Psychologe zum Familiendrama in HerdeckeTochter sticht auf Mutter ein – was bringt einen jungen Menschen zu so einer Tat?

Seit Tagen bewegt das Familiendrama aus Herdecke Deutschland!
Die Tochter (17) der designierten Bürgermeisterin Iris Stalzer (57,SPD) sticht auf ihre Mutter ein, soll sie außerdem über Stunden im Keller gefoltert haben. Mit lebensgefährlichen Verletzungen kommt Stalzer ins Krankenhaus. Ihre Tochter kommt in eine Psychiatrie. Doch warum begeht ein so junger Mensch eine so schreckliche Tat? Wir haben den Kinderpsychiater Dr. Jan Oude-Aost gefragt.
Je früher ein Mensch Schlimmes erlebt, „desto nachhaltiger sind auch die Einflüsse, die sowas haben kann“
Was muss in einem Menschen vorgehen, der seine eigene Adoptivmutter stundenlang quält und mit Messern auf sie losgeht, sie beinahe tötet? „Es gibt nicht die eine Erklärung”, stellt Dr. Jan Oude-Aost zu Beginn des Interviews klar.
Und natürlich kann der Psychiater nichts zu dem konkreten Fall aus Herdecke sagen. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie kann er aber erklären, was einen jungen Menschen ganz grundsätzlich dazu bringen kann, eine solch schreckliche Tat zu begehen.
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Es gebe verschiedene bekannte Risikofaktoren, erklärt er. „Dazu gehört zum Beispiel Missbrauch oder Misshandlung – sowohl körperlich oder emotional –, die in der Kindheit stattgefunden hat.“ Je früher ein Mensch derartige Erfahrung in seinem Leben gemacht hat, „desto nachhaltiger sind auch die Einflüsse, die sowas haben kann“.
Über Iris Stalzers Tochter sind bislang nicht viele Informationen an die Öffentlichkeit gelangt. Nur so viel: Sie ist 17 Jahre alt und wurde von Iris Stalzer adoptiert.
Ganz grundsätzlich erklärt Dr. Jan Oude-Aost jedoch: „Wenn Kinder erst in späterem Alter adoptiert werden und sie vorher Misshandlung oder Missbrauch erlebt haben, hat man es schwerer, das wieder auszugleichen. Die Aufgabe ist einfach größer.”
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Adoptivtochter ist in der Psychiatrie: Wie könnte es jetzt weitergehen?
Mögliche Folgeszenarien beschreibt Psychiater Oude-Aost wie folgt: „Wenn das aufgrund einer psychischen Störung passiert ist, würde man erst mal in eine psychiatrische Klinik kommen.“ Dort würde geschaut, ob ein Wiederholungsrisiko aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung besteht. Sollte eine solche vorliegen, würde diese zunächst behandelt, bevor man die betroffene Person wieder entlässt.
Aber: Wenn davon ausgegangen wird, dass der Täter nur „einen kurzen Moment hatte, wo er impulsiv, gewalttätig war“, dann würde man die Person auch wieder aus der Klinik entlassen, erklärt der Experte. „Dann würde es in das Justiz- oder Jugendhilfesystem gehen.“
Oude-Aost erklärt aber auch: „Die Grausamkeit einer Tat hat nicht unbedingt etwas mit einer zugrundeliegenden psychischen Störung zu tun, sondern kann auch von ganz vielen Faktoren in dem Moment abhängen.“
Fall Herdecke: Kann man eine solche Tat innerhalb der Familie verzeihen?
Unabhängig von möglichen Strafen für die Täterin fragen sich jetzt auch viele: Kann man eine solche Tat innerhalb der Familie verzeihen?
Tatsächlich erklärt Dr. Jan Oude-Aost: „Die meiste Gewalt, die wir kennen, findet in Familien statt. Und auch nach schweren Gewalttaten ist es möglich, dass Familien wieder zusammenfinden, auch wenn das Vertrauen natürlich erst mal erschüttert ist.“ Grundsätzlich komme es sogar häufig vor, dass Familien nach einem Fall von Gewalt wieder zueinanderfinden.
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Aber das ginge nicht ohne Unterstützung und letzten Endes sei es die Entscheidung der Familienmitglieder: „Bin ich bereit, wieder auf diese Person zuzugehen?“
Und: Bei einem Fall, wie dem aus Herdecke, der nicht nur innerhalb der Familie, sondern auch in der Öffentlichkeit, in den Nachrichten stattfindet, könne genau diese Tatsache eine Versöhnung nochmals erschweren. Immerhin würden in einem solchen Fall viele Menschen ihre Meinungen öffentlich einbringen.
Verwendete Quelle: eigene RTL-Recherche