Politikwissenschaftler: "Nur die Spitze des Eisbergs"

USA: Zehntausende Republikaner verlassen Partei nach Sturm aufs Kapitol

ARCHIV - 03.11.2020, USA, Arlington: Donald Trump, Präsident der USA, macht während seiner Rede in seiner Wahlkampfzentrale am Tag der US-Präsidentschaftswahl eine Pause. (zu dpa «Auseinandersetzung über Corona-Hilfen spaltet Trumps Republikaner») Foto: Alex Brandon/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
US-Präsident Donald Trump
AB frd dul, dpa, Alex Brandon

Für Trumps Partei geht es bergab. Während sich der Ex-Präsident in seinem zweiten Amtsenthebungsverfahren verantworten muss, verlieren die Republikaner täglich mehr Wählerinnen und Wähler. Grund für viele: die Geschehnisse am 6. Januar.

USA nach Sturm aufs Kapitol in Schockstarre

Viele US-Amerikaner haben sich den Tag herbeigewünscht, mindestens genauso viele haben sich davor gefürchtet. Die Rede ist vom 6. Januar – dem Tag, an dem Joe Biden als Wahlsieger im Senat bestätigt wurde – und ein randalierender Mob das US-Kapitol gestürmt hat. Fünf Menschen waren bei dem Angriff gestorben, das Land in eine Schockstarre versetzt worden.

In den folgenden Tagen wurde viel darüber gegrübelt, was dieser Tag für die Zukunft Amerikas, für die Zukunft Donald Trumps und für seine republikanische Partei bedeuten würde. Rund einen Monat später steht fest: für beide nichts Gutes. Während sich Ex-Präsident Trump dieser Tage bei seinem zweiten Amtsenthebungsverfahren gegen die Vorwürfe zur Aufruhr seiner Anhänger vor dem Kapitol-Sturm verteidigen muss, sieht es für seine Partei noch schlechter aus.

Knapp 140.000 Partei-Austritte: Immer mehr Wähler kehren der GOP den Rücken zu

Seit dem 6. Januar stehen die Telefone in den Wahlämtern im ganzen Land nicht mehr still: Zehntausende Republikaner rufen an oder melden sich online, um aus ihrer Partei auszutreten. Mehr als 33.000 in Kalifornien registrierte Republikaner kehrten allein in den ersten drei Wochen nach der Erstürmung ihrer Partei den Rücken zu. In Pennsylvania verließen mehr als 12.000 Wählerinnen und Wähler die Grand Old Party (GOP) – in Arizona waren es mehr als 10.000. Eine "New York Times"-Analyse der Wahlunterlagen von Januar ergab, dass knapp 140.000 Republikaner in 25 Staaten aus ihrer Partei ausgetreten waren.

Dass eine Partei nach einer verlorenen Präsidentschaftswahl auch Wählerinnen und Wähler einbüßen muss, ist erstmal nichts besonderes. Häufig aktualisieren diese ihre Präferenz und die Registrierungen verschieben sich zugunsten der Gewinnerpartei. Zudem aktualisieren viele Staaten nach den Wahlen ihre Listen und entfernen inaktive, weggezogene oder verstorbene Wählerinnen und Wähler. So haben seit Anfang Januar 79.000 Menschen die demokratische Partei verlassen.

Laut Wahlexperten weisen die Daten jedoch auf eine deutlich stärkere Abkehr von der republikanischen Partei als bisher üblich hin. Und es gibt noch einen bemerkenswerten Unterschied: Die Mehrheit der Wähler wendet sich von der GOP nicht wegen des Wahlergebnisses ab, sondern wegen der gewalttätigen Ausschreitungen rund um das Kapitol.

Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

Kapitol-Sturm ist für viele US-Amerikaner unverzeihlich

"Was an diesem Tag in D.C. passiert ist, hat mir das Herz gebrochen", sagte Juan Nunez, lebenslanger Republikaner der "NY Times". Der 56-jährige Militärveteran aus Mechanicsburg, Pennsylvania, will sich nach seinem Parteiaustritt als unabhängiger Wähler registrieren lassen.

So wie Nunez geht es vielen republikanischen Wählerinnen und Wählern, die Trumps zahlreiche No-Gos in den letzten vier Jahren geduldet und mit einem Kopfschütteln abgetan haben. Doch der Angriff auf das Herz der amerikanischen Demokratie geht ihnen nun doch zu weit. So sanken Trumps Beliebtheitswerte in seinen letzten Wochen auf einen historischen Tiefstand.

Kritik aus den eigenen Reihen erfahren auch jene Politiker, die sich nach wie vor hinter Trump und seine vermeintlichen Wahlbetrugsvorwürfe stellten. Viele zeigten sich entsetzt über jene, die selbst nach den gewaltsamen Kapitol-Protesten noch gegen die Zertifizierung von Bidens Wahlsieg stimmten. Zehn republikanische Abgeordnete schlossen sich ihren demokratischen Kollegen an und unterstützten per Vote ein zweites Amtsenthebungsverfahrens des ehemaligen Präsidenten.

Während die gegnerische Partei in der Regel oft zurückhaltend – wenn nicht sogar abweisend – auf die politischen Prioritäten eines neuen Präsidenten reagiert, wächst derzeit auch die Anzahl derjenigen Republikaner, die Schlüsselelemente von Bidens Konjunkturpaket unterstützen.

Politikwissenschaftler: Hohe Austrittszahlen der Republikaner "nur die Spitze des Eisbergs"

Nach Ansicht von Wahlexperten könnte die republikanische Partei noch deutlich mehr Wählerinnen und Wähler verlieren. Die hohen Austrittszahlen im Januar waren wohl erst der Anfang, vermutet auch US-Politikwissenschaftler Michael P. McDonald.

Diese außergewöhnliche Aktivität deute auf eine größere Strömung derjenigen Menschen hin, die sich nicht länger mit der republikanischen Partei verbunden fühlen, ihre Registrierung aber noch nicht geändert haben, sagte er der "NY Times". "Das ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs."

Dafür sprechen auch die sinkenden Zustimmungswerte der GOP: In einer neuen "Gallup"-Umfrage fiel die Zustimmung der Partei von 43 Prozent im November auf 37 Prozent. Im Gegensatz dazu hält der Aufwärtstrend der Demokraten mit 48 Prozent weiter an. Ob die Partei von Präsident Biden jedoch die verlorengegangenen republikanischen Wählerinnen und Wähler unter ihrer blauen Flagge versammeln kann, wird sich erst noch zeigen.

Weitere Quellen: "The New York Times", "New York Magazine", "Gallup"

Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst an dieser Stelle bei stern.de.