Bahre.“ Aber in Nordrhein-Westfalen droht ein Hausärzte-Mangel. Noch ist die Versorgung relativ stabil, aber die Lücke wächst, vor allem auf dem Land. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) warnt: „Unser ganz großes Problem ist, dass vor allen Dingen in den ländlichen Gebieten zwischen 30 und 40 Prozent der praktizierenden Hausärzte über 60 Jahre alt sind.“ In Ennepetal zeigt sich, was das bedeutet: Der hausärztliche Versorgungsgrad liegt bei nur 59,9 Prozent und rund 73 Prozent der Ärzte dort stehen kurz vor dem Ruhestand. Eine Anwohnerin erzählt: „Ich bin beim Hausarzt fest. Da gehe ich schon seit 50 Jahren hin und wenn der in Rente geht, dann weiß ich es nicht.“ Für viele Menschen ist es schon jetzt fast unmöglich, einen neuen Arzt zu finden.
Soest: Gut versorgt, aber wie lange?
In Soest ist die Situation deutlich besser, der Versorgungsgrad liegt bei 105,2 Prozent. Noch gibt es ausreichend Mediziner, aber auch dort ist fast die Hälfte über 60 Jahre alt. Dabei sind Hausärzte das Herzstück unseres Gesundheitssystems. Einer von ihnen ist eben Heinz Ebbinghaus. Schon seit 28 Jahren betreibt er seine eigene Praxis in Soest. „Der Facharzt sieht den Patienten vielleicht ein- oder zweimal im Quartal, dann oft nie wieder. Aber wir sehen den Patienten öfter. Wir kriegen mit, wenn es ihm gut geht oder wenn es ihm nicht gut geht.“ Manche Patienten besucht der Arzt auch zu Hause, wenn sie den Weg in seine Praxis nicht mehr schaffen. Doch Ebbinghaus weiß auch, dass viele seiner Kollegen inzwischen gar keine Hausbesuche mehr anbieten. Der Grund: Sie kosten zu viel Zeit. Der Zuschlag dafür beträgt etwa 15 Euro – wirtschaftlich ein Verlustgeschäft.
Ein Beruf im Wandel
Immer mehr junge Ärzte möchten in Teilzeit arbeiten, oft lieber angestellt als selbstständig. Das finanzielle Risiko einer eigenen Praxis schreckt viele ab. Die 36-jährige Corinna Böckmann wagt den Schritt trotzdem. Sie tritt bald die Nachfolge von Heinz Ebbinghaus an. „Ich glaube, das ist nicht in meinem Naturell, Angst zu haben“, sagt die Soesterin. Weiter meint sie: „Es fühlte sich richtig an.“
Ausbildung mit Praxisbezug
Aber eine Entscheidung wie die von Corinna Böckmann wird zur Seltenheit. Das Angestelltenverhältnis hat wie in anderen Berufsfeldern auch bei den Hausärzten Konjunktur. In Bonn setzt das Institut für Hausarztmedizin deswegen darauf, den Nachwuchs gezielt auf die Selbstständigkeit vorzubereiten. Dort lernen Studenten nicht nur medizinisches Wissen, sondern auch, eine Praxis zu führen – von Finanzen über Hygiene bis Arbeitsschutz. Laut Professorin Birgitta Weltermann laufe das sehr gut. Sie weiß aber auch, dass es nur eine von vielen Möglichkeiten ist: „Wir haben ein Bündel an Maßnahmen, das wir weiter intensivieren müssen, auch weil bei der Work-Life-Balance der nachkommenden Generationen andere Vorstellungen da sind. Wir benötigen eigentlich mehr Ärzte und Ärztinnen, um dieselbe Menschenmenge an Patienten zu versorgen.“
Neue Modelle und Wege aufs Land
Eine Möglichkeit, den Engpass abzufedern, sind Medizinische Versorgungszentren (MVZ). Dort arbeiten mehrere Ärzte gemeinsam, häufig angestellt und ohne eigenes unternehmerisches Risiko. In NRW gibt es mittlerweile fast 1.000 solcher Zentren – rund 60 Prozent mehr als noch vor fünf Jahren. Außerdem hat NRW als erstes Bundesland die sogenannte Landarztquote eingeführt. Sie ermöglicht jungen Menschen ein Medizinstudium auch mit schlechterem Abiturdurchschnitt. Im Gegenzug müssen die Studenten sich aber verpflichten, nach ihrem Abschluss mindestens zehn Jahre lang auf dem Land zu arbeiten.
Hoffnung für die Zukunft
Selina Wächter studiert Medizin in Köln über diese Landarztquote. „Mir bedeutet, Medizin studieren zu können, meinen Lebenstraum zu erfüllen und wirklich mein volles Potenzial auszuschöpfen. Ich bin sehr dankbar um die Chance, ohne den NC zeigen zu können, was ich kann und wofür ich da bin.“ Die 32-Jährige möchte später als Hausärztin auf dem Land arbeiten und kann sich auch eine eigene Praxis vorstellen. Die Landarztquote findet sie auch in anderer Hinsicht gut. Den Fokus auf die Abiturnote bei den Medizin-Studienplätzen kann sie nicht nachvollziehen. „Der Einstellungstest für die Landarztquote war ausschließlich auf Erfahrung und menschliche Skills aufgebaut. Ich glaube, das ist eine sinnvollere Herangehensweise, wenn man zwangsläufig mit Menschen arbeitet,“ so die Studentin.
Ein krankes System sucht Heilung
Ob über MVZ, die Landarztquote oder den Ausbau der Studienplätze – es gibt viele verschiedene Lösungsansätze. Trotzdem sind in Nordrhein-Westfalen aktuell rund 1.100 Hausarztsitze unbesetzt. Tendenz: steigend. Die hausärztliche Versorgung zu sichern, ist eine der größten gesundheitspolitischen Aufgaben der kommenden Jahre. Schon bald werden aber erstmal weniger Ärzte mehr Menschen versorgen müssen. Das Gesundheitswesen krankt und Heilung ist dringend notwendig. Die Rezepte der Landesregierung sind aber erst ein Anfang. Ob die Dosis ausreicht, muss sich zeigen. Eins steht aber jetzt schon fest: Erst mal werden wir Patienten die bittere Pille schlucken müssen.


































