Wenn selbst kleinste Berührungen eine Qual sindErst Bänderriss, dann beidseitige Amputation! Nadine (41) lebt täglich mit unvorstellbaren Schmerzen

Es gibt keinen Tag, an dem Nadine keine Schmerzen hat.
Mitunter sind sie so stark, dass Nadine kaum sprechen kann. Ihr Leben, wie es früher war, ist zu einer fernen Erinnerung geworden. Mittlerweile wurden der 41-Jährigen beide Beine amputiert, dabei begann alles mit einem Bänderriss. Wie es so weit kommen konnte und worum Nadine und ihre Familie jetzt bei der Krankenkasse kämpfen.
Nadines Geschichte berührt Menschen weltweit
Im Frühjahr 2024 steht Nadine Felbingers Leben auf der Kippe. Sie hat eine Infektion mit Nekrosen und tiefer Wunde im Bein. Ihre letzte Hoffnung: ein australischer Experte. Fünf Wochen verbringt Nadine in Sydney. Von der Stadt bekommt sie nichts mit, die meiste Zeit ist sie im Krankenhaus. An ihrem letzten Tag, als sie entlassen wird, steigt sie in ein Uber und erzählt dem Fahrer ihre Geschichte. Und der will danach „keinen Cent mehr“ erzählt Nadine. „Er meinte, es sei eine Ehre, mich zu fahren.“
Er ist nicht der einzige Mensch, der von Nadines Geschichte berührt ist. Auf GoFundMe sammeln sie und ihre Familie Geld, um Nadines Operationen im Ausland zu bezahlen. Operationen, die ihre höllischen Schmerzen lindern sollen. Operationen, ohne die sie nicht mehr leben würde.
Die Ursache? Ein simpler Bänderriss vor zehn Jahren.
Wie konnte es so weit kommen?
Alles beginnt mit einer Unachtsamkeit und einem Bänderriss
Nadines Leid beginnt 2014. Cornelius Felbinger, Nadines Mann, erinnert sich an den Tag: „Wir waren gerade erst in unser Eigenheim gezogen, unser kleiner Sohn spielte im Garten. Er fing an zu weinen und rief nach seiner Mama. Nadine rannte sofort zu ihm – und ist dabei ganz unglücklich über meine Sicherheitsschuhe gestolpert.”
Beim Arzt ist schnell die Diagnose Bänderriss gestellt. Nadine bekommt eine Schiene, soll den Fuß schonen und nach sechs Wochen soll alles wieder verheilt sein. Doch Nadine hat weiterhin große Schmerzen.
Es folgt eine Arzt-Odyssee: Niemand versteht, warum der Fuß einfach nicht heilt. Die Lösung soll eine Versteifungsoperation sein. Die bedeutet für die 41-Jährige und ihr bisheriges Leben jedoch den Anfang vom Ende. Denn danach wird es nicht besser, stattdessen beginnt auch noch der andere Fuß zu schmerzen.
Warum? Nadine hat eine seltene Krankheit, die durch die Operation noch verstärkt wurde. Sie leidet am Komplexen regionalen Schmerzsyndrom, CRPS. „Ich wusste erstmal gar nicht, was diese vier Buchstaben mir sagen sollen”, erinnert sich Nadine. Aufgeklärt wird sie quasi nicht.
Täglich Schmerzen, die schlimmer sind als eine Geburt

Erst zu Hause befragen sie und ihr Mann das Internet. „Zu diesem Zeitpunkt stand tatsächlich auf Wikipedia noch, CRPS sei heilbar. Daran habe ich mich damals festgehalten. Aber das stimmt nicht. Es ist nicht heilbar”, betont Nadine.
Tatsächlich kann die Krankheit, wenn sie schnell diagnostiziert wird, in Remission gehen und gut behandelt werden. Betroffene leben dann weitgehend beschwerdefrei. Wird sie jedoch übersehen, sind die Folgen katastrophal. CRPS kann zu schlimmstmöglichen Schmerzen führen, die sogar die einer Geburt oder einer Amputation bei vollem Bewusstsein übersteigen. So ist es auch bei Nadine der Fall.
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Anfangs kämpft sie noch, „wie eine Löwin”, sagt ihr Mann Cornelius. Nadine will ihr Leben nicht aufgeben, gibt weiter Nachhilfe, schließt sich einer Selbsthilfegruppe anderer Betroffener an. Doch die Schmerzen werden immer schlimmer. „Meine Beine taten mir 24 Stunden an sieben Tagen die Woche dermaßen weh, dass mir schwindlig vor Schmerz wurde, wenn sie jemand berührte”, erinnert sie sich. Will sie schlafen, lässt sie die Gliedmaßen zum Beispiel aus dem Bett hängen, damit diese ja nicht die Decke berühren.
Ihre Füße sind mittlerweile unnatürlich verdreht, die Beweglichkeit extrem stark eingeschränkt, die Muskeln haben sich zurückgebildet, die Haut ist eiskalt und bläulich verfärbt. Sie hat offene, nicht heilende Wunden, die sich immer wieder infizieren. Ihre beiden Söhne kann sie schon lange nicht mehr ins Bett bringen. Bei jedem Kuscheln muss sie darauf achten, dass die Kinder ihre Beine nicht berühren.
2022 wissen Nadine und Cornelius nicht mehr weiter. Deshalb empfehlen mehrere Ärzte eine Amputation von Nadines linkem Unterschenkel. Sie soll ihr Erleichterung verschaffen, doch es kommt noch schlimmer.
„Entweder Sterbehilfe oder eine zweite Amputation”

„Nach der Amputation konnte ich nicht stabilisiert werden”, erinnert sich Nadine. Ihre Schmerzen sind nicht auszuhalten, sie fleht um Hilfe. In dem Versuch, ihr zu helfen, wird ihr eine Überdosis Schmerzmittel verabreicht. Sie wird bewusstlos, hat eine Nahtoderfahrung. Danach sagt sie: „Das halte ich nicht noch einmal aus.”
Ihre enormen Schmerzen bleiben. Sie spricht immer wieder mit Ärzten in ihrem Umfeld, sucht nach Lösungen, die ihr niemand geben kann. Kurzfristige Erleichterung gibt ihr zwar ein auf Schmerzen spezialisierter Arzt, Dr. Klaus Offner, der Nadine zu Hause behandelt. Aber Nadine ist weiterhin nicht in der Lage, am Leben teilzunehmen, ans Bett gefesselt, oft nicht einmal ansprechbar. „Das war kein Leben mehr.”
Als Nekrosen und infizierte Wunden an den Beinen medizinisch keine Wahl mehr lassen, trifft sie eine Entscheidung: „Ich fahre in die Schweiz für Sterbehilfe. Aber vorher versuchen wir es mit dem letzten Strohhalm, der uns bleibt: eine zweite Amputation.“
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Letzte Chance: Ein Notfall-Flug nach Australien
Schließlich findet sich, auch dank Hinweis deutscher Ärzte, ein Experte: Prof. Dr. Munjed Al Muderis. Er lebt und arbeitet eigentlich in Sydney, ist jedoch zufällig für einen Monat in Polen und bietet Nadine an, sie zu operieren. Er ist auch seit langer Zeit der erste Arzt, der ihr wieder Hoffnung macht. „Er hat mir gesagt: ‚Sie sind zu jung, um nie mehr laufen zu können. Ich setze Ihnen eine Prothese ein, mit der sie eine Chance auf Mobilität haben‘”, erinnert sich die 41-Jährige. „Da habe ich erstmal geweint. An so was habe ich mich gar nicht mehr getraut zu glauben.”
Die Operation gelingt und Nadine geht es kurzzeitig besser. Dann folgt jedoch der Schock: Die neue Prothese entzündet sich, die Wunde schließt nicht. Eine zweite Operation ist dringend notwendig, um Nadines Leben zu retten. Das Universitätsklinikum Freiburg versucht es, stößt jedoch an seine Grenzen. Und empfiehlt „da es sich um einen Präzedenzfall handelt (bislang erfolgte keine solche Behandlung von CRPS-Patienten in unserem Haus) und aufgrund der komplexen Vorgeschichte und des schweren Krankheitsbildes” die „langjährige Expertise von Herrn Dr. Al Muderis“.
Auch wenn dieser mittlerweile wieder in Australien ist, nimmt Nadine den langen und beschwerlichen Weg auf sich. Zum Glück.
150.000 Euro Schulden und die Krankenkasse zahlt nicht

Denn das rettet nicht nur ihr Leben, sondern gibt ihr auch die Chance, zukünftig mit den Prothesen gehen zu können. Es gibt nur ein Problem: Die Operationen bei Prof. Dr. Al Muderis haben hohe Kosten verursacht. Und die will die zuständige Techniker Krankenkasse (TK) nicht zahlen.
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RTL nimmt Kontakt zur TK auf. Ein Pressesprecher bestätigt auf Nachfrage, dass man sich bei der Operation in Polen bei Kosten in Höhe von 7.594,81 Euro beteilige, da „die Höhe der Kosten begrenzt ist auf die Kosten, die die gesetzliche Krankenversicherung in dem jeweiligen EU-Mitgliedsstaat übernimmt.”
Die Kosten für die Operation in Australien werde man gar nicht übernehmen. Die Begründung in beiden Fällen: Laut eines Gutachtens seien die Operationen auch in Deutschland möglich gewesen.
„Für die durchgeführte Oberschenkelamputation mit Osseointegration hat das Gutachten nur exemplarisch einige Kliniken benannt, die solche Operationen durchführen können. Unter anderem ist dort das CRPS-Zentrum der BG-Klinik Frankfurt, die Universitätsklinik Freiburg, das Bundeswehrkrankenhaus Ulm und die Universitätsmedizin Rostock aufgeführt”, heißt es weiter.
Doch es gibt ein Problem: Jede deutsche Klinik, die von den Felbingers wegen der Kostenübernahme angeschrieben wurde, lehnte die Amputation bei Nadine ab. RTL liegen Ablehnungsschreiben von fünf großen Krankenhäusern vor. Mal heißt es, man führe generell keine Amputationen bei CRPS durch; mal könne man die begleitende Schmerztherapie nicht leisten; mal sei ihre Krankheitsgeschichte einfach zu kompliziert.
Wieso werden Kliniken empfohlen, die diese Operation gar nicht durchführen können?
Endlich geht es für Nadine vorwärts – DAS ist jetzt ihr sehnlichster Wunsch
Für das Ehepaar ist es ein Kampf gegen Windmühlen und eine enorme Belastung, immerhin geht es um mehr als 150.000 Euro. Zukünftig möglicherweise anfallende Kosten noch nicht mitgerechnet. Das ist auch eine Belastung für Nadines fragile Gesundheit, wie ihr Arzt Dr. Offner RTL erklärt: „Schmerzen stellen eine Form der körperlichen Erregung dar und können entsprechend durch äußere Einflüsse, zum Beispiel Aufregung und Stress, negativ beeinflusst werden. Solche Stressoren können Interaktionen mit Behandlern oder Kostenträgern sein und treten bei Frau Felbinger immer wieder in den Vordergrund.”
Auf der Spendenplattform GoFundMe bittet Cornelius Felbinger daher um Mithilfe, um seiner Frau etwas von diesem Stress zu nehmen. Denn schon jetzt steht fest, dass Nadine weitere Operationen brauchen wird. „Das versetzt mich regelrecht in Panik, da wir uns diese nicht leisten können und ich nicht weiß, wie lange ich es noch hinauszögern kann”, gibt sie offen zu. Aktuell freut sich das Ehepaar über jeden Euro, der zusammenkommt – immerhin schon mehr als 100.000 Euro.
Auch sonst gibt es Fortschritte: „Ich bin sehr stolz auf Nadine, denn sie konnte ihr Ehrenamt nach circa zwei Jahren Pause wieder aufnehmen. Wir sind unfassbar dankbar für dieses Geschenk.”
Und seine Frau? Die wünscht sich vor allem zwei Dinge. „Meine Familie soll einfach mal eine schöne Zeit haben, ohne Sorge. Die letzten zehn Jahre ging es immer nur um meine Krankheit.” Und natürlich, dass sie irgendwann wieder laufen kann. Damit sie wieder ins Obergeschoss, in die Zimmer ihrer Söhne kann, die sie seit einem Jahrzehnt nicht mehr betreten hat. Und: „Damit ich beim Abiball meines großen Sohns tanzen kann.”
Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Version wurde der Grund für die zweite Amputation von Nadine Felbinger sowie der zeitliche Ablauf nicht eindeutig geschildert. Der Artikel wurde dahingehend angepasst.