„Bin stolz, Russe zu sein“ – aber…

Russland-Ikone will gerade nicht für Russland spielen

Zenit's Artem Dzyuba, left, reacts during the Europa League play off, second leg soccer match between Betis and Zenit at the Benito Villamarin stadium in Seville, Spain, Thursday, Feb. 24, 2022. (AP Photo/Miguel Morenatti)
Artem Dzyuba spielt für Zenit St. Petersburg
MF, AP, Miguel Morenatti

Artem Dzyuba ist eine Ikone des russischen Fußballs, niemand traf für das Nationalteam öfter als er. Nun verschiebt der 33-jährige Stürmer aber sein Comeback in der Sbornaja auf eigenen Wunsch. Wegen der "schwierigen Situation" in der Ukraine, wie der Nationaltrainer sagt. Das kommt überraschend.

"Er will unbedingt für Russland spielen" - aber nicht jetzt

55 Spiele hat Artem Dzyuba bisher für die russische Nationalmannschaft bestritten, 30 Tore hat der Stürmer für die Sbornaja erzielt. Kein Spieler traf öfter für Russland, Dzyuba ist einer der populärsten Fußballer Russlands. Nun will der ehemalige Kapitän der Nationalmannschaft offenbar gerade nicht für Russland spielen. "Am Sonntag haben wir mit Artem telefoniert, er hat uns versichert, dass er unbedingt für die Nationalmannschaft spielen will", sagte Nationaltrainer Valery Karpin auf der Verbandswebsite.

"Aufgrund der schwierigen Situation in der Ukraine, wo er viele Verwandte hat, entschuldigte er sich jedoch und bat darum, ihn aus familiären Gründen nicht zu diesem Treffen einzuladen." Dzyuba wurde 2020 zum zweiten Mal zu Russlands Fußballer des Jahres gekürt, 2018 führte er die Nationalmannschaft bei der Heim-WM mit drei Treffern in fünf Spielen überraschend bis ins Viertelfinale. Dzyuba verbrachte seine komplette Profikarriere in der russischen Liga, mit Zenit St. Petersburg wurde er dreimal russischer Meister. In der weiter laufenden Saison der Premier Liga traf Dzyuba bisher zehnmal, sein Club steht an der Spitze der Tabelle.

Eigentlich hätte Karpin, der die Nationalmannschaft nach der Europameisterschaft im vergangenen Sommer übernommen hatte, seine Mannschaft in dieser Woche für wichtige Termine versammelt: Am 24. März hätte Russland in den Playoffs für die Weltmeisterschaft in Katar gegen Polen spielen sollen, der Gewinner des Duells hätte am 29. März gegen Schweden oder Schottland um eines der letzten Tickets für Katar gespielt.

"Warum sitzt ihr wie die Blöden da?"

Doch es kam ganz anders: Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine hatten zunächst alle drei möglichen Gegner in den Playoffs angekündigt, nicht gegen die russische Mannschaft antreten zu wollen. Wenig später entschied die FIFA, die Russen von ihren Wettbewerben auszuschließen. Karpin, der Dzyuba seit seinem Amtsantritt noch nicht nominiert hatte, rief seine Mannschaft nun für ein Trainingslager zusammen, das Team soll ein Spiel gegen die eigene U21 bestreiten. Dzyuba wird nun weiter fehlen. Die "schwierige Situation" in der Ukraine forderte inzwischen mehrere Tausend Menschenleben, eine Beilegung der Kampfhandlungen ist trotz mehrerer Verhandlungsrunden zwischen russischer und ukrainischer Seite nicht greifbar.

Kurz nach dem Ausbruch des Krieges stand Dzyuba als eine der Gallionsfiguren des russischen Fußballs scharf in der Kritik seines ukrainischen Kollegen Andriy Yarmolenko. Der ehemalige Profi von Borussia Dortmund hatte "eine Frage an die russischen Nationalspieler: Jungs, warum sitzt ihr wie die Blöden da und sagt nichts?" Yarmolenko wurde als Sohn ukrainischer Eltern im russischen St. Petersburg geboren und kenne viele russische Nationalspieler persönlich, wie er in einer Videobotschaft sagte. "Ihr habt mir alle gesagt, dass es nicht so sein sollte, dass euer Präsident sich nicht korrekt verhält. Also Jungs, ihr habt Einfluss auf die Leute, zeigt es ihnen, ich flehe euch an. Es ist an der Zeit, eure Ellenbogen zu zeigen - im wahren Leben."

Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

Dzyuba: "Ich bin stolz, Russe zu sein"

Dzyuba erklärte kurz darauf in einem langen Instagram-Beitrag, er habe sich bisher mit Äußerungen zurückgehalten, "nicht weil ich Angst habe, sondern weil ich kein Experte für Politik bin und mich nie damit beschäftigt habe und auch nicht vorhabe, dies zu tun". Natürlich sei Krieg "beängstigend. Aber was mich schockiert, ist die menschliche Aggression und der Hass, die jeden Tag größer werden." Gleichzeitig kritisierte Dzyuba die aus seiner Sicht ungleiche Behandlung: "Warum rufen immer alle, dass Sport und Politik nicht vermischt werden dürfen - aber sobald es um Russland geht, vergessen sie dieses Prinzip völlig?", schrieb der 33-Jährige: "Ich bin stolz, Russe zu sein. Und ich verstehe nicht, warum Sportler jetzt leiden müssen."

Auch an die Kollegen, "die auf ihren Hintern in Villen in England sitzen und gemeine Dinge sagen: Wir lassen uns davon nicht beleidigen, wir verstehen das alle! Frieden und Güte für alle!" Yarmolenko, der die russischen Profis zum Handeln aufgefordert hatte, spielt für den Londoner Club West Ham United in der Premier League.

Der Krieg werde enden, "aber die menschlichen Beziehungen werden bleiben. Und es wird unmöglich sein, zurückzuspulen. Vergesst das nicht", erinnerte Dzyuba in seinem Beitrag. Ende 2020 wurde er vorübergehend aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen, um ihn vor negativer Publicity zu schützen, nachdem ein privates, intimes Video im Internet aufgetaucht war. Zu den entscheidenden Spielen um die EM-Qualifikation war er dann wieder zurückgekehrt, bei der Endrunde konnte sein Treffer gegen Dänemark das Vorrunden-Aus nicht verhindern. (Quelle: ntv.de)